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Die richtigen Tools finden? Juristische Workflows technisch analysiert
Der Weg zu mehr Effizienz bei juristischen Arbeitsläufen ist immer individuell und meistens mühsam. So gehen Sie systematisch vor.
Als Legal Tech-Berater werde ich oft nach Tools gefragt: „Was sind die wichtigsten neusten Legal Tech-Tools?“, „Welche Programme kaufen Kanzleien, um effizienter zu werden?“, „Wir verwenden in unserer Rechtsabteilung die Software XY, ist das State of the Art oder gibt es mittlerweile eine bessere?“. Diese Fragen sind selten zielführend und lassen sich ohnehin nicht pauschal beantworten. Der Weg zu mehr Effizienz bei juristischen Arbeitsabläufen ist immer individuell und meistens mühsam. Alle Tätigkeiten von Einzelpersonen und Teams, die zur Herstellung eines Rechtsprodukts führen, müssen analysiert werden, um sog. WOMBATS zu finden. WOMBAT steht für „Waste of Money, Brains and Time“ und ist das Gegenteil von Effizienz. Da es keine Legal Tech-Software gibt, die alle WOMBATS auf einmal beseitigt, indem man einen beliebigen unstrukturierten Sachverhalt oben hineinwirft und unten eine fertige Lösung herauskommt, müssen die komplexen Entstehungsprozesse von Rechtsprodukten zunächst in logische Teilschritte zerlegt werden. Um dabei systematisch vorzugehen, habe ich für die Arbeit mit meinen Kunden eine Workflow-Analyse entwickelt. Damit lassen sich die Probleme aufspüren und beschreiben, die auf dem Weg zu mehr Effizienz zu lösen sind. Dies ermöglicht eine gezielte Suche nach technischen und organisatorischen Maßnahmen, und damit auch den richtigen Tools.
Grundstruktur: Input – Verarbeitung – Output
Kernstück der Automatisierung von rechtlichen Arbeitsabläufen ist die computergestützte Verarbeitung von Daten. Diese Datenverarbeitung folgt dem algorithmischen Grundschema: Input – Verarbeitung – Output. Daten werden erhoben und an das System übermittelt (Input), nach vordefinierten Regeln verändert (Verarbeitung) und in veränderter Form an einen Nutzer oder ein anderes System zurückgegeben (Output). Die Workflow-Analyse folgt diesem Grundschema und beschreibt den Entstehungsprozess von Rechtsprodukten somit nach technischen Gesichtspunkten. Dies bietet zwei Vorteile: Zum einen lässt sich die Funktionsweise vieler Legal Tech-Tools besser verstehen, indem man die zu lösenden Anwendungsfälle nach diesem Grundschema betrachtet. Zum anderen wird die Suche nach einer geeigneten Softwarelösung erheblich erleichtert, wenn ein WOMBAT in einem bestimmten Workflow-Schritt als Problem entweder des Inputs, der Verarbeitung oder des Outputs von Daten beschrieben werden kann.
Dokumente und Daten als Input
Im ersten Schritt der Workflow-Analyse wird zusammengestellt, welche Daten (Input) zur Erstellung eines bestimmten Rechtsprodukts benötigt werden. Damit ist der Sachverhalt gemeint, der sich aus einer Menge an mehr oder weniger strukturierten Informationen in Notizen, Memos, Listen, digitalen oder analogen Dokumenten usw. zusammensetzen kann. Hier ist eine Vogelperspektive gefragt, die nicht nur einen Einzelfall in den Blick nimmt, sondern fragt, welche Informationen in einer Kategorie von Fällen typischerweise vorliegen müssen, um einen Fall umfassend bewerten zu können. Diese Übung ist für viele Jurist*innen bereits ungewohnt, da das, was im Einzelfall aus Erfahrung im Dialog mit den Mandanten mühelos gelingen mag, aus einem neuen, abstrakten Blickwinkel betrachtet werden muss. Wie gehe ich bei der Erforschung des Sachverhalts vor? Welche Fragen stelle ich in welchen Konstellationen und warum? Wie versetze ich meine Mandanten in die Lage, mir die richtigen Informationen zu liefern?
Im Hinblick auf eine automatisierte Weiterverarbeitung der Daten stellt sich die Frage, wie sich Daten schon bei der Erfassung optimal strukturieren lassen. Dies kann z.B. durch den Einsatz von intelligenten Formularen, vorstrukturierten Listen oder Datenexporten aus Systemen der Mandanten geschehen. Sollten Daten nur unstrukturiert vorliegen, etwa als Datenraum mit einer Fülle unterschiedlicher, eingescannter Dokumente, können Information Extraction Tools helfen, zu strukturierten Daten zu kommen und deren Informationsgehalt und Bedeutung automatisch zu erfassen. Ein wichtiger Arbeitsschritt in diesem Zusammenhang ist auch die Prüfung von Sachverhaltsdaten auf Plausibilität und Vollständigkeit. Das kann bei händischer Bearbeitung viel Zeit kosten, die durch Automatisierung eingespart werden kann.
Die rechtliche Prüfung
Für viele Jurist*innen ist es schwer vorstellbar, wie eine rechtliche Subsumtion oder eine Entscheidungsfindung auf Grundlage eines Sachverhalts automatisiert werden kann. Viele denken hier an eine obskure künstliche Intelligenz, was vielen Legal Tech-Tools Aufmerksamkeit beschert, die auf Technologien wie „Machine Learning“, „Deep Learning“ oder „Natural Language Processing“ aufbauen. Es gibt Anwendungsfälle, bei denen man hiermit richtig liegt. Ganz häufig reicht es aber aus, mit automatisierten, regelbasierten Systemen zu arbeiten, was typischerweise günstiger, genauer und in den Ergebnissen nachvollziehbarer ist. Modelle zur Darstellung der juristischen Entscheidungsfindung können dabei Wenn-Dann-Analysen, Entscheidungsbäume, systematische Abwägungen, Wahrscheinlichkeiten-Analysen, Punkteschemata oder ähnliche Systeme mit vorab definierten Voraussetzungen und Ergebnismengen sein. Es gibt mittlerweile einige Tools, mit denen solche Modelle komfortabel erstellt und im Einzelfall angewendet werden können.
Um ein regelbasiertes Modell zu beschreiben, ist der Blick aus einer Vogelperspektive nötig: Das, was bei manueller Bearbeitung in den Köpfen von Expert*innen im Einzelfall wie von selbst abläuft, muss in allgemeingültige Regeln überführt werden. Es muss abstrakt beschrieben werden, nach welchen Kriterien entschieden wird, in welche Richtung ein Fall geht. Dazu muss der Sachverhalt (Input) in verarbeitbare, rechtliche Kategorien überführt werden (Verarbeitung). Je genauer ein Sachverhalt in Form von eindeutig definierten Datenpunkten beschrieben ist (s.o.), desto eher lässt sich dieser Arbeitsschritt automatisieren. Häufig bleibt hier ein Rückgriff auf menschliche Intelligenz nötig. Das ist der Fall, wenn in einem Workflow nicht alle Sachverhaltsinformationen sinnvoll strukturiert erfasst werden können und es auf die Begutachtung auch unstrukturierter Informationen im Einzelfall ankommt. Auch bei Abwägungen mit starken Wertungselementen oder bei strategischen Entscheidungen ist eine händische Bearbeitung des jeweiligen Teilschritts oft sinnvoll.
Zusammenspiel von Mensch und Maschine
Die Antizipation solcher Grenzen der Automatisierbarkeit mögen manchen Skeptiker dazu veranlassen, den Nutzen von Legal Tech in bestimmten Bereichen insgesamt von vornherein in Zweifel zu ziehen, da eine vollständige Automatisierung nicht möglich erscheint. Doch auch ohne das Ziel einer Automatisierung bis in den letzten Arbeitsschritt lässt sich mit Legal Tech viel erreichen. Entscheidend ist dann, den Einsatz manueller Arbeit auf die Tätigkeitsschritte zu beschränken, für die sie unerlässlich ist. Die Begutachtung eines Sachverhalts kann extrem beschleunigt werden, indem alle relevanten Informationen übersichtlich aufbereitet und vorstrukturiert verfügbar gemacht werden, so dass erfahrene Expert*innen mit einem Blick erkennen, in welche Richtung ein Fall läuft und welche Maßnahme als nächstes eingeleitet werden soll. Entscheidend ist, dass es nach diesem manuellen Eingriff in einen Prozess wann immer möglich automatisiert weitergeht. Solange sich der nächste Schritt im Rahmen dessen bewegt, was in einem Workflow typischerweise zu erwarten ist, erübrigt sich der Griff zu Diktiergerät oder Tastatur. Ein Klick kann genügen und die Software veranlasst selbstständig alle weiteren Schritte, z.B. die Erstellung und den Versand von Dokumenten (Output). So arbeiten viele Rechtsdienstleister und Kanzleien bei Massenverfahren mit zehntausenden ähnlich gelagerten Fällen, aber auch bei Rechtsprodukten in deutlich niedrigerer Stückzahl kann sich eine (Teil-)Automatisierung schnell lohnen. Die Methode der Workflow-Analyse hilft dabei, die gedankliche Voraussetzung hierfür zu schaffen: Die Auftrennung des komplexen Entstehungsprozesses von Rechtsprodukten zwischen rechtlicher Prüfung als Verarbeitung und der Erstellung von Endprodukten als Output.
Dokumente und andere Endprodukte als Output
Das Endprodukt juristischer Arbeit ist häufig ein Dokument. Überall da, wo ein solches Dokument nicht zu 100% aus neuem Text bestehen muss, sondern wo ganz oder teilweise auf vorhandenen Text zurückgegriffen werden kann, liegt Automatisierungspotenzial. Eine gewisse Zeitersparnis bringt schon das auch bei ansonsten händischer Fallbearbeitung oft übliche „Mining“ von Textbrocken aus alten Akten oder – wenn das Wissen strukturierter erfasst ist – das Anpassen von generischen, meist statischen Dokumentvorlagen. Dies ist mühsam und fehleranfällig, wenn z.B. in einer Vorlage an vielen Stellen von Einzahl auf Mehrzahl oder das grammatikalische Geschlecht einer Partei gewechselt werden muss. Hier wird auch deutlich, was „Waste of Brains“ im WOMBAT bedeutet. Mit Systemen der Dokumentautomatisierung kann man diese filigrane Arbeit vollständig dem Computer überlassen.
Auch die inhaltliche Zusammenstellung des Textes ist automatisierbar, zumindest soweit sich sinnvoll konfigurieren lässt, welche Variante welches Textbausteins auf Grundlage der bereits strukturiert erfassten Sachverhaltsdaten und der teils automatisch ermittelten, teils vom Bearbeiter im System hinterlegten rechtlichen Entscheidung im Einzelfall Verwendung finden soll. So lässt sich nicht nur der Draft eines Vertrages, Schriftsatzes etc. automatisch anfertigen, sondern die begleitende Erläuterung an die Mandantin gleich mit. Der Bearbeiter fügt noch einen persönlichen Gruß hinzu und fertig. Auch hier gilt: Selbst wenn das Endprodukt nicht komplett standardisierbar und automatisierbar ist, lässt sich durch Legal Tech viel Vorarbeit sparen. Programme zur Dokumentautomatisierung gibt es viele, je nach Anwendungsfall lassen sich Kriterien entwickeln, welches am besten geeignet ist.
Datenmanagement und Kollaboration
Die vorgenommene Teilung juristischer Workflows in die Stufen Input, Verarbeitung und Output ist auch deshalb nötig, da je nachdem, wo man sich gerade befindet, unterschiedliche Tools zur Anwendung kommen. Um effizient zu arbeiten, dürfen diese nicht als isolierte Einzelanwendungen verstanden werden, sondern müssen miteinander kommunizieren und idealerweise auf eine gemeinsame Datenbasis zugreifen. Sonst müsste man etwa Sachverhaltsdaten, die an der einen Stelle schon strukturiert z.B. in einem Online-Formular erfasst worden sind, händisch in ein Eingabeformular eines Dokumentautomatisierungsprogramms einfügen, was die Zeitersparnis zum guten Teil wieder auffressen würde. Daher braucht es eine übergeordnete Plattform, z.B. ein Case-Management-System, das einzelne Anwendungen verbindet und als führendes System die Hoheit über alle verwendeten Daten hat. Hier kann auch die Kollaboration im Team gesteuert werden, wenn z.B. einzelne Schritte im Workflow wie die Prüfung von Sachverhaltsangaben und die rechtliche Entscheidungsfindung von verschiedenen Personen in unterschiedlichen Rollen wahrgenommen werden sollen.
Bei der Kollaboration nach außen lässt sich mit Tools ebenfalls viel erreichen. Die Kommunikation mit Mandanten, etwa Datenaustausch über den Sachverhalt (Input) oder die Übermittlung von Endprodukten (Output) kann über ein Mandantenportal standardisiert und deutlich effizienter abgewickelt werden als über E-Mails mit unstrukturierten Informationen in Text und Anhängen.
Eine „universelle Komplettlösung“ gibt es nicht
So vielfältig die Entstehungsprozesse komplexer Rechtsprodukte sind, so vielfältig sind auch die Anforderungen an Software, die sich aus dem Potenzial zur Effizienzsteigerung der einzelnen Schritte eines Workflows ergeben. Die gute Nachricht ist, dass es mittlerweile für fast alle Anforderungen bestimmte Tools gibt, die passen oder zumindest passend gemacht werden können. Leider finden sich diese Tools in der Regel nicht in einer Komplettlösung, z.B. einem Kanzleimanagementsystem. Während solche Systeme oft den Anspruch haben, juristische Workflows von A bis Z abzubilden, liegen hier in der Regel bestimmte Vorstellungen einer meist manuellen Fallbearbeitung in Einzelfällen in der klassischen Rollenverteilung ReNos/Anwält*innen zugrunde. Sobald die Anforderungen etwas individueller werden, stoßen diese Programme schnell an Grenzen und es müssen zusätzliche Speziallösungen angeschafft werden. Der universelle Anspruch der meisten Kanzleimanagementsysteme führt aber zu einer monolithischen, geschlossenen Systemstruktur, was dazu führt, dass man vergeblich nach technischen Schnittstellen sucht, um Tools etwa für Dokumentautomatisierung sinnvoll in die Systemarchitektur einbinden zu können. Ein System, das nicht dafür ausgelegt ist, Daten zu teilen, eignet sich auch kaum als führendes System zur Datenverwaltung. Ein entscheidendes Kriterium bei der Auswahl von Tools ist für mich daher deren Fähigkeit, sich über Schnittstellen möglichst nahtlos in eine offene Systemlandschaft zu integrieren.
Auf der Suche nach WOMBATS
Die Workflow-Analyse lenkt den Fokus auf einzelne Aspekte von Tätigkeiten, die so isoliert in der täglichen Arbeit nicht sichtbar werden. Nach meiner Erfahrung aus vielen Durchführungen auch im Rahmen der Bucerius Executive Education führt diese Methode dazu, dass die beteiligten Personen das Potenzial für Effizienzsteigerungen schnell und präzise erkennen und beschreiben können. Ein Workshop von einem halben Tag reicht aus, um die Grundlagen zu erlernen und für einen ersten eigenen Workflow anzuwenden.
Aus Sicht des Managements einer Kanzlei oder Rechtsabteilung lassen sich die Analysen von Workflows aus verschiedenen Bereichen, z.B. einzelnen Praxisgruppen, zu einem Gesamtbild zusammenfügen. So wird ein gemeinsamer Nenner an Anforderungen zur Effizienzsteigerung erkennbar, mit dem sich eine Prioritätenliste zur Einführung neuer Tools entwickeln lässt.
Hinweis: Auf der Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession wird Dr. Gernot Halbleib zwei Workshops zur Einführung in die Workflow-Analyse für Kanzleien und Rechtsabteilungen anbieten.
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Dr. Gernot Halbleib, Executive Faculty des Bucerius Center on the Legal Profession