Frau Guntermann, Sie kommen aus der Praxis: Warum wollten Sie in die Wissenschaft zurück?
Das hatte verschiedene Gründe. Zum einen unterrichte ich sehr gerne. Mir macht es unheimlich Spaß, Wissen zu vermitteln. Und den einen oder anderen Tipp weiterzugeben, der mir im Studium sehr geholfen hätte. Außerdem liegt eine meiner Stärken im wissenschaftlichen Arbeiten. Das kam in der Kanzlei naturgemäß etwas zu kurz. Ich finde vor allem die multipolaren Interessenverhältnisse im Gesellschaftsrecht faszinierend.
Beim Ausgleich dieser Interessen geht es regelmäßig nur um Geld. Das erlaubt einen recht abstrakten Blick auf das Recht, der mir zusagt. Außerdem mag ich die Kreativität, die das Gesellschaftsrecht zulässt. Anders als in einigen anderen Rechtsgebieten geht es nicht nur um Ge- und Verbote, sondern das Gesellschaftsrecht möchte wirtschaftliches Handeln auch ermöglichen und fördern.
Profitieren Sie in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit von der praktischen Erfahrung?
Auf jeden Fall. Dadurch, dass ich mir das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht schon in der praktischen Wirklichkeit angesehen habe, habe ich einen recht guten Blick für die rechtlichen Bedürfnisse und Risiken für Unternehmen. Die Tücken vieler rechtlicher Regelungen erkennt man auch erst in der praktischen Handhabung. Wer das Ganze nur vom Schreibtisch aus miterlebt, erkennt sicher weniger die taktischen Erwägungen hinter einzelnen rechtlichen Schachzügen. Ich kenne jetzt beide Perspektiven.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ich habe mal einen Mandaten beraten, bei dem der 99%-Mehrheitsgesellschafter einer ehemals börsennotierten Kommanditgesellschaft langfristig die verbleibenden Minderheitsgesellschafter aus der Gesellschaft hinausdrängen wollte. Im ersten Schritt musste die Gesellschaft dazu wieder in die Rechtsform einer Aktiengesellschaft formgewechselt werden. Das geschieht durch Beschluss der Gesellschafterversammlung. Dort tauchte dann plötzlich ein bekannter Berufskläger auf und nutzte ein winziges rechtliches Schlupfloch im Umwandlungsgesetz, um den Formwechsel zu verzögern. Das war schon sehr eindrucksvoll mitzuerleben.
Zugleich zeigen diese Schlupflöcher aber eben auch, dass das Recht nicht an allen Stellen ideal ausgestaltet ist. Das näher zu untersuchen und aufzuzeigen und damit auch zu einer Fortentwicklung des Rechts beizutragen, verstehe ich als eine der Aufgaben der Rechtswissenschaft.
Zu welchen Themen forschen Sie?
Mein Forschungsschwerpunkt liegt im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. Hier interessieren mich verschiedene Themen. Das Organisationsrecht von Gesellschaften und die damit zusammenhängenden Haftungsfragen zum Beispiel. Aber auch die Schnittstellen zum Recht der Digitalisierung. Ich habe mich zuletzt mit einem Gesetzesentwurf befasst, der Gesellschaften die Ausgabe von elektronischen Aktien unter anderem über die Blockchain ermöglicht. Außerdem habe ich in den letzten drei Jahren recht viel zur Hauptversammlung und ihrer Verlagerung ins Digitale geforscht.
Daneben beschäftigen mich derzeit Gesellschafterklagerechte und für ein aktuelles Kommentierungsprojekt forsche ich gerade zum Ausscheiden der Gesellschafter aus der Personengesellschaft. Also ganz klassische gesellschaftsrechtliche Themen. Aber auch kapitalmarktrechtliche Fragestellungen sind für mich interessant. In der Vergangenheit habe ich mich zum Beispiel mit speziellen Fragen des Delistings befasst, also dem Rückzug von der Börse. Und mit sogenannten Related Party Transactions.
Meine weiteren Forschungsinteressen liegen im Bürgerlichen Recht. Hier habe ich zuletzt einen Aufsatz zur sachenrechtlichen Qualifizierung sogenannter Non Fungible Token geschrieben. Für meine Habilitation forsche ich zudem zu schwebenden Rechtsgeschäften. Dieses Habilitationsprojekt habe ich 2020 bei Prof. Ulrich Noack in Düsseldorf begonnen, bei dem ich auch schon zu einem GmbH-rechtlichen Thema promoviert habe.
Was haben Sie sich für Ihre Zeit an der Bucerius Law School vorgenommen?
Im Moment bereite ich mich gründlich auf die Lehre vor. Die hat für mich einen sehr hohen Stellenwert. Ich übernehme vor allem große Teile der gesellschaftsrechtlichen Ausbildung der Studierenden, aber auch einen rechtsvergleichend angelegten Kurs im International Program und vertretungsweise einen Kurs zum BGB AT in der Examensvorbereitung.
In der Forschung freut es mich sehr, dass die Bucerius Law School so international und interdisziplinär ausgerichtet ist. Hiervon möchte ich profitieren, mich aber auch selbst verstärkt einbringen. Ich möchte mich zum Beispiel mehr mit dem Thema Digitalisierung befassen. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, mich verstärkt mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz in Unternehmen zu befassen. Wo dürfen sie KI einsetzen, wo sind die Grenzen, wie transparent muss der Einsatz von KI sein? Das sind spannende Fragen, für die es einen interdisziplinären Ansatz braucht.