Ist Containern strafbar?
Wer „containert“, also abgelaufene, aber noch genießbare Lebensmittel aus den Abfallcontainern von Supermärkten mitnimmt, setzt sich einem ernstzunehmendem Strafbarkeitsrisiko aus. Zwei Studentinnen wurden wegen Diebstahls schuldig gesprochen, nachdem sie beim Containern aufgegriffen wurden. Diesen Schuldspruch hat das Bundesverfassungsgericht nun bestätigt.
Damit ein Verhalten als Diebstahl strafbar sein kann, muss die weggenommene Sache im Eigentum einer anderen Person stehen. „Herrenlose Sachen“, wie etwa die Zeitung, die Zugpassagiere für andere an ihrem Sitzplatz liegen lassen, kann man nicht mehr stehlen.
Das Recht gibt Regeln vor, nach denen sich beurteilt, wann eine Sache herrenlos wird – allerdings sind diese Regeln nur wenig konturscharf. Es kommt vor allem auf den Verzichtswillen des Eigentümers oder der Eigentümerin an. Gerichte müssen beurteilen, ob ein solcher Wille äußerlich erkennbar geworden ist, wenn jemand etwas wegwirft.
Ein Indiz, das im Containerfall gegen einen Eigentumsverzicht durch Verantwortliche des Supermarkts spricht, ist die Tatsache, dass der Abfallcontainer des Supermarkts verschlossen wurde. Aus diesem Umstand könnte man aber auch nur schließen, dass der Supermarkt vermeiden möchte, dass andere kostenlos ihren Müll im Container entsorgen. Und auch für jedes andere für die Strafbarkeit des Verhaltens angeführte Indiz konnte in der Strafrechtswissenschaft schon eine plausible gegenteilige Interpretation vorgeschlagen werden.
Wie hat sich das Bundesverfassungsgericht zu diesem Fall positioniert?
Das Bundesverfassungsgericht hat die Macht, Urteile aufzuheben, wenn sie im Widerspruch mit den fundamentalen Prinzipen des Verfassungsrechts stehen. Ein solches Prinzip ist das ultima-ratio-Prinzip im Strafrecht. Strafe als das einschneidendste strafrechtliche Instrument soll das äußerste Mittel sein und darf nur dort eingesetzt werden, wo ein bestimmtes Verhalten in besonderer Weise sozialschädlich ist und für das geordnete Sozialleben der Menschen unerträglich ist.
Die beiden Studentinnen haben Lebensmittel, die ausschließlich dazu bestimmt waren, professionell entsorgt zu werden, an sich genommen. Der einzige Schaden des Supermarktes ist hier, dass sein Eigentum nicht genau auf dem Wege entsorgt wird, den die Marktleitung vorgesehen hat. Und doch wurde geurteilt, dass Containern strafbar, also in besonderer Weise sozialschädlich ist. In dieser befremdlichen Wertung offenbart sich der umfassende Eigentumsschutz unseres Rechtssystems.
Videoreihe „Fofftein“
Mit der Videoreihe „Fofftein“ möchten wir juristische Themen von gesellschaftlicher Relevanz für die interessierte, aber juristisch nicht vorgebildete Öffentlichkeit erklären und einordnen. Hierzu werden Mitglieder der Fakultät, Alumnae oder Alumni als Expert*innen eingeladen. In 5-10 Minuten – eben einer kurzen Kaffeepause – führen wir in die Thematik, beteiligte Akteure und die Umstände ein und erklären die Grundsätze des behandelten rechtlichen Themas.
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Matthias Amadors Wertung
Diese Wertung ist rätselhaft, besonders weil noch ein weiteres Verfassungsgut eine Rolle spielen sollte: Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen aus Art. 20a GG. Kaum ein modernes Phänomen ist so umweltschädlich und gleichzeitig so vermeidbar wie Lebensmittelverschwendung. Im Urteil zum Fall wird diese Vorschrift allerdings nicht einmal erwähnt.
Was bedeuten die Entscheidungen für politischen Aktivismus im Klimakontext?
Die Rechtsfragen um politischen Aktivismus drehen sich meist um eine Vorschrift, die in der Container-Entscheidung keine Rolle spielte: den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB. Nach dieser Norm können grundsätzlich verbotene Verhaltensweisen ausnahmeweise erlaubt sein, wenn sie dazu dienen, eine gegenwärtige Gefahr von Menschen abzuwenden. Lebensmittelverschwendung ist bisher aber nicht als gegenwärtige Gefahr anerkannt. Und die drohenden Gesundheitsrisiken der Klimakrise liegen in den Augen des deutschen Strafrechts noch zu weit in der Zukunft.
Das Strafrecht muss dringend auf moderne gesellschaftliche Herausforderungen abgestimmt werden. Neben den Gerichten ist dabei natürlich die Rolle des Parlaments als Gesetzgebungsorgan zentral. Solange hier aber nur unzureichende Konzepte vorliegen, um die Klimakrise abzuwenden, sollten Strafgerichte vorsichtig abwägen, welche Botschaft sie mit ihren Strafurteilen senden. Wenn sie Aktivist*innen mit berechtigtem Anliegen attestieren, sozialschädlich zu handeln, lenkt das davon ab, dass das eigentliche Unrecht hier in der Untätigkeit der Gesetzgebung liegen könnte.