Migration als moralisches Dilemma

Professor Dr. Reinhard Merkel über das Recht auf Erhalt der eigenen kulturellen Identität

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Eine kontroverse Debatte zum Thema „Migration als moralisches Dilemma: Gibt es ein Recht auf Erhalt der eigenen kulturellen Identität?“ fand am 31. Mai 2017 mit Professor Dr. Reinhard Merkel im Studium generale statt. Professor Dr.Thomas Rönnau moderierte die Veranstaltung. 

Im vollbesetzten Heinz Nixdorf-Hörsaal stellte Merkel, emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg, klar, nicht über die positivrechtlichen Dimensionen von Migration sprechen zu wollen; ihn interessierten vielmehr ethisch-politische Pflichten, die Deutschland zur Aufnahme von Geflüchteten verpflichten könnten. So gebe es erstens eine Pflicht zur Schaffung territorialer Gerechtigkeit; zweitens lasse sich eine Wiedergutmachungspflicht für vorangegangenes Unrecht annehmen; drittens existiere globale Verteilungsungerechtigkeit, zu deren Linderung eine moralische Pflicht angenommen werden könne. Ein Gebot zur Aufnahme von Migranten, die allein zur Verbesserung ihrer ökonomischen Lage und nicht aus blanker Not hierher kämen, könne, so Merkel, allerdings aus keiner dieser drei Pflichten hergeleitet werden. Ihnen gegenüber bleibe allein die eher schwach ausgeprägte allgemeine Hilfspflicht, die qua Solidarität bzw. Barmherzigkeit einen Anspruch des einzelnen Geflüchteten begründen könne. In ihrer Gesamtheit dürften, ja müssten solche Leistungspflichten allerdings innerhalb bestimmter „Obergrenzen“ gehalten werden, wie sie in jüngerer Vergangenheit höchst umstritten waren. Anders stehe es mit politisch verfolgten Flüchtlingen. Sie hätten schon nach der Genfer Flüchtlingskonvention einen echten subjektiven Rechtsanspruch auf Aufnahme. Unter den seit zwei Jahren nach Deutschland Gekommenen bildeten sie freilich nur eine kleine Minderheit. Und wieder anders seien Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge zu beurteilen. Auch sie hätten einen vorläufigen Anspruch auf Aufnahme, der aber mit dem Ende des bewaffneten Konflikts, vor dem sie fliehen, ebenfalls beendet werden dürfe und solle.

Der genannten (schwachen) allgemeinen Hilfspflicht gegenüber der Mehrzahl der Migranten stünden die Probleme bei der Integration der Geflüchteten gegenüber, die auch den „Erhalt der kulturellen Identität“ der Mehrheitsgesellschaft beträfen. So sei zwar unklar, was „kulturelle Identität“ bedeute, der Begriff habe aber jedenfalls eine subjektive und eine objektive Dimension. Zur objektiven gehöre ein Mindestmaß an Loyalität zur Werteordnung der Gesellschaft, welche unter Umständen durch eine schnell entstehende demographische Diversität bedroht sein könnte. Um dem entgegenzutreten müsse der Staat zur zivilgesellschaftlichen Integration durchsetzbare Regeln aufstellen, zu deren Einhaltung Migranten eine moralische Pflicht träfe. Ob diese Normen mit der Einstellung vieler Migranten aus islamischen Ländern vereinbar seien, bezweifelte Merkel. Hierfür erläuterte er die Ergebnisse einer Studie, die in ihrer Vergleichsgruppe bei Muslimen weitaus stärker ausgeprägte „fundamentalistische“ Überzeugungen im Vergleich zu Christen festgestellt habe und zitierte das Wahlprogramm der niederländischen „Denk“ – Partei. Die  Thesen führten zu einer kontroversen und lebhaften Debatte, die Merkel anschließend mit dem Publikum führte und in der er sich insbesondere dem Vorwurf stellen musste, Wertvorstellungen von Muslimen vereinheitlicht und undifferenziert dargestellt zu haben.

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Fotos: Leon Blacher

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