Leben mit Autismus – ein Alltagsbericht in genau 60 Minuten

"Manchmal fühle ich mich wie ein Salzwasserfisch im Süßwasser"

Am 22. Mai 2019 fand – organisiert durch die Diversity Hochschulgruppe der Bucerius Law School – ein Vortrag statt, in dem Julian Leske (27), Verwaltungsangestellter und Asperger Autist, den Anwesenden Einblicke in den Alltag mit seiner Autismus-Spektrum-Störung (ASS) gab. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Studium generale statt.

Dem Vortrag von Leske vorangestellt war eine fachliche Einführung in das Thema Autismus durch Dr. Daniel Schöttle, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Insgesamt seien etwa 1% der Weltbevölkerung von einer ASS betroffen. Trotz mehrerer Versuche, diese Störung zu entstigmatisieren und mehr ins Bewusstsein der Menschen zu rücken, gäbe es bisher immer noch zu wenig Spezialisten für dieses Krankheitsbild, sodass die Wartezeiten für eine stationäre Behandlung zurzeit über ein Jahr betrügen.

Nach dieser Einleitung begann Leske mit seinem Vortrag, der nach seiner Angabe etwa 60 Minuten dauern würde. Wer jedoch einen typischen Autisten - wie man ihn aus Film und Fernsehen kennt - erwartet hatte, wurde überrascht. Leske trat auf wie ein "kleiner Professor" (sic!) – eloquent, selbstbewusst und humorvoll. Laut ihm träfen aber auch einige "Autistenklischees" auf ihn zu, z.B., dass er gerne Zug fahre und eine Affinität zu klaren Strukturen habe. Letzteres bewies er auch sogleich, indem er eine sehr präzise Gliederung seines Vortrags präsentierte.

Leske ließ die Anwesenden an seinem Lebensweg teilhaben. Schon als kleines Kind sei er auffällig gewesen, so sehr, dass Berater der Familie nahelegten, ihm eine normale Schulbildung gar nicht zuzumuten. Bis zu seiner Autismusdiagnose mit 18 Jahren galt er u.a. als geistig oder lernbehindert oder verhaltensauffällig. Die Autismusdiagnose sei für ihn fast wie eine Erleichterung gewesen und eine Brücke zu einem Leben danach, in dem er dann die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten mit Erfolg absolvierte und diesen Beruf bis heute ausübt.

Auch über sehr persönliche Themen hat Leske sehr offen gesprochen, wie z.B. Schwierigkeiten, als Autist eine romantische Beziehung einzugehen und zu führen, und Probleme, schnell angemessen auf andere Menschen zu reagieren. Vor allem plädierte er für eine klare und offene verbale Kommunikation mit anderen Menschen, da dies für Autisten leichter einzuordnen sei als nonverbale Kommunikation. Nach exakt 60 Minuten war Leske am Ende seines Vortrags angelangt und bat um schriftliches Feedback der Anwesenden.

Im Anschluss daran gab es die Möglichkeit, sich bei Brezeln und Wein über den Vortrag auszutauschen und Leske weitere Fragen zu seinem Leben zu stellen, bevor er mit dem Zug und seiner Bahncard 100 zum nächsten Vortrag fuhr.

Die Veranstaltung fand im Rahmen des Studium generale statt.

Text

Martina Block (Studentin)

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