Die Veranstaltung begann mit einleitenden Worten des Organisators und Moderators Prof. Dr. Karsten Gaede, Inhaber des Lehrstuhls für deutsches, europäisches und internationales Strafrecht und Strafprozessrecht, einschließlich Medizin-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht an der Bucerius Law School, in welchen er geltend machte, dass gerade der freiheitliche demokratische Rechtsstaat seine Antwort auf einen zivilen Ungehorsam differenziert und ausgewogen geben sollte. Eingebettet war der Debattenabend in das Programm des Studium generale.
Motivation und Ziele der Letzten Generation
Im Anschluss erhielt Frau Mirjam Herrmann als Koordinatorin der Rechtshilfe innerhalb der Letzten Generation die Gelegenheit, von den Zielen und der Motivation der Aktivist*innengruppe zu berichten. Dabei zeichnete sie ein Bild der möglichen dramatischen Folgen des Klimawandels und beschrieb das Näherrücken eines ‚point of no return‘ für die Zukunft des Planeten. Nachdem sie die konkreten Forderungen der Aktivist*innen erläutert und sich zu den bewussten und aktiven Störungen der Gruppe bekannt hatte, stellte sie die Frage in den Raum, ob nicht tatsächlich der Klimanotstand den Rechtsstaat mehr als die Aktionen der Letzten Generation gefährde.
Die Berechtigung zum Aktivismus
Es folgte ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Mathis Bönte, der die Letzte Generation bereits seit ihrem Beginn rechtlich berät. Unter dem Titel „Berechtigung zum Aktivismus“ stellte er zunächst dar, wieso sich Klimawandel als eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des Notstandes darstellt. Er gab dann einen Überblick über die rechtlichen Probleme, die der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB im Bereich der Klimaproteste aufwirft. Insoweit betonte er die Notwendigkeit sofortigen Handelns und die geringere Wirksamkeit klassischer Demonstrationen. Eine Verletzung demokratischer Verfahrensregeln sehe er in den Blockaden nicht.
Verwerfliche Grundrechtswahrnehmung?
Privatdozentin und Vertretungsprofessorin Frau Dr. Dorothea Magnus (Universität Bremen/Hamburg) widmete sich sodann der Nötigung nach § 240 StGB. Sie erläuterte die höchstrichterlich konkretisierten Anforderungen an die Verwerflichkeit im Falle von Demonstrationen und Blockaden und stellte dar, inwiefern die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG in diesem Rahmen relevant werden können. Schließlich warf sie Gestaltungsmöglichkeiten für die Blockadeaktionen auf, welche die Wahrscheinlichkeit einer Bewertung als Nötigungstat verringern könnten.
Die (mangelnde) Anwendbarkeit des Notstandes
Im Anschluss nahm Prof. Dr. Armin Engländer (LMU) jüngere Rechtsprechung zum Anlass, die Fallstricke des § 34 StGB im Lichte der Klimaproteste näher zu erläutern. Dabei kritisierte er eine Entgrenzung des Eignungsbegriffs und betonte, dass das von den Autofahrenden eingeforderte Sonderopfer ohne eine demokratische Basis der Rechtfertigung entgegenstehen müsse. Ob staatliche Maßnahmen zur Abwendung der bestehenden gegenwärtigen Gefahr nicht erfolgversprechend seien, müsse intensiv geprüft werden. Nachdem er die Umgehung vorgesehener rechtlicher Verfahren, die eine Rechtfertigung über § 34 StGB üblicherweise ausschließt, kritisierte, kam er zu dem Schluss, dass § 34 StGB nicht als „Zauberformel“ zur Korrektur von Gesetzgebung fungieren dürfe.
Tötungsunrecht bei Blockaden und Staus?
Prof. Dr. Jochen Bung (Universität Hamburg) warf einen Blick auf ein mögliches Tötungsunrecht bei Blockaden und Staus und betonte in diesem Zuge vor allem die hohen Anforderungen, die an ein vorsätzliches Handeln gestellt werden müssen und die bei Blockadeaktionen im Regelfall nicht erfüllt seien. Im Rahmen der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit (durch Unterlassen) stoße man auf Beweisschwierigkeiten im Rahmen des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs beziehungsweise der hypothetischen Kausalität.
Verständnis oder harte Strafen?
Zuletzt referierte Prof. Dr. Tatjana Hörnle (HU), Direktorin des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, über die Unrechtsbewertung der in Rede stehenden Taten. Sie legte dabei besonderen Wert auf die Differenzierung zwischen moralischer und strafrechtlicher Bewertung und übertrug diesen Gedanken auch auf die Regeln zur Strafzumessung. Dabei warf sie die Frage auf, ob es auf die Bewertung von Motiven im Strafrecht überhaupt ankommen darf. Sie erläuterte die Probleme, die mit einer solchen moralischen Bewertung einhergingen. Ebenfalls ging sie auf die Frage ein, ob die Missachtung der demokratischen Entscheidungsprozesse als unrechtserhöhender Faktor in die Bewertung einfließen kann.
In der anschließenden kontroversen Podiums- und Publikumsdiskussion äußerten sich sowohl angehende als auch erfahrene Rechtswissenschaftler*innen zum Thema.