Prof. Felix Hanschmann hat im Mai 2021 den neuen Stiftungslehrstuhl „Kritik des Rechts – Grundlagen und Praxis des demokratischen Rechtsstaates“ übernommen. Im Interview beschreibt er seinen interdisziplinären Blick auf das Recht.
Kritik des Rechts – was muss man sich darunter vorstellen?
Ich unterscheide da drei Kritikbegriffe. Es gibt die Kritik im Recht. Der Maßstab dafür ist das Recht selbst: Man beurteilt eine Gerichtsentscheidung oder ein Behördenhandeln und kommt womöglich zu dem Ergebnis, dass es rechtswidrig ist und das Recht etwas anderes verlangt.
Der zweite Kritikbegriff ist die Kritik am Recht: Dabei bemisst man das positiv gesetzte Recht an externen Maßstäben wie etwa ökonomischen oder religiösen Erwägungen. Der dritte Ansatz ist der radikalste: die Kritik des Rechts. Da wird das Recht als Institution in der Gesellschaft hinterfragt und kritisiert.
Sie verstehen Ihren Lehrstuhl also auch rechtsphilosophisch und soziologisch.
Ja. Das entspricht meinem Wissenschaftsverständnis. Wenn man mit dem Recht arbeitet, reicht es nicht, das gesetzte Recht einfach hinzunehmen und dogmatisch sauber anzuwenden. Man muss auch nach den gesellschaftspolitischen, politischen, kulturellen und ökonomischen Verstrickungen fragen. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive heißt das: Wir brauchen eine interdisziplinäre Herangehensweise an das Recht. Ich möchte mir anschauen, was es in der Gesellschaft bedeutet und welche Interdependenzen es gibt.
Ein weites Feld. Welches sind Ihre inhaltlichen Schwerpunkte?
Ein Schwerpunkt ist die im Moment sehr lebhafte und produktive Theoriediskussion: die feministische Rechtstheorie, Critical Race-Ansätze und postkoloniale Theorien. Die bundesrepublikanische Gesellschaft verändert sich, außerdem ist das Wissenschaftssystem in globale Diskussionszusammenhänge eingebunden. Da ist zurzeit sehr viel in Bewegung. Das wird einer meiner Forschungsschwerpunkte sein.
Der zweite knüpft an die zweite Ausrichtung meines Lehrstuhls an: Was sind zurzeit die Herausforderungen für einen sozialen, demokratischen Rechtsstaat und wie werden diese in der rechtswissenschaftlichen Praxis und Literatur diskutiert?
Das klingt sehr politisch. Ist kritische Rechtswissenschaft für Sie Politik?
Ich finde wichtig, dass die Kritik des Rechts nicht nur ein wissenschaftlicher Zugang ist. Für mich ist es auch eine persönliche Haltung. Deshalb gehört die Selbstreflexion über den eigenen Status, die eigene Herkunft und die eigene politische Positionierung zwingend mit zu einer Kritik des Rechts. Dieser Ansatz richtet sich sicherlich gegen das in der Rechtswissenschaft weitverbreitete Objektivitätspostulat. Das Recht gilt gemeinhin eher als neutral, beispielsweise in Hinblick auf Geschlechterverhältnisse und ökonomische Hierarchien. Das sehe ich anders.
Öffnet sich die Rechtswissenschaft für solch gesellschaftskritische Ansätze?
Ich glaube, dass die Rechtswissenschaft offener und heterogener wird. Es gibt im Bereich der feministischen Rechtstheorie beispielsweise inzwischen Professuren, die sich dem Thema dezidiert widmen.
Dennoch ist Ihr Lehrstuhl bundesweit ohne Beispiel.
Das ist in der Tat so. Der Trend ist derzeit eher, dass die Grundlagenforschung abgebaut wird. In der juristischen Ausbildung wird sie zunehmend marginalisiert. Dieser Lehrstuhl wurde gegen diesen Trend eingerichtet. Aber natürlich sehe ich meine Aufgabe nicht nur
in der Grundlagenforschung. Mir ist es auch sehr wichtig, die Studierenden an der Law School gut dogmatisch auszubilden. Es ist auch meine Aufgabe, sie maximal gut auf ihr Examen vorzubereiten, sowohl im öffentlichen Recht als auch in den Grundlagen. Auf die Lehre mit den sehr engagierten Studierenden hier freue ich mich ebenfalls sehr.