Legal Tech: Gefahr oder Chance für Verbraucher, Justiz und Rechtsstaat

Tagungsbericht inkl. Videomitschnitt online

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Wie ändert sich der Zugang zum Recht durch die Digitalisierung? Die Debatte um das Verschmelzen von Recht und Technologie beschäftigt Rechtspraxis, Politik, Wirtschaft, aber auch die Verbraucher. Über Chancen und Risiken der Technologien diskutierten Ende Januar hochrangige Experten auf Initiative des <link http: www.rechtsstandort-hamburg.de legal-tech _blank external-link-new-window external link in new>Rechtsstandorts Hamburg e.V. unter Mitwirkung des Bucerius Center on Legal Profession.

Durch den Einsatz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz wird sich unser Rechtssystem grundlegend verändern, betonte dabei Friedrich-Joachim Mehmel, Vorsitzender des Rechtsstandorts Hamburg e.V. und Gastgeber der hochkarätigen Veranstaltung in seiner Einführung: „Es ist höchste Zeit, aus den zuletzt zunehmenden fachpolitischen Diskussionen herauszutreten und einzutreten in einen gesellschaftlichen, besser: gesellschaftspolitischen Diskurs, wie denn Politik, wie Gesellschaft mit den Chancen, aber eben auch Risiken umzugehen hat. In diesem Sinne ist ein ganzheitlicher Blick geboten.“

Die Auswirkungen der Digitalisierung seien, hier waren sich alle Experten einig, deutlich spürbar: Algorithmen prägen zunehmend Kundenbeziehungen sowie Geschäftsabläufe bis hin zur Streitschlichtung und haben damit Auswirkungen auf das Rechtswesen. Aber nicht alles, was technisch möglich ist, ist rechtlich - oder für unser Gemeinwesen - unproblematisch.

So prüfen zum Beispiel Kfz-Versicherer, inwiefern sie biometrische Fahrinformationen sammeln und auswerten können. „Über Algorithmen wird daraus ein Fahr- und folglich ein Risikoprofil errechnet, auf Basis dessen der Verbraucher dann in eine entsprechende Risiko- und Beitragsklasse gestuft wird. Inwiefern diese unternehmenseigene Klassifizierung gerechtfertigt ist, darauf hat der Verbraucher allerdings keinen Einfluss“, erklärte Mathematiker Prof. Dr. Philipp Schade in seinem Impulsreferat. Und er spitzte zu: Wie werden hier ethisch-moralische Aspekte wie Gleichbehandlung und Datenschutz berücksichtigt? Welche wirklichen Rechte haben Verbraucher am Ende einer solchen Entwicklung? „Die Grundthese, die ich vertrete, ist: Kein Versicherter in diesem Land ist in der Lage, die Qualität, Genauigkeit und Korrektheit seines Versicherungsvertrages zu prüfen. Ich habe keine Chance zu prüfen, auf welche Zahlen ich als Verbraucher resp. Versicherungsnehmer Anspruch hätte und zu welchem Recht ich befähigt wäre,“ hob Prof. Dr. Schade hervor.

<link internal-link internal link in current>Markus Hartung, der Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession, betonte in der Veranstaltung: „Wir haben eine ernste Krise beim Verbraucherschutz und insofern beim Zugang zum Recht. Über 70 Prozent, bei den 14-29-Jährigen sind es sogar 80 Prozent, gehen nicht mehr zum Anwalt, weil sie die Kosten resp. die Folgekosten nicht mehr überblicken können. Sie suchen sich ihr Recht woanders, nicht beim Anwalt.“ Rund 15.000 Menschen hätten zum Beispiel ihre Ansprüche gegen VW in der Diesel-Affäre einem Legal Tech-Unternehmen anvertraut und gingen nicht zu einem Anwalt. Die Unternehmen ermöglichten es Verbrauchern, risikofrei und sehr bequem – vom Handy aus – ihr Recht durchzusetzen und zwar ohne unüberschaubare Folgekosten. Deshalb sieht er in Legal Tech auch viele Vorteile für Kunden: „Für Verbraucher ist LegalTech eine Rettung und auch eine Lösung. Wenn die Verbraucher bei Streitigkeiten etwas bekommen, zahlen sie eine Provision, sonst gar nicht. Das können Anwälte nicht bieten.“

Prof. Dr. Stephan Wernicke, Chefjustitiar des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, erklärte, dass an den Amtsgerichten immer weniger kaufrechtliche Streitigkeiten verhandelt werden: „Wir haben den Wunsch der Kunden nach einer schnellen, praktischen Problemlösung. Und die Justiz kann nur noch nachlaufen. Damit müssen wir umgehen. Die Frage ist: Droht uns eine Privatisierung des Rechtsschutzes?“ Und es gehe um die Frage, welche Akteure dabei dominieren würden. „Überlassen wir“, so Wernicke weiter, „die Ausgestaltung alleine interessierten Anwälten und Finanzinvestoren im Hintergrund – oder ist das eine gemeinsame Aufgabe von Justiz und Wirtschaft, die durch öffentlich-rechtliche Strukturen flankiert werden muss?“ Eines sei dabei hoffentlich Konsens: Das Recht und seine Strukturen, gerichtliche und außergerichtliche Streitbeilegung dürften nicht zum Investitionsobjekt werden.

„Der Rechtsstandort Hamburg wird sich“, erklärte Mehmel, „diesen so wichtigen gesellschaftlichen und rechtspolitischen Herausforderungen in Zusammenhang mit Legal Tech und dem Einsatz von Algorithmen weiter annehmen und versuchen, weitere Impulse zu setzen und Lösungsansätze zu entwickeln.“

Eine vollständige Dokumentation der Vorträge in Schriftform zum Download als auch als Videomitschnitt einschließlich der anschließenden Podiumsdiskussion findet sich unter <link http: www.rechtsstandort-hamburg.de legal-tech _blank external-link-new-window external link in new>www.rechtsstandort-hamburg.de.

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Rechtsstandort Hamburg e.V.

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