Hexenjagd in der Türkei? – Cumhuriyet und die türkische Pressefreiheit

Solidaritätsveranstaltung für die verhafteten Journalisten der türkischen Zeitung Cumhuriyet an der Bucerius Law School

„Ich bin stolz, Verleger eines Blattes zu sein, dessen Journalisten nicht nach der Pfeife ihres Verlegers tanzen müssen“ – das sagte Gerd Bucerius, Namensgeber und Begründer der Bucerius Law School, einmal und veröffentlichte 1962 den sehr kontrovers diskutierten und auch in Regierungskreisen auf viel Missbilligung stoßenden Artikel „Brennt in der Hölle wirklich ein Feuer“ im Magazin stern. Auch Murat Sabuncu, Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhuriyet, veröffentliche kritische Artikel, die die Leser über Missstände in der Türkei – auch in Bezug auf die Regierung Erdoğan – aufklären sollten. Doch während Bucerius in Deutschland als anerkannter Herausgeber und Verfechter der Pressefreiheit angesehen wurde, musste Sabuncu für die Verbreitung von regierungskritischen Meinungen als angeblicher Terrorist ins Gefängnis.

Sein Sohn, Muratcan Sabuncu, war im letzten Trimester Austauschstudent an der Bucerius Law School. Um an das Schicksal seines Vaters und seiner ebenfalls verhafteten Kollegen zu erinnern, organisierte er zusammen mit der Amnesty-International Hochschulgruppe und dem Studium generale eine Agora, ein Gesprächsforum aus dem alten Griechenland, für Cumhuriyet.

Nach einer Einführung durch Meinhard Weizmann, Geschäftsführer der Hochschule, fand Muratcan bewegende Worte für seine Hoffnung über die Zukunft seines Landes: „Wir warten noch immer auf die Rückkehr meines Vaters, seiner Freunde und der Freiheit. Ich bin mir sicher, dass jeder von ihnen bald wieder zurück sein wird.“

Danach berichtete ein Kollege seines Vaters, Cumhuriyet Redakteur Tayfun Atay, über seine persönlichen Eindrücke von den Vorkommnissen in der Türkei und verglich sie mit einer Hexenjagd. Amke Dietert, Türkei-Expertin bei Amnesty International, gab genauerer Einblicke in die momentane politische Situation unter Präsident Erdoğan, während Professor Dr. Jasper Finke vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Bucerius Law School erklärte, wie Regierungen drastische staatlichen Maßnahmen wie Verhaftungswellen unter Rückgriff auf den Schutz von Landesehre und Terrorismusbekämpfung zu rechtfertigen versuchen.

Steven M. Ellis, Director of Advocacy and Communications am International Press Institute Vienna, berichtete von seinen persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Präsident Erdoğan und von der historischen Entwicklung der Pressefreiheit in der Türkei. Zudem wagte er einen eher düsteren Blick in die Zukunft der Türkei und der freien Presse, da das für kommenden Sommer angekündigte Verfassungsreferendum in der Türkei Präsident Erdoğan und seiner islamisch-konservativen AKP noch mehr Macht geben werde. Etwas optimistischer zeigte sich dagegen der letzte Sprecher, Sozialwissenschaftler und Türkeiexperte Yaşar Aydın, der erklärte, dass aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Türkei ein Wandel in der Regierungspolitik zu erwarten sei.

Die Veranstaltung endete hoffnungsvoll mit dem Abspielen eines türkischen Freiheitsliedes und eines Videos der Berliner Tageszeitung taz, worin die Redaktion ihren türkischen Kollegen bei Cumhuriyet ihre Unterstützung zusagten. Eine Alumna der Bucerius Law School sprach dem versammeltem Publikum außerdem wohl aus dem Herzen, als sie spontan Muratcan Sabuncu, Tayfun Atay und allen anderen Cumhuriyet Mitarbeitern ihre tiefe Bewunderung und Solidarität aussprach.

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Charlotte von Fallois, Studentin

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