Am 2. November waren Professor Dr. Wilhelm Heitmeyer (Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld) und Professor Dr. Dr. Günter Frankenberg (Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main) zu Gast an der Bucerius Law School im Gespräch mit Sophie Averdieck vom Lehrstuhl Kritik des Rechts. Sie berichteten von ihrem gemeinsamen interdisziplinären Projekt, das sich mit einer der größten Gefahren für die liberale Demokratie beschäftigt – dem Autoritarismus.
Produkt dieses Projekts ist ein Buch, das an diesem Abend ebenfalls vorgestellt wurde, in dem 15 Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen Ursachen und Treiber des Autoritarismus analysieren („Treiber des Autoritären – Pfade und Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, 2022 erschienen im Campus Verlag).
Autoritarismus, Populismus, Illiberalismus
Frankenberg hat zunächst den dem Projekt zugrundeliegenden Begriff des Autoritarismus erklärt. Zudem grenzte er diesen ab zu Begriffen, die wissenschaftlich und medial derzeit auch vermehrt Aufmerksamkeit bekommen. Autoritarismus sei nicht einfach ein Schattenbegriff wie der Iliberalismus, der vom Liberalismus abhängig sei. Auch sei er greifbarer als der Begriff Populismus, dessen Definition noch weit umkämpfter und unklarer sei als die der anderen Begriffe. Unter dem Begriff Autoritarismus ließen sich zudem Phänomene wie Nationalismus, Frauenfeindlichkeit und Rassismus besser zusammenfassen. So behielten sie den Begriff als Grundlage ihrer Arbeit bei.
Krisen, Kontrollverluste, Konfliktmodi
Heitmeyer wandte sich den verschiedenen Faktoren, die autoritäre Entwicklungen begünstigen, zu. Er half sich mit einem dreistufigen Krisenbegriff, der Krisen empirisch greifbar machen sollte. Wenn Problemlösungsinstrumente nicht mehr wie gehabt funktionierten und die Zustände vor dem Ereignis nicht mehr wiederherstellbar seien und auch keine politischen Angebote bestünden, mit den Wirkungen umzugehen, dann könne man von einer Krise sprechen. Kontrollverluste und ein Konfliktlösungsmodus, der eine Entweder-Oder-Struktur aufweise, führten in den Autoritarismus. Beispiele für derartige Entwicklungen seien die Sicherheitskrise nach 9/11, die Hartz-4-Gesetzgebung, die Finanzkrise und die sog. „Flüchtlingskrise“.
Das Autoritäre im Recht
Günther Frankenberg beschäftigte sich im Rahmen des Projekts schwerpunktmäßig mit der Infektionsschutzgesetzgebung während der Covid-19-Pandemie. Kritisch sieht er insbesondere die zunehmende Ermächtigung der Exekutive in der Krise. Generell würden der ausführenden Gewalt immer größere Einschätzungs- und Entscheidungsspielräume bei der Abwehr von Gefahren gelassen. Dieser Trend in der Gesetzgebung habe autoritäre Tendenzen und sei eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat.
Insgesamt zeichneten die beiden Wissenschaftler ein recht bedrohliches Bild der politischen Entwicklung in Deutschland. Vor diesem Hintergrund müssten auch Gestaltung und Wirkung von Recht kritisch reflektiert werden. Angeregt durch das Gespräch wurde unter den Veranstaltungsteilnehmer*innen im Anschluss bei Brezeln und Wein weiter über dieses hochaktuelle Thema diskutiert.