Es hat bekanntlich keinen Sinn, sehnsuchtsvoll die Vergangenheit zu beschwören, denn nur bei erheblicher Hartleibigkeit kann man ernsthaft behaupten, dass früher alles besser war. Anders ja, keine Frage. Vielleicht auch weniger komplex, weniger individuell. Anforderungen an Organisationen waren, sagen wir, einfacher strukturiert, was auch daran lag, dass die zu berücksichtigenden Gruppen überschaubarer waren. Das gilt gerade für Kanzleien. Dort gab es Partner und Nichtpartner. Auch Frauen und Männer, aber meistens eben doch Männer, die wenigen Frauen waren nicht der (An-)Rede wert und wurden mitgemeint. Auch das Generationenthema war keines, jedenfalls nicht in Sozietäten. Natürlich gab es neben den Babyboomern (Jahrgänge 1943 bis 1963) schon die nachfolgende Generation X (Jahrgänge bis 1979), aber mehr als soziologisches Phänomen. Generationenkonflikte heutiger Prägung gab es nicht, allenfalls den Versuch der X’er, das zu werden, was die Boomer bereits waren, denn die Boomer, ihr Ethos und ihr aufgebauter Kosmos waren das Maß aller Dinge. Aus Boomer-Sicht stellte sich allenfalls die Frage, ob die X’er das jemals schaffen würden, denn mit Schnickschnack wie Work-Life-Balance hätte man das, was die Boomer aufgebaut hatten, ja schließlich niemals aufbauen können. Non-Equity-Partner, das war was für die X’er.
Inzwischen bildet die Generation X mit 16,6 Mio. Menschen die bevölkerungsstärkste Altersgruppe in Deutschland, gefolgt von der Generation Y mit 15,8 Mio. Menschen. Erst mit der Generation Y kamen die Konflikte, scheinbar mit der Boomer-Generation, aber tatsächlich mit der kombinierten Boomer- und X-Generation. Mit der GenY wurde erstmals klar, dass es unwahrscheinlich ist, einen höheren Wohlstand zu erreichen als die Vorgängergenerationen, und der Blick auf das, was die Boomer auf- und die X’er ausgebaut hatten, war nicht von Dankbarkeit geprägt, sondern von heftiger Kritik. Die Klimadebatte ist der aktuellste Ausdruck dieses Konflikts.
In Kanzleien macht sich der Konflikt auch durch Verweigerung bemerkbar. Die GenY steht dafür, einen anderen Kurs einzuschlagen. Fußstapfen der Boomer? Partnerwerdung? Karriereförderung durch Menschenopfer? Uninteressant. Gut ausgebildet werden, gut verdienen, gutes Netzwerk aufbauen und dann mal sehen ist eine häufig vorzufindende Haltung der nachfolgenden Generation. Aber Zukunftsperspektiven werden von der GenY an wesentliche Bedingungen geknüpft: diverser, inklusiver, interessanter, herausfordernder, nachhaltiger, wertschätzender, großzügiger, flexibler. Außerdem gibt es große Bedürfnisse nach Weiterentwicklung und Chancen, aber alles auf einer individuellen Basis, mit individuellen Programmen und Karriereplänen, auch individueller Vergütung. Wenn es einen Wettbewerb gibt, dann mit sich selbst, der Maßstab ist derjenige der eigenen Entwicklung. Law Firm Standards sind zweitrangig.
Niemand bestreitet ernsthaft, dass Kanzleien darauf reagieren müssen. Der fundamentale Wandel von der gruppenbezogenen Betrachtung zu einer weitgehend individualisierten Betrachtung ist auch keine kanzleispezifische Besonderheit. Das Bedürfnis nach Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten steigt, Software macht die individuelle Gestaltung vieler Lebensumstände möglich. Das Generationenthema ist auf dem Rückzug, abgelöst durch die Gesellschaft der Identitäten. Welche Auswirkungen das langfristig auf die innere Ordnung von partner-/inhabergeführten Professional Service Firms hat, steht noch in den Sternen, aber „Equity amongst partners“ ist schon eine der tragenden Säulen des Partnerschaftsmodells. Was bleibt, wenn das wegfällt? Und wenn es wegfällt, weil es sich überlebt hat: Muss einen das sorgen? Nein. Man braucht nur neue Ideen. Auf dem Weg dahin ausnahmsweise eine Leseempfehlung zum Schluss: Jon Molot, „What’s wrong with law firms? A corporate finance solution to law firm short terminism”, Southern California Law Review, November 2014. Hätte heute auch geschrieben werden können.