Als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die EU in rascher Abfolge mehrere Sanktionsmaßnahmen und inzwischen das 8. Sanktionspaket gegen Russland erlassen. Die umfangreichen Sanktionsmaßnahmen der EU reichen von der Sanktionierung einflussreicher Einzelpersonen z.B. aus dem Umfeld Wladimir Putins bis hin zu breit gestreuten Beschränkungen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs.
Dieser rasche und noch immer fortlaufende Wandel in Zusammenspiel mit der Vielgestaltigkeit der durch die EU ergriffenen Sanktionsmaßnahmen, erschwert es Wirtschaftsakteuren einen verlässlichen Überblick über die sie betreffenden Einschränkungen im Umgang mit russischen Geschäftspartnern zu gewinnen. Die Problematik verschärft sich zusätzlich durch die Strafbewehrung der von der EU erlassenen Sanktionen. Ein Verstoß gegen die entsprechenden Vorgaben kann erhebliche Geldbußen für die beteiligten Unternehmen aber auch Freiheitsstrafen für die involvierten Mitarbeiter und verantwortlichen Führungskräfte zur Folge haben.
Überblick über die Russland Sanktionen der EU
Erster wesentlicher Baustein der Sanktionsmaßnahmen sind die sogenannten Finanzsanktionen. Hierbei handelt es sich um gezielt gegen einzelne Personen oder Unternehmen gerichtete Sanktionen. Die betroffenen Personen werden in den Anhängen der entsprechenden Sanktionsverordnungen gelistet mit der Folge, dass das Vermögen dieser Personen einzufrieren ist. Um eine Umgehung dieses Einfriergebotes zu erschweren, besteht gegenüber den betroffenen Personen zugleich ein sogenanntes Bereitstellungsverbot.
Ein Bereitstellungsverbot hat zur Folge, dass es verboten ist, einer gelisteten Person oder einem gelisteten Unternehmen unmittelbar oder mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen. In der Praxis bedeutet dies, dass der geschäftliche Umgang mit diesen Personen vollständig untersagt ist. Weder dürfen an gelistete Personen Waren geliefert noch Zahlungen geleistet werden. Da es das Bereitstellungsverbot auch untersagt, gelisteten Personen Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen lediglich mittelbar zur Verfügung zu stellen, ist es in der Folge auch verboten diese juristischen Personen, welche sich unter der Kontrolle oder im Eigentum einer gelisteten Person befinden, zur Verfügung zu stellen. Dabei wird ein Eigentum der gelisteten Person an einer juristischen Person angenommen, sobald die gelistete Person mehr als 50 % der Eigentumsrechte oder eine Mehrheitsbeteiligung besitzt.
Der zweite Baustein der Sanktionsmaßnahmen liegt in den umfangreichen Beschränkungen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs. So bestehen weitreichende Verkaufs- und Ausfuhrverbote nach Russland, welche teilweise militärische Güter bzw. Dual-Use-Güter aber auch zivile Güter wie z.B. Hochtechnologie, Luxusgüter, Güter der Luft und Raumfahrt, Seeschifffahrt oder Ölraffinerie betreffen.
Ebenso greifen verschiedene Einkaufs- und Einfuhrverbote in den Handel mit Russland ein, welche vor allem Eisen- und Stahlerzeugnisse, Kohleerzeugnisse, Rohöl oder Erdölerzeugnisse, Kaviar, Minerale, Reifen, Holz und Möbel betreffen. Auch verbieten es die Vorgaben der EU grundsätzlich, Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung sowie Unternehmens- und Public-Relations-Beratung, Architektur und Ingenieurwesen, Rechtsberatung und IT-Beratung an die russische Regierung oder an in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu erbringen.
Andere Maßnahmen der EU zielen auf den Zahlungsverkehr mit Russland ab. So wurden zehn russische Banken, hierunter auch die beiden größten russischen Bank die Sberbank und die VTB BANK, vom SWIFT-Zahlungsverkehr ausgeschlossen, was eine Überweisung auf bei diesen Banken geführte Konten faktisch unmöglich macht. Darüber hinaus ist es verboten, auf eine amtliche Währung eines Mitgliedstaats lautende Banknoten an Russland oder an natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland zu verkaufen, zu liefern, zu verbringen oder auszuführen, was in der Praxis das Verbot von Bargeldzahlungen nach Russland bedeutet.
Auswirkungen auf Unternehmen
Aus den geschilderten Vorgaben der EU ergeben sich für Unternehmen und insbesondere für deren außenwirtschaftsrechtliche Compliance verschiedene Herausforderungen, die insbesondere kleinere oder im Umgang mit Embargo-Ländern unerfahrene Unternehmen vor Schwierigkeiten stellen können.
Essenziell ist es zunächst, die fortlaufende Erweiterung der gelisteten Personen und Einrichtungen im Blick zu behalten. Waren am 21. Februar 2022 noch 193 Personen und 48 Einrichtungen im Rahmen der Russland Sanktionen gelistet, so sind es zum jetzigen Zeitpunkt ca. 1230 Personen und 115 Einrichtungen. Vor diesem Hintergrund ist auf eine laufende Aktualisierung der Daten zu achten, welche der Sanktionslistenprüfung zugrunde gelegt werden. Auch zeigt sich hierdurch ein weiteres Mal die Wichtigkeit einer regelmäßigen Bestandskundenprüfung.
Zu einer vergleichbaren Problematik führt die fortlaufende Erweiterung der Beschränkungen des Warenverkehrs. Auch hier wurde seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine eine Vielzahl neuer Beschränkungen aufgenommen, welche es erforderlich machen, das Portfolio der aus Russland importierten oder nach Russland exportierten Waren laufend mit den aktuellen Bestimmungen abzugleichen. Ergibt sich hier, dass laufende Verträge aufgrund der Bestimmungen nicht erfüllt werden dürfen, sind häufig Unstimmigkeiten mit dem Vertragspartner die Folge, welche die Frage aufwerfen, inwieweit sich betroffene Unternehmen auf eine rechtliche Unmöglichkeit, höhere Gewalt oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen können.
Auch im Zahlungsverkehr mit Russland sind aufgrund der Vorgaben der EU Besonderheiten zu beachten. Der Ausschluss der beiden größten russischen Banken – der Sberbank und der VTB BANK – vom SWIFT-Zahlungsverkehr, das Bestehen von Bereitstellungsverboten gegenüber einzelnen russischen Banken und das Verbot von Barzahlungen nach Russland schränken die Möglichkeiten zur Zahlungsabwicklung mit russischen Geschäftspartnern spürbar ein.
Erhebliche Schwierigkeiten kann auch der Umgang mit russischen Tochtergesellschaften mit sich bringen. Wenngleich die Sanktionsvorschriften der EU für eine nach russischem Recht gegründete Tochtergesellschaft eines europäischen Unternehmens nicht bindend sind, hat die europäische Muttergesellschaft die Sanktionsvorgaben der EU zu beachten und darf sich nicht an sanktionswidrigem Verhalten der eigenen Tochtergesellschaft beteiligen.
Vor diesem Hintergrund kann insbesondere eine Steuerung oder Betreuung der entsprechenden Abteilungen der Tochtergesellschaft durch die europäische Muttergesellschaft einen erheblichen Risikofaktor darstellen. Auch durch die europäische Muttergesellschaft an die russische Tochtergesellschaft erbrachte Dienstleistungen können Einschränkungen unterliegen, sodass auch deren Zulässigkeit im Einzelfall zu prüfen ist.
Umgekehrt kann auch die Beteiligung russischer Staatsbürger an europäischen Unternehmen rechtliche Fragen für die betroffenen Unternehmen aufwerfen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der russische Teilhaber von den Finanzsanktionen der EU betroffen ist. Hier stellt sich vor allem die Frage, wie verhindert werden kann, dass die Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen des Unternehmens dem sanktionierten Teilhaber zugutekommen.
Fazit
Angesichts der anhaltenden Kämpfe in der Ukraine ist eine Entspannung des Konflikts aktuell nicht in Sicht. Mit einer zeitnahen Aufhebung der Sanktionen gegen Russland durch die EU ist daher aktuell nicht zu rechnen. Vielmehr lässt die seit März 2022 anhaltend hohe Frequenz von Maßnahmen seitens der EU eine erneute Ausweitung und Anpassung der Sanktionen gegen Russland wahrscheinlich erscheinen. Dies wird weiteren Anpassungsbedarf in der außenwirtschaftlichen Compliance mit sich bringen und zugleich deren Bedeutung für Unternehmen weiter steigern.
Die Autorin Anne-Kathrin Gillig ist Rechtsanwältin und Partnerin bei der KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH und Dozentin im Rahmen des Zertifikatsprogramms Bucerius Compliance Officer. Die nächste Durchführung des Programms startet im Januar 2023.