Unter welchen Umständen dürfen Obduktionen im Namen des Infektionsschutzes angeordnet werden? Entsprechen die Ermächtigungsgrundlagen für diese Anordnung den Anforderungen eines effizienten Infektionsschutzes – und wenn nicht, wie sollte sie stattdessen gestaltet sein?
Die Beantwortung dieser und weiterer rechtlicher Fragestellungen ist die zentrale Aufgabe des Instituts für Medizinrecht (IMR) an der Bucerius Law School im Rahmen des Verbundprojektes DEFEAT PANDEMIcs des „Nationalen Netzwerks der Universitätsmedizin zu COVID-19“. Der federführende Direktor des Instituts, Professor Dr. iur. Karsten Gaede, sieht darin eine „hervorragende Chance für das IMR, an einer bereits für COVID-19 bedeutenden Stelle einen interdisziplinären Beitrag zur Pandemiebekämpfung zu leisten“.
150 Millionen Euro für neues Forschungsnetzwerk
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 150 Millionen Euro geförderte nationale Forschungsnetzwerk soll mit seinen insgesamt 13 Verbundprojekten die Forschungsaktivitäten der deutschen Universitätskliniken stärken und bündeln, und insbesondere den Wissensaustausch zwischen den Kliniken verbessern. Ziel ist dabei die Entwicklung und kontinuierliche Optimierung von Strukturen und Prozessen, die eine optimale Versorgung von COVID-19-Erkrankten im ganzen Bundesgebiet ermöglichen. Hierzu wurden eine Reihe einzelner Verbundprojekte ins Leben gerufen.
Aufbau eines deutschlandweiten Obduktionsnetzwerks
Das mit sieben Millionen Euro geförderte Verbundprojekt DEFEAT PANDEMIcs, an dem das IMR seit August 2020 mitwirkt, hat zum Ziel, ein deutschlandweites Obduktionsnetzwerk aufzubauen und ein nationales COVID-19-Obduktionsregister zu entwickeln. In dem Obduktionsregister sollen gewonnene Daten, Biomaterialien und Erkenntnisse systematisch und standardisiert erfasst, zusammengeführt und digital abrufbar sein. Insgesamt nehmen 27 Universitätskliniken sowie weitere zahlreiche Institutionen wie das Robert-Koch-Institut an dem Projekt teil.
Obduktionen liefern wichtige Erkenntnisse über COVID-19
Professor Dr. med. Martin Aepfelbacher, Netzwerksprecher und Forschungsdekan des Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), betonte innerhalb einer einführenden Pressemitteilung die Relevanz von Obduktionen in der Bekämpfung der Pandemie: „Autopsien können sehr schnell wichtige Erkenntnisse liefern, die die Risikoermittlung, Diagnostik und Behandlung der Patienten entscheidend verbessern.“
Das Institut für Rechtsmedizin des UKE unter damaliger Leitung von Professor Dr. med. Klaus Püschel konnte Anfang Mai 2020 den Beweis liefern, dass die Durchführung von Obduktionen der an COVID-19 verstorbenen Patienten eine tragende Rolle bei der Bewältigung der Pandemie einnehmen können. So stellte das Team rund um Püschel fest, dass infolge von COVID-19-Erkrankungen ein deutlich höheres Thromboserisiko besteht und konnte im Zuge dessen die Behandlung durch die Verabreichung von Blutverdünnern verbessern. Die postmortale Untersuchung der Organe macht es außerdem möglich zu ermitteln, inwieweit die Erkrankung zu bleibenden Organ- und Gesundheitsschäden führen kann.
Studie zum Umgang mit Sektionsanordnungen in Deutschland
Die im Rahmen der ersten Pandemiewelle von Püschel am UKE in Hamburg durchgeführten Obduktionen wurden in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern durch die Stadt angeordnet. Dies geschah fast ausschließlich auf Grundlagen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Eine empirische Studie des UKE soll in einem ersten Schritt nun untersuchen, inwieweit in anderen Bundesländern ebenfalls von Sektionsanordnungen Gebrauch gemacht wurde. Das IMR wird die Studie rechtlich begleiten.
„Mittels einer Umfrage soll zunächst bei allen deutschen Gesundheitsämtern Daten erhoben werden, inwieweit Sektionen angeordnet wurden, auf welcher Rechtsgrundlage und vor allem mit welcher Begründung,“ erläutert John Heidemann, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des IMR intensiv in die Forschung eingebunden ist. „Zudem werden wir Experteninterviews bei den obersten Landesbehörden, die für den Infektionsschutz zuständig sind, durchführen, um herauszufinden inwieweit eine landesweite Strategie für Sektionsanordnungen verfolgt wurde,“ so Heidemann.
Die Studie soll eine bessere Abschätzung der pandemiebezogenen Mortalität, d.h. die Anzahl der Patienten, die unmittelbar durch den Erreger gestorben sind, ermöglichen. Zudem soll sie zeigen, ob auch nicht-klinische Todesfälle obduziert wurden.
Pandemie wirft neue rechtliche Fragen auf
Die COVID-19-Pandemie, die das IfSG in vielem auf den Prüfstand gestellt hat, wirft auch zu den Obduktionen unerkannte rechtliche Fragestellungen auf. „Wir müssen die derzeitigen Anordnungsgrundlagen einer Prüfung unterziehen, um bislang brach liegende Potentiale für einen insgesamt verhältnismäßigen Infektionsschutz zu heben“, beschreibt Professor Gaede das Hauptziel des IMR. „Wir werden uns beispielsweise der Frage annehmen, wie für die Rechtssicherheit bei den durchführenden Pathologinnen und Pathologen gesorgt werden kann,“ erklärt Heidemann weiter. Falls die Ermächtigungsgrundlagen für die Sektionsanordnung den Anforderungen eines effizienten und verhältnismäßigen Infektionsschutz nicht entsprechen, wollen Gaede und Heidemann die ihrer Ansicht nach notwendigen Änderungsvorschläge ausarbeiten.
Die ersten Ergebnisse und Empfehlungen werden voraussichtlich im März 2021 publiziert.