Während sich die Bucerius #Lab Lectures im letzten Semester der "kalifornischen Herausforderung" der Digitalisierung gestellt haben, stehen in diesem Herbst eher politische und philosophische Themen im Fokus. Kathrin Passigs Vortrag über "Politische Mikrostrukturen: Netzprojekte und ihre Regelwerke" fragte nach dem Einfluss der Partizipationsregeln von Foren und der Kommentarspalten von Zeitungs- und Blogartikeln auf die politische Diskussion. So konnte eine Brücke zwischen der "kalifornischen Herausforderung" und der Politik geschlagen werden. Am 26. Oktober 2016 berichtete die Sachbuchautorin und Essayistin im Moot Court der Bucerius Law School im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung der ZEIT-Stiftung und des Studium generale von ihrem nächsten Buchprojekt zu dem Thema und diskutierte anschließend mit Jan Ehlert vom NDR und dem Publikum.
Ob das Internet gewährleistet, dass mehr Menschen verbesserten Zugang zu den besten Argumenten haben, oder ob die neuen Medien zu einer durch Anonymität enthemmten, unkontrollierten und verrohten Pöbelherrschaft führen, sei vor allem eine Frage der Regelwerke, so Passig. Entscheidend sei, wie, oft mittelbar durch Algorithmen, beschlossen werde, welche Beiträge zensiert werden, ohne die Diskussion zu verfälschen, und welche Kriterien Zensur und Ausschluss rechtfertigen. In Whatsapp-Gruppen, Foren und Kommentargesprächen sei hierzu meist ein Administrator befugt. Diskutiert wurde, ob ein Weg von dieser Monarchie zur Demokratie sinnvoll und umsetzbar sei, und welche Herausforderungen das mit sich brächte – soll die Mehrheit etwa eine Mindermeinung durch ein digitales Scherbengericht verbannen können? Würde das lästige Konflikte beseitigen oder Wertekonflikte – Sozialleben vs. Inhalte, Jugendschutz vs. Kunst, Meritokratie vs. Gleichberechtigung – zuspitzen? Oder gar zu homogenen Gesprächsplattformen ohne fruchtbare Diskussion führen und so eine "postfaktische" Kultur begründen, in der sich nur noch Gleichgesinnte miteinander unterhalten und in ihrer eigenen Realität versinken? Während auch Kathrin Passig (noch?) nicht von sich behauptet, zu wissen, wie die klügsten Regeln von Diskussionen im Internet aussehen, seien doch wiederkehrende Fehler durch gute Governance vermeidbar. Nach ihrer Einschätzung überwiegen die vielen Vorzüge, die der Zugang vieler zu verschiedensten Medien bietet, jedenfalls schon jetzt die Gefahren und pessimistische Ängstlichkeit sei wenig gerechtfertigt.