Prof. Hermann Pünder über seine aktuellen Forschungen (Forschungsheft 2022 | 2023)

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Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht im Rahmen der Juristenausbildung

Juristinnen und Juristen sollen sich in ihrer Ausbildung – so verlangt es der Bundesgesetzgeber seit 2021 – mit dem „nationalsozialistischen Unrecht“ auseinandersetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich für die Zeitschrift „Juristische Ausbildung“ einen Beitrag zur „Pervertierung des Polizeirechts im Nationalsozialismus“ verfasst. Wie es den Nationalsozialisten gelang, ihre Schreckensherrschaft zu organisieren, habe ich im ersten Teil des Beitrags gezeigt (JURA 2023, S. 10–18). Das allgemeine Polizeirecht galt formell zwar fort.

Polizeirecht unter dem Einfluss der NS-Ideologie

Die aus der Weimarer Republik überkommenen Vorgaben wurden aber im Sinne der neuen Ideologie ausgelegt. Wie dies geschah, habe ich im zweiten Teil meines Beitrags (JURA 2023, S. 136–146) am Beispiel der 1936 erschienenen Neuauflage des in der Weimarer Republik führenden Lehrbuchs zum Polizeirecht von Bill Drews, dem legendären Präsidenten des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, gezeigt.

Familiengeschichte und individuelle Schicksale unter dem NS-Regime

Auch einige Mitglieder meiner Familie waren „in die Fänge des NS-Staates“ geraten (so der Titel eines Vortrags meines Vaters, den er Ende 2021 kurz vor seinem Tod im Studium generale unserer Hochschule gehalten hat). Dies war für mich ein Anlass, mich mit dem Schicksal des Bruders meiner Großmutter, Leo Statz, zu beschäftigen. So ist für die „Juristenzeitung“ (JZ 2023, S. 331–339) ein Aufsatz zur „Gerichtliche[n] Aufarbeitung von NS-Unrecht in der Nachkriegszeit – Denunziation als Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ entstanden.

Leo Statz: Ein Opfer des NS-Regimes

Leo Statz verfügte über einen übersprudelnden geistvollen Humor. In der Düsseldorfer Szene der Künste und des Brauchtums (vor allem im Karneval) war er ein Star. Die Nationalsozialisten sahen in diesem frohsinnigen Rheinländer schon früh einen Feind. Während sich jedermann überlegte, was er wann, wo und wem gegenüber sagte, blieb Leo Statz unbefangen. Vom „Volksgerichtshof“ unter Roland Freisler wurde er nach einem Verrat wegen „Wehrkaftzersetzung“ und „Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt und mit dem Fallbeil hingerichtet.

Nach dem Krieg – kurz vor Gründung der Bundesrepublik – wurde sein Denunziant vom Düsseldorfer Schwurgericht zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Gestützt wurde das Urteil auf das vom Alliierten Kontrollrat erlassene „Gesetz Nr. 10“, wonach „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu bestrafen waren.

Bedeutung des Falls Statz für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit

Heute steht das Verfahren exemplarisch nicht nur für die Gefährlichkeit einer couragierten Opposition gegen die Schreckensherrschaft, sondern auch für den (weitgehend gescheiterten) Versuch der alliierten Siegermächte, nationalsozialistisches Unrecht auch durch deutsche Richter (und nicht nur durch Gerichte der Siegermächte wie bei den „Nürnberger Prozessen“) im Wege einer „Selbstreinigung“ aufarbeiten zu lassen.

Ethik und Moral im Angesicht des Nationalsozialismus

Das Verhalten von Bill Drews und von Leo Statz wirft grundlegende Fragen auf. Hätte er als führender Vertreter eines rechtsstaatlichen Polizeirechts ein Zeichen setzen müssen, dass man als anständiger Jurist den NS-Staat nicht unterstützen darf? Oder durfte er – ja sollte er sogar – wie viele andere Juristen an Unrecht mitwirken, um – wie es in der Nachkriegszeit häufig hieß – „Schlimmeres zu verhüten“?

Welche persönlichen Nachteile sollte man hinnehmen, wenn man sich dem Unrecht entzieht? Unter welchen Umständen ist ein aktiver Widerstand geboten? Welche Nachteile muss man in Kauf nehmen? Was kann man Angehörigen zumuten? Klar ist: Wenn man sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt, hat man genug „food for thought“.

 

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momentum,

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