„Wann können wir zum Fußball gehen?“ Gewappnet mit einem Ball unterm Arm stehen sechs Jungs auf dem Innenhof der Flüchtlingsunterkunft in der Friesenstraße in Hammerbrook und sehen Bucerius-Student Philipp Kleiner erwartungsvoll an. „Bestimmt zehnmal habe allein ich diese Frage heute schon gehört“, sagt der junge Mann lächelnd und nimmt sich der Rasselbande an. „Die Kleinen interessieren sich für Freizeitangebote, ihre Eltern häufig für Deutschkurse.“
Gegen Informationsdefizit
Viele Bewohner der Wohnanlage sind zum Info-Nachmittag von We.Inform gekommen. Manche stehen, manche sitzen auf Bänken und halten interessiert Flyer in den Händen, die ihnen Philipp und die anderen Informationguides gegeben haben. Seit dem 29. Juni touren die kleinen Gruppen mit Übersetzern durch die Stadt, besuchen jeden Monat etwa 20 der über 100 Flüchtlingsunterkünfte in Hamburg. Sie beantworten Fragen, erklären Inhalte der We.Inform-Website, helfen, Behörden zu finden, berichten von Hilfsprojekten. Immer mit dabei: Laptop, Zugang zum mobilen Internet, Plakate, Flyer mit Basisinformationen und Drucker, um weitere Details aus dem Netz herauszulassen.
Angesichts der unzähligen Angebote, die Hamburg seit der Flüchtlingskrise auf die Beine gestellt hat, fragt man sich, ob es weiterer Projekte bedurfte. „Und ob“, sagt Judith Büschleb überzeugt. Die Absolventin der Bucerius Law School rief bereits die ehrenamtliche Rechtsberatung Law Clinic an ihrer Hochschule ins Leben, nun im Oktober 2015 mit weiteren Kommilitonen We.Inform: „Unter den Geflüchteten in Hamburg herrschte trotz einer Vielzahl an Daten und Anlaufstellen ein erhebliches Informationsdefizit, das zu großer Unsicherheit führte. Die Infos kamen nicht bei den Leuten an.“
Lebensaufgabe statt Arabisch-Kurs
Ursprünglich hatte die junge Frau etwas ganz anderes im Sinn, als sie zum ersten Mal in die Flüchtlingsunterkunft in ihrer Straße ging. Sie wollte Arabisch lernen und ihre neuen Nachbarn begrüßen. Dann traf sie Khalid Doughmoush, einen Ingenieur aus Damaskus. Der Syrer ist Vater von vier Kindern und lebte mit vielen Ängsten, wie er ihr auf Englisch erzählte. „Asylanhörung, Probleme, Gerüchte bestimmten sein neues Leben. Überall Hürden, anstelle von Kontakten zu Hamburgern, wie er es sich eigentlich wünschte“, sagt Judith. Sie aß mit seiner Familie, gab Khalid und anderen Bewohnern der Unterkunft Antworten auf ihre Fragen, die sie im Internet suchte und erkannte: „Hilfsangebote gab es viele, aber sie waren nirgends zentral gebündelt. Es war kompliziert, sie zu finden und meist waren sie auf Deutsch.“ Entsetzt meinte Khalid damals: „Ihr Deutschen macht so gute Projekte für Geflüchtete, aber ihr erzählt uns nichts davon.“ Mit We.Inform wollten sie das ändern, sagt Judith: „Die Kombination aus mehrsprachigen Informationen im Web rund um das neue Leben in Hamburg und persönlichen Gesprächen in den Flüchtlingsunterkünften ist sehr wichtig und fehlte bisher.“
Netzwerk aus Ehrenamtlichen
Judith Büschleb trommelte an der Bucerius Law School ein Team zusammen. „Gemeinsam mit Geflüchteten erarbeiteten wir uns die Themenfelder“, erzählt sie. Was bewegt die Menschen noch außer Freizeitangeboten und Sprachkursen? Es sind Fakten zu finanzieller Hilfe, Asylverfahren, Gesundheit, Bildung, Wohnen, Arbeit, kurzum: alles zum Leben in Hamburg.
Ein 15-köpfiges studentisches Redaktionsteam interviewt regelmäßig Experten wie Asylrechtsanwälte, Sozialarbeiter und Mitarbeiter in den Behörden. Die Recherchen fließen in eine Datenbank ein, werden in Flyern und auf der mobile-tauglichen Website aufbereitet – auf Deutsch, Arabisch, Farsi, Sorani, Tigrinisch und Englisch, damit sie jeder versteht.
Fast alle Mitwirkenden sind allein aus Freude an der Sache dabei: Die Werbeagentur dreizunull aus Kiel gestaltete unentgeltlich die Werbemittel. Mammut Consulting unterstützt bei Strategie und Prozessoptimierung. Die Kanzlei Zenk steht bei juristischen Fragen zur Verfügung. Schirmherrin des Projekts ist Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD).
Ausgebildete Informationsguides
In den letzten Monaten bildete das Team über 100 Freiwillige zu „Informationguides for Refugees and Immigrants“, kurz IGRIs, aus und schickte sie zu Testeinsätzen. „Es sind Studierende, Mitarbeiter unserer Hochschule, Professoren, selbst unsere Präsidentin Katharina Boele-Woelki macht mit“, sagt Initiatorin Judith Büschleb. „Grundsätzlich sind alle Hamburger eingeladen mitzuwirken.“ Interessierte können auf der Website des Projekts einen Bewerbungsbogen aufrufen und ausfüllen. Dem folgen ein kurzes Kennlerngespräch und dann ein eintägiger Ausbildungsworkshop. Ein Einsatz pro Monat sollte mindestens sein.
Für Philipp ist es der zweite. Während er für die Fußballjungs im Internet nach Adressen und Kurszeiten sucht, erzählt er von seinen bisherigen Erfahrungen: „Die Menschen kommen mit so vielen Fragen auf uns zu. Das berührt, wir möchten helfen.“ Sie sind dann dankbar für jeden Zuspruch, und überhaupt dankbar, dass sich jemand ihrer annimmt, ihnen Wege aufzeigt, um ein neues Leben in Deutschland zu beginnen.
Positive Resonanz
Das bestätigt auch Judith Büschleb. Khalid Doughmoush tritt neben sie in den Innenhof der Unterkunft in der Friesenstraße. Die beiden sind mittlerweile gute Freunde geworden, sagt Judith und erzählt weiter, was We.Inform bewirkt: Dass ein Syrer einen Link auf der We.Inform.-Seite gleich in drei WhatsApp-Gruppen geteilt hat, ein anderer einen Volleyballverein suchte und fündig wurde.
Auch Philipp hat gefunden, was er sucht und druckt den kleinen Jungs Adresse und Wegebeschreibung zum nächstgelegenen Fußballverein aus. Dann hilft er einer Mutter, die nach einer Kleiderkammer fragt. Ihr Sohn übersetzt. Kinder sind oft Dolmetscher und Eisbrecher zugleich. Eine Frau mit Kopftuch kommt mit einem vollen Tablett in den Innenhof und bietet allen Tee, Fanta und Knabbereien an. „Es freut mich, mit welcher Begeisterung wir empfangen werden“, sagt Judith.
Zwei Monate nach dem offiziellen Projektstart ziehen die zehn Hauptverantwortlichen des über 40-köpfigen Organisationsteams ein Zwischenfazit. Sie haben sich an einem Augustwochenende im Haus eines Freundes zur Teamrunde getroffen, hinterfragen Abläufe, wollen Gedanken sortieren, Prozesse nach dem Start optimieren, erklärt Franziska Adelmann, die die Informationsguides koordiniert. Unter einem Pavillonzelt brainstormen sie, später als der Regen einsetzt, versammeln sie sich drinnen, jeder mit Laptop auf dem Schoss. „Inhaltlich sind wir gut aufgestellt“, resümiert Johannes Brinkschmidt, der intern die Fäden zusammenhält. „Wir werden Geflüchtete weiterhin befragen, welche Themen sie interessieren“, meint Judith. Außerdem stellt sich heraus, dass eine mobile Einsatzgruppe von Übersetzern gebraucht wird, „um die Website schneller zu aktualisieren“.
Weitere Hilfe ist willkommen
Es ist enorm, was das Hauptteam neben seinem Studium leistet. Etwa 20 bis 30 Wochenstunden sind durchaus die Regel. Was motiviert die We.Informer? „Leuten zu helfen. Wir hatten das Gefühl, da gibt es eine Lücke. Mit unserer Arbeit unterstützen wir die der anderen. Von Sozialarbeitern, Organisationen und Vereinen bekommen wir viel positives Feedback“, sagt Franziska und Johannes ergänzt: „Wir sind vom Konzept überzeugt. Zu helfen ist der Hauptantrieb.“
Das Projekt ist gewachsen. Die Aufgaben auch. Täglich kommen Mails. Sie müssen bearbeitet, Webinhalte angepasst werden. „Das ist arbeitsintensiv. Um effektiv weitermachen zu können, brauchen wir zusätzliche Unterstützer, Förderer, Geldmittel und Mitstreiter“, so das ganze Team.
Damit Geflüchtete in ihrer neuen Heimat ankommen können und sie besser kennenlernen, bedarf es Information. We.Inform hilft dabei. Die Fußballjungs sind der beste Beweis. Sie strahlen. Informationguide Phillip hat alle ihre Fragen geklärt. Nächsten Mittwoch gehen sie zum Training.
Wer sich engagieren möchte, erreicht das Projektteam unter info(at)we-inform.de. Weitere Informationen gibt es auf www.we-inform.de.