Der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr, § 315b StGB
Außerdem kann je nach konkretem Einzelfall ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr vorliegen, der in § 315b StGB geregelt ist. Dort heißt es: „Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, dass er Hindernisse bereitet und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“.
Gemäß Absatz 4 kann etwas milder bestraft werden, wer die Gefahr fahrlässig verursacht.
Erforderlich ist hier eine konkrete Gefahr für die genannten Rechtsgüter. Dabei ist entscheidend, ob es nur noch vom Zufall abhängt, ob ein Schaden eintritt oder nicht. Es muss also ein sog. „Beinaheunfall“ vorliegen. Je nach konkretem Einzelfall kann also auch dieser Tatbestand erfüllt sein, wenn man sich auf der Autobahn festklebt.
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, § 113 StGB
§ 113 StGB fordert das Leisten von Widerstand durch Gewalt. Erforderlich für die Erfüllung dieses Gewaltbegriffs ist dabei in jedem Fall eine Krafteinwirkung gegenüber dem*der Polizeibeamt*in. Diese kann unmittelbar oder mittelbar über die Krafteinwirkung auf Sachen erfolgen. Das widerstandslose „Wegtragenlassen“, das von den meisten Aktivist*innen praktiziert wird, fällt darunter aber nicht. Auch das Festkleben auf der Autobahn, das bereits vor einem Polizeieinsatz erfolgt, weist diesen notwendigen Personenbezug eher nicht auf.
Wurde aber auch rechtswidrig gehandelt?
Man könnte meinen, dass die Aktivist*innen sich aber auf das Demonstrationsrecht berufen könnten. Das Recht, sich zu öffentlichen Meinungskundgaben zu versammeln, ist mit der Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 Grundgesetz garantiert. Diese grundrechtliche Garantie bedeutet auch, dass eine Handlung, die diesem Schutz unterfällt, nicht zu einer Strafbarkeit führen soll.
Dieser Grundsatz gilt aber nicht grenzenlos: Die Versammlungsfreiheit steht unter einem sog. „Gesetzesvorbehalt“, der durch das Versammlungsgesetz konkretisiert wird. Dieses bestimmt Inhalt und Grenzen der Versammlungsfreiheit. Nur wenn eine rechtmäßige Versammlung vorliegt, kommt eine Rechtfertigung über Artikel 8 Grundgesetz überhaupt in Betracht.
Generelle Anforderungen an eine rechtmäßige Sitzblockade
Eine „rechtmäßige Sitzblockade“ ist jedenfalls bei unfriedlichen Versammlungen nicht gegeben. Hierfür ist aber ein „durch Aggression geprägter Charakter der gesamten Versammlung“ erforderlich, der sich bei den Klimakleberprotesten eigentlich nicht feststellen lässt.
Keine selbsthilfeähnliche Durchsetzung eigener Forderungen
Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben aber auch noch weitere Anforderungen und Maßstäbe für rechtmäßige Sitzblockaden entwickelt. Als erstes Ausschlusskriterium für eine rechtmäßige Versammlung gilt es, wenn die Versammlung „zum Zwecke einer selbsthilfeähnlichen Durchsetzung eigener konkreter Forderungen erfolgt“. Da die Aktionen der Klimaaktivist*innen dazu dienen, Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu erregen, sind Anhaltspunkte für eine konkrete und vor Ort durchsetzbare Forderung hier nicht ersichtlich.
Behinderung und Zwangswirkung als unvermeidbare Nebenfolge
Das Bundesverfassungsgericht entwickelte außerdem den Grundsatz, dass Behinderung und Zwangswirkungen nur durch Artikel 8 gerechtfertigt sind, wenn sie als „sozialadäquate Nebenfolge mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind und sich auch durch zumutbare Auflagen nicht vermeiden lassen“.
Danach steht den Klimaaktivist*innen die Wahl einer öffentlichen Straße als Versammlungsort grundsätzlich offen. Außerdem sind nach Ansicht des Verfassungsgerichts gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen durch die Versammlung unvermeidbar.
Weiter heißt es jedoch, dass es an dieser Voraussetzung fehlt, wenn Behinderungen nicht nur als Nebenfolge in Kauf genommen werden, sondern eben gerade beabsichtigt werden, um die Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen zu erhöhen. Hieran könnte eine Straflosigkeit der Klimaaktivist*innen aufgrund von Artikel 8 also scheitern, da sie mit ihren Aktionen ja explizit das Ziel verfolgen, den Autoverkehr für einen gewissen Zeitraum lahmzulegen.
Die besondere Verwerflichkeit der Nötigung
Im Rahmen des Straftatbestandes der Nötigung ist dann noch eine Besonderheit zu beachten, denn in seinem zweiten Absatz bestimmt der § 240 StGB, dass eine Nötigung nur dann rechtswidrig ist, wenn sie als verwerflich anzusehen ist. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich sodann anhand einer sog. „Zweck-Mittel-Abwägung“, in deren Rahmen eine Vielzahl von Kriterien zu beachten ist.
Dazu zählen, höchstrichterlich bestätigt, die Art und das Maß der Auswirkungen auf Dritte und ihre Grundrechte, also insbesondere die Dauer und die Intensität der Aktion, die vorherige Bekanntgabe, bestehende Ausweichmöglichkeiten und die Dringlichkeit des blockierten Verkehrs.
Was in der bisherigen Rechtsprechung nicht ganz eindeutig geklärt ist, ist, ob die Fernziele der Demonstrierenden – hier also die Aufmerksamkeitserregung für die Klimaproblematik – in diese Abwägung einbezogen werden dürfen oder ob es allein auf ihre Absicht ankommt, den unmittelbaren Verkehr zu stoppen.
Im Jahr 2011 entschied das Bundesverfassungsgericht aber jedenfalls, dass auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Personen, also den Autofahrer*innen, und dem Protestgegenstand von Relevanz sei. Das Gewicht der eben aufgezählten Umstände sei mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen und das auch ohne, dass das Strafgericht eine (ihm nicht zustehende) Bewertung dieses Anliegens treffen müsste.
Das Gericht kam also zu dem Schluss, dass die nachteilig Betroffenen die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte möglicherweise in größerem Maße hinzunehmen haben, wenn die ausgelösten Behinderungen in engem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema stehen. Wohl in Hinblick auf genau diese Rechtsprechung entschied zuletzt das Berliner Amtsgericht, dass die Verwerflichkeit bei einer der Blockaden der letzten Generation zu verneinen sei.
Es begründete dieses Urteil damit, dass die Klimakrise dramatisch und dringlich sei und die betroffenen Autofahrer*innen durch ihren Ölverbrauch ebenfalls an dieser Klimakrise beteiligt sind. Insbesondere da in der Vergangenheit einige Gerichte die Verwerflichkeit in solchen Fällen bejaht haben, bleibt aber abzuwarten, ob sich weitere und vor allem höherinstanzliche Gerichte dieser Ansicht anschließen werden.
Wie steht es um den rechtfertigenden Notstand?
Vor diesem Hintergrund ebenfalls stark diskutiert ist eine Rechtfertigung durch § 34 StGB: Der rechtfertigende Notstand. Voraussetzung hierfür ist eine gegenwärtige Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut und eine rechtmäßige Notstandshandlung. Die Notstandshandlung muss zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und das mildeste der gleich geeigneten sowie ein angemessenes Mittel sein. Zudem muss am Ende eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ergeben, dass das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt.
Die Notstandslage
Hinsichtlich der Klimaproteste kommt das Rechtsgut des Umwelt- beziehungsweise Klimaschutzes in Betracht, das sich aus Artikel 20a Grundgesetz ableiten lässt und ein von § 34 StGB umfasstes Rechtsgut ist. Die notwendige Gefahr liegt dann vor, wenn es nach den konkreten tatsächlichen Umständen wahrscheinlich ist, dass es zum Eintritt eines schädigenden Ereignisses kommt. Vor dem Hintergrund der vielfältigen wissenschaftlichen Forschungen, die die Folgen einer globalen Erderwärmung belegen, ließe sich eine solche Gefahr annehmen.
Gegenwärtig ist die Gefahr unter anderem, wenn der Zeitpunkt der letzten effektiven Möglichkeit der Gefahrabwendung eingetreten ist. Auch für diese Beurteilung ist ein Rekurs auf die existierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse notwendig. Mit Blick auf die Prognosen vieler Wissenschaftler*innen hinsichtlich der irreversiblen Schäden an der Umwelt ist es daher nicht fernliegend, hier auch von einer Gegenwärtigkeit auszugehen.
Die Notstandshandlung: geeignet und erforderlich
Das Festkleben auf den Autobahnen müsste darüber hinaus das mildeste der gleich geeigneten Mittel zur Gefahrenabwehr darstellen. Man könnte schon bezweifeln, dass der Klimaprotest überhaupt zur Bekämpfung des Klimawandels geeignet ist. Der Klimaprotest muss für die Eignung die Gefahrenlage aber nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit beseitigen. Ungeeignet ist ein Mittel nur dann, wenn die Maßnahme die Chance einer Gefahrenabwehr in keiner Weise oder nur unwesentlich erhöht.
Geeignet?
Problematisch sind hier zwei Punkte: Zum einen ist umstritten, ob eine Eignung angenommen werden kann, wenn kein unmittelbarer Wirkungszusammenhang zwischen der Maßnahme und Gefahrenabwehr erkennbar ist, sondern beispielsweise nur die Erregung von politischer und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit für die Gefahr bezweckt wird.
Das Anliegen der Klimaaktivist*innen ist es vordergründig, Aufmerksamkeit für die Thematik zu erregen. Dass ein unmittelbarer Wirkungszusammenhang zwischen dem zeitweiligen Stoppen des Verkehrs und der Verhinderung des Fortschreitens des Klimawandels festgestellt werden kann, ließe sich plausibel bestreiten.
Wesentlich?
Sollte man einen solchen Wirkungszusammenhang aber bejahen, beispielsweise weil durch das Stoppen des Verkehrs zeitweilig die Emissionslast dieser Fahrzeuge verringert wird, bleibt zum anderen die oben erwähnte Wesentlichkeitsschwelle problematisch. Denn der positive Effekt dieses zeitweise durch den Protest gestoppten Verkehrs wird kaum messbar sein.
Demgegenüber ließe sich aber gegebenenfalls argumentieren, dass bei einer so komplexen Gefahrenlage wie der des Klimawandels, die sowieso nur durch eine Vielzahl einzelner Maßnahmen abgewendet werden kann, auch nicht von jeder dieser Handlungen gefordert werden kann, dass sie einen starken und gefahrverringernden Einfluss hat.
Man könnte es vielmehr ausreichen lassen, wenn sie ein sinnvoller Bestandteil des Gesamtvorgehens ist, welches dann zu einer Gefahrbewältigung führen kann. Viele einzelne, für sich genommen unwesentliche Maßnahmen, können dann in Summe doch als wesentlich angesehen werden.
Erforderlich?
Selbst bei einer Bejahung der Eignung müsste die Blockade dann aber auch erforderlich sein. Dabei gilt: Grundsätzlich müssten die Aktivist*innen sich im Rahmen des Notstandsrechts auf die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe verweisen lassen, insbesondere, wenn es konkrete Verfahren oder bestimmte Institutionen gibt, die für den Sachbereich zuständig sind.
Als milderes Mittel käme es also in Betracht, die durch den demokratisch legitimierten Staatsapparat bereitgestellten Ressourcen zu nutzen. Diese Mittel müssten aber auch gleich geeignet sein, um eine Rechtfertigung wirklich auszuschließen. Hier ist ein Raum für Diskurs – zur Orientierung sei einmal erwähnt: Das Amtsgericht Flensburg hat zuletzt eine Baumbesetzung tatsächlich als erforderliches Mittel betrachtet, das in Anbetracht der hohen Wertigkeit des geschützten Rechtsguts auch hohe Anforderungen an die gleiche Eignung gestellt hat. Auch hier bleibt aber abzuwarten, ob diese Auffassung Zustimmung findet.
Interessenabwägung
Letztlich muss das geschützte Interesse, also der Klimaschutz, das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegen. Durch die Straßenblockaden werden die Autofahrer*innen an der Weiterfahrt gehindert und somit zum Stehenbleiben genötigt. Dadurch werden sie in ihrer Willens-, Entschließungs- und auch Betätigungsfreiheit sowie in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt. Sollte es tatsächlich zu einer Gefährdung von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer*innen kommen, kommt das natürlich noch erschwerend hinzu.
In die Abwägungen sind ähnlich wie bei der oben erläuterten Diskussion um die Verwerflichkeit die Art und Schwere der Beeinträchtigung dieser Rechtsgüter dem Zweck gegenüberzustellen. Die Gegenüberstellung muss zu dem Ergebnis eines wesentlichen Überwiegens des Interesses am Klimaschutz kommen.
Dieser Maßstab stellt tatsächlich eine hohe Hürde dar. Für die Klimaaktivist*innen streitet dabei jedenfalls, dass sich der Klimaschutz auf die Staatszielbestimmung des Artikel 20a Grundgesetz zurückführen lässt und der Klimawandel wissenschaftlich nachgewiesen eine enorme Bedrohung für die Zukunft des Planeten darstellt.
Gleichzeitig muss aber auch einbezogen werden, dass die konkrete Protestmaßnahme zum Schutz dieses wichtigen Rechtsguts nur einen marginalen Teil beiträgt. Wie diese Abwägungen im Einzelfall ausfallen werden, ist dabei nicht von vornherein klar und kann sicherlich diskutiert werden. Bisher fielen die gerichtlichen Urteile aber zumeist zu Lasten der Aktivist*innen aus. Die Rechtslage ist also vielschichtig und bei weitem noch nicht geklärt – es bleibt spannend!