Vor dem Hintergrund, dass die Rechtsstellung von homo-, bi- und transsexuellen Individuen (sog. LGBT als lesbian, gay, bisexual and transgender individuals) in der europäischen Union einem großen Wandel unterliegt, sind am 18./19. April 2016 auf Einladung von Dr. Angelika Fuchs (Leiterin des Fachbereichs Europäisches Privatrecht der ERA, Trier), Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Katharina Boele-Woelki (Bucerius Law School, Hamburg) sowie Prof. Dr. Karsten Thorn (Bucerius Law School, Hamburg) zahlreiche Wissenschaftler und Praktiker aus ganz Europa zusammengekommen, um die damit einhergehenden Fragestellungen und Probleme zu erörtern. Während am ersten Konferenztag insbesondere die rechtliche Stellung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen sowie deren Elternrechte (im Rahmen von Adoption, künstlicher Befruchtung oder Leihmutterschaft) thematisch im Vordergrund standen, wurden am zweiten Tag zum einen ein Überblick über die europäische Gesetzeslage und Rechtsprechung im Hinblick auf das Asylrecht und die Diskriminierung wegen sexueller Orientierung gegeben. Zum anderen wurde diskutiert, ob man das Geschlecht als rechtliche Kategorie noch brauche.
Dr. Constanza Nardocci (Universität Mailand) eröffnete den ersten Themenblock mit einem Vortrag über Homosexualität im Lichte der Menschenrechte und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Hierbei wurde insbesondere auf den Oliari-Fall aus dem Juli 2015 eingegangen, in welchem der Gerichtshof eine positive Verpflichtung Italiens statuierte, gleichgeschlechtliche Beziehung rechtlich anzuerkennen und damit eine neue Interpretationsdimension des Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) eröffnete.
Es folgten Portraits zur Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen in Nord-, Zentral-, Süd und Osteuropa durch Prof. Dr. Ingrid Lund-Andersen (Universität Kopenhagen), Samuel Fulli-Lemaire (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg), Prof. Dr. Cristina González Beilfuss (Universität Barcelona) sowie Prof. Dr. Suzana Kraljić (Universität Maribor) sowie eine anschließende rechtsvergleichende Zusammenfassung durch Prof. Dr. Kees Waaldijk (Leiden Universität).
Der zweite Themenblock wurde durch Tim Amos, QC (Chambers of Lewis Marks QC, London) mit einem Vortrag über die zentralen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Elternschaft von gleichgeschlechtlichen Paaren in der EU eingeleitet. Hierbei kam er auf Adoptionsrechte, die Stiefkind-Adoption sowie die Elternschaft bei künstlichen Befruchtungsmethoden und Leihmutterschaft zu sprechen. Ob die multiple Elternschaft eine Möglichkeit wäre, rechtliche Probleme im Hinblick auf die Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare zu lösen, war u.a. Gegenstand der darauffolgenden Diskussion. Durch Vorträge von Isabelle Rein-Lescastereyre (Cabinet BWG Associés, Paris) und Dr. Geoffrey Shannon (Berichterstatter der irischen Regierung für Kinderschutz, Dublin) wurden die kontroversen Probleme, die mit der grenzüberschreitenden Leihmutterschaft und internationalen Adoption einhergehen, vertiefend erörtert. Gelegenheit für umfassenden Austausch von Rednern und Teilnehmern bot der den ersten Konferenztag abschließende Runde Tisch zum Thema „Elternrechte von gleichgeschlechtlichen Paaren in der EU“.
Der zweite Konferenztag beschäftigte sich mit Themen, die über das Familienrecht hinausgingen. Von Dr. Neža Kogovšek Šalamon (Peace Institute, Ljubljana) wurden den Teilnehmern Herausforderungen geschildert, denen sich LGBT im Rahmen eines Asylantrags und der Immigration stellen müssen. Sodann erörterte Prof. Robert Wintemute (King’s College London) die aktuellen Rechtsprechungslinien von EuGH und EGMR zur Diskriminierung wegen sexueller Orientierung. Im letzten Themenblock ging es in einem Vortrag von Dr. Marjolein van den Brink (Utrecht School of Law) insbesondere um trans- und intersexuelle Individuen, die an eine Geschlechtsumwandlung gestellten Anforderungen sowie mögliche Konsequenzen, die sich für deren bereits eingegangene formelle Beziehung ergeben können. Die Frage, ob das Geschlecht als rechtliche Kategorie gänzlich aufzugeben oder eine sog. „dritte Box“ einzuführen sei, um damit rechtliche Unklarheiten oder Probleme zu lösen, war nicht nur Gegenstand des Vortrags, sondern wurde auch im Rahmen des anschließenden Runden Tisches durch Redner und Teilnehmer umfassend diskutiert.
Die Konferenz machte zusammenfassend deutlich, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen und unterschiedliche soziale Geschlechter (gender) in vielen europäischen Ländern zunehmend rechtlich anerkannt werden, eine gänzliche Gleichstellung mit verschiedengeschlechtlichen Ehen zumeist aber noch aussteht. Zudem zeichnete sich ab, dass das Recht der Person vielleicht zu überdenken sei. Mit den Worten “All rights to all” beendete Prof. Boele-Woelki ihre Abschlussrede und fasste damit prägnant wohl einen der wichtigsten Punkte zusammen, auf den es im Zusammenhang mit gender issues ankommt.
Ein ausführlicher Tagungsbericht wird auch in der Zeitschrift „Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts“ (IPRax) zu finden sein.