Homeoffice und Videokonferenzen ersetzen in vielen Berufen derzeit den Büroalltag und die persönlichen Begegnungen. Wissenschaftliche Studien belegen, dass der Aufbau und die Pflege von menschlichen Beziehungen über Video-Konferenzsysteme – fast - ebenso wirksam sein kann wie im persönlichen Kontakt. Voraussetzung dafür ist nicht nur stabiles WLAN, sondern ein Verständnis, was Menschen brauchen, um sich bei Begegnungen mit anderen sicher und wohlzufühlen. Eine Untersuchung für die Universitäten Oxford und HEC Paris zeigt, wie Beziehung über Video-Konferenz gelingen kann und wann es doch auf den persönlichen Kontakt ankommt.
Bestehende Beziehungen online zu pflegen ist leichter als neue Kontakte virtuell aufzubauen
Die Ausbreitung des Corona-Virus hat den beruflichen Alltag vieler Menschen in Deutschland verändert. Wer kann oder darf arbeitet von zu Hause aus und bleibt mit Kollegen, Kunden und Geschäftspartnern über E-Mail, Telefon und Videokonferenzen in Verbindung. Plattformen für Videokommunikation wie Zoom, MS-Teams, Skype und Webex sind einfach zu bedienen und in der Grundversion kostenlos. Sie werden nicht nur als Kommunikationskanal in der Arbeitsumgebung genutzt, sondern auch von Familien und Freunden, die sich bei Drinks und Quizabenden über Bildschirm unterhalten. Diese Art von Verbindung - in Deutschland noch vor einigen Monaten undenkbar - scheint überraschend gut zu funktionieren. Vor allem für einen begrenzten Zeitraum mit bestehenden Beziehungen, die früher persönlich über Jahre hinweg aufgebaut wurden.
Wie aber gelingt es im sogenannten „People`s Business“ von etwa Rechtsanwälten und Unternehmensberatern, dauerhaft über Videokonferenz neue Mandanten und Kunden zu akquirieren und Arbeitsprozesse rein virtuell aufzusetzen? In Bereichen, in denen starke und nachhaltige Beziehungen als wesentliche Voraussetzungen für Erfolg gelten. Wie können Sie es als Anwalt oder Unternehmensberater schaffen, gute Beziehungen zu unbekannten Personen ohne jeglichen physischen Kontakt aufzubauen? Und ist es psychologisch überhaupt möglich, eine tragfähige Beziehung aufzubauen, wenn man die Person nur durch eine Kameralinse sieht und sie über das Mikrofon des Laptops hört? Oder müssen Sie einen Qualitätsunterschied zwischen persönlich oder online eingerichteten Mandanten- und Kundenbeziehungen akzeptieren?
Die unten beschriebenen Erkenntnisse aus Studien zur Wirksamkeit von Coaching und Therapien können anderen menschenorientierten Berufsgruppen wie Anwälten und Unternehmensberatern weiterhelfen, im virtuellen Raum erfolgreich Beziehungen aufzubauen und zu gestalten.
Die Beziehung bestimmt, wie die Qualität des Arbeitsproduktes wahrgenommen wird
Sobald zwei oder mehrere Menschen aufeinandertreffen, etwa in einem beruflichen Kontext, entsteht soziale Interaktion. Die Soziologen Harold H. Kelley und John W. Thibaut nennen diese soziale Interaktion Beziehung und definieren sie als gegenseitigen Einfluss und Interdependenz. Sie haben festgestellt, dass die Qualität der geschäftlichen Beziehung, etwa zwischen Anwalt und Mandant, die Wahrnehmung des Arbeitsproduktes beeinflusst. Finden wir eine Person sympathisch, so bewerten wir ihre Leistung deutlich positiver als die vergleichbare Leistung eines Menschen, dem wir neutral gegenüberstehen. Bei Coaches besteht zudem die Besonderheit, dass die Dienstleistungsdyade, die Beziehung zwischen Coach und Klient, gleichzeitig ein Teil des „Produktes“ und damit bestimmender Faktor für die Wirksamkeit und den Erfolg des Coachings ist. Die beiden Psychologen Douglas McKenna und Sandra Davis haben die vielzitierte Hypothese aufgestellt – und durch Studien belegt -, dass 30 Prozent des Erfolges von Therapie und Coaching der Coach-Klienten-Beziehung zuzuschreiben sind. Auch wenn Anwälte und Unternehmensberater zusätzlich zur Kundenbeziehung über ein Beratungsprodukt verfügen, ist die Bedeutung einer guten Arbeitsbeziehung für die Erfolgszuschreibung aus Sicht des Mandanten elementar, wie eine Umfrage des Branchenmagazins JUVE schon 2014 ergab.
Nach Meinung der Organisationspsychologen Björn Migge und Klaus Grawe sind neben Fachkompetenz Empathie und Wertschätzung, Präsenz, Konzentration, Klarheit und Strukturiertheit, Selbsterkenntnis und Glaubwürdigkeit für den Aufbau einer tragfähigen Arbeitsbeziehung essentiell. Wie ist es möglich, diese Werte virtuell zu vermitteln?
Sechs Erkenntnisse aus der Organisationspsychologie zum virtuellen Beziehungsaufbau
1. Sympathie schlägt Kompetenz
Ein positiver erster Eindruck ist entscheidend für eine Beziehung und kann virtuell genauso gut gesteuert und übermittelt werden wie im persönlichen Kontakt. Nach einer vielbeachteten Studie der Sozialpsychologin Amy Cuddy von der Harvard University sind dabei Sympathie und Kompetenz in genau dieser Reihenfolge ausschlaggebend. Sympathie kann dabei durch Hervorhebung von Gemeinsamkeit mit dem Gegenüber vermittelt werden, durch ein gesundes Äußeres und eine dynamische Ausstrahlung. Ähnlichkeiten mit Ihren Mandanten oder Klienten können Sie per Videokommunikation inhaltlich transportieren, über Fragen zu möglichen gemeinsamen Erfahrungen, gleichen Studien- oder Wohnorten und Hobbies. Dynamik können Sie stimmlich und durch die Formulierung kurzer bildhafter Sätze vermitteln.
2. Virtueller Smalltalk bezieht den Raum mit ein
Beziehung und besonders der Beziehungsaufbau findet im Arbeitsalltag nicht nur während der eigentlichen Besprechungen statt, sondern auch davor und danach oder in Pausen. Bei kurzen persönlichen Begegnungen im Flur oder in der Kaffeeküche ist Raum und Zeit für Smalltalk. Impulse und Signale aus dem Kontext des Mandanten oder Kunden wie Umzugskartons im Flur geben Anlässe zu privaten Gesprächen. Beginnen Sie auch Videokonferenzen möglichst mit persönlichen Bemerkungen und Fragen. Beziehen Sie den Raum Ihres Gesprächspartners dabei bewusst mit ein und fragen Sie nach Gegenständen, die Sie sehen. Diese Gesprächseröffnung dient nicht nur dem nötigen, persönlichen „Warmwerden“, sondern verringert die gefühlte Distanz der unterschiedlichen Räume.
3. Interesse zeigen und aktiv zuhören
In Studien zur Qualität geschäftlicher Beziehungen von Klaus Grawe wurden als Hauptkriterien für die Beziehungsqualität aus Sicht des Kunden oder Mandanten Interesse und Empathie genannt. Beides können Sie in einer Videoschaltung ebenso ausdrücken wie im persönlichen Kontakt. Interesse kann gut über Fragen vermittelt werden. Gezielte, beispielsweise systemische Fragen sind ohnehin ein wichtiges Interventionsinstrument in der (Rechts-) Beratung. Empathie kann über aktives Zuhören ausgedrückt werden. Dabei können Sie – vorsichtig - lautmalerisch unterstreichen, dass Sie zuhören, wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Ihr nonverbales Nicken und Ihre begleitende Mimik von Ihrem Gegenüber ausreichend deutlich wahrgenommen werden.
4. Direkter Blickkontakt ist unverzichtbar – notfalls mit Spezialkamera
Besonders die non-verbale Kommunikation zwischen den Gesprächspartnern ist und bleibt in Videokonferenzen eingeschränkt. Selbst bestes Equipment für Ton und Bild kann das menschliche Auge im Zusammenspiel mit den anderen Sinneseindrücken nicht ersetzen. Ein leichtes Augenzucken, verbunden mit einer anderen Klangfarbe der Stimme, ist am Bildschirm schwieriger wahrzunehmen als im persönlichen Kontakt. Besonders in Situationen, in denen Ihr Gegenüber etwa versucht, Emotionen zu unterdrücken, was vor allem mimisch sichtbar wird, gehen Ihnen wichtige Informationen verloren. Die Sozialpsychologin Leanne Bohannon zeigt in einer Studie gleichermaßen die Bedeutung von Blickkontakt für die zwischenmenschliche Kommunikation und die negative Konsequenz, wenn er virtuell technisch nicht hergestellt werden kann. In dieser Studie sowie in einer ähnlichen Untersuchung von Claudia Deniers berichten Klienten von geringerem Vertrauen zum Gesprächspartner, Unsicherheiten und einem Gefühl mangelnder Kontrolle, was teilweise in Beziehungsstörungen resultierte. Wenn Sie häufig Videokonferenzen in sehr vertraulichen Situationen einsetzen, lohnt sich der Kauf einer Spezialkamera, die Ihre Augenbewegung verfolgt. Ansonsten müssen Sie sich daran erinnern, immer direkt in die Kamera Ihres Laptops zu schauen, wenn Sie Ihrem Gegenüber das Gefühl des direkten Blickkontakts geben wollen.
5. Sichtbare Gestik sendet dem Gesprächspartner wichtige Signale zum gegenseitigen Verständnis
In virtuellen Begegnungen können wir den anderen nicht mit allen Sinnen wahrnehmen. Hören und Sehen sind zumindest leicht verzerrt, Schmecken, Fühlen und Riechen entfallen ganz. Diese eingeschränkte Sinneswahrnehmung hat Folgen. Wir erhalten keinen „ganzheitlichen“ Eindruck unseres Gegenübers und können selbst nur eingeschränkt Signale senden. Insbesondere bei der ersten virtuellen Kontaktaufnahme senden und empfangen alle Beteiligten nur auf wenigen der eigentlich in der menschlichen Kommunikation möglichen Frequenzen Signale. Die Soziologen Christian Licoppe und Julien Morel prägten den Ausdruck „Talking Heads Arrangement“ für Video-Kommunikation und für deren reduzierte Kommunikationsbandbreite. In ihrer Studie empfanden die Probanden es im Vergleich mit Präsenzveranstaltungen als besonders störend, dass der andere auf Bildschirmgröße schrumpft und sie nonverbale Kommunikation nicht wahrnehmen können. Daher ist es wichtig, dass Gesprächspartner in einer Videokonferenz unseren Oberkörper und unsere Arme und Hände sehen können, um über die Gestik und Körperhaltung zusätzliche „Informationen“ aufzunehmen.
6. Bildschirmpräsenz ist ein Wettbewerbsvorteil
Unsere Präsenz als wichtiger Wirk- und Sympathiefaktor für den Beziehungsaufbau ist am Bildschirm schwieriger zu transportieren als im persönlichen Gespräch. Nach Studien der Verhaltenspsychologin Olivia Fox Cabane für das renommierte MIT ist Präsenz neben Macht und Wärme eine Hauptursache für Charisma-Zuschreibungen. Die Organisationspsychologen Patrizia Ianiro und Simone Kauffeld präzisieren in einer Studie zur Wirksamkeit von Coaching, dass ein dominant-freundlicher Interaktionsstil eines Coaches als förderlich für den Erfolg des Coaching-Prozesses wahrgenommen wird. Transportiert werden diese Stile etwa durch stetigen Augenkontakt, entspannte und „große“ Körperhaltung, aktives Zuhören und kurze, klare Sätze. Sie können diese Verhaltensweisen auch online zeigen, gerade die präsente Körpersprache ist aber ungleich anstrengender zu vermitteln, weil überprononciert werden muss, um sicherzugehen, dass Ihre Signale beim Gesprächspartner ankommen.
Die eigene Haltung zur digitalen Begegnung entscheidet, ob virtuelle Beziehung funktioniert
Unstreitig ist, dass die Nachfrage und der Einsatz von Videokommunikation in der Geschäftswelt weiter zunehmen wird. Ihre Mandanten werden von Ihnen erwarten, ihre virtuellen Kommunikationskanäle souverän zu nutzen. Wenn Sie sich dafür entscheiden, Videokonferenzen häufiger einzusetzen, sollten Sie die Gestaltung Ihrer Mandantenbeziehungen auf die Spezifika des Mediums einstellen und Ihre eigene Haltung zur virtuellen Begegnung prüfen. Ihre innere Einstellung ist auch verantwortlich dafür, wie Ihr Gesprächspartner die virtuelle Begegnung erlebt. Nur wenn Sie selbst davon überzeugt sind, virtuell Beziehung aufbauen und gestalten zu können, überzeugen Sie auch ein vielleicht skeptisches Gegenüber.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass entsprechende digitale Kompetenz aller Beteiligten unabdingbar ist für einen technisch reibungslosen und störungsfreien Ablauf - gerade von Erstbegegnungen. Sie sollten wissen, welche Auswirkung die Positionierung der Kamera hat, welchen Bildausschnitt das Gegenüber sieht, welche technischen Schwierigkeiten auftreten können und wie sie zu beheben sind. Virtuelle Begegnung bedeutet also nicht einfach nur, den Kanal zu wechseln, sondern basiert im Idealfall auf einem ganzheitlichen, digitalen Kommunikationskonzept eines technologie-affinen Anwalts.
Zum Blog-Archiv