Zum Ende des Kant-Jubiläumsjahres spricht Kantforscher Prof. Marcus Willaschek mit Prof. Kai-Michael Hingst über den bekannten Königsberger Philosophen und Aufklärer. Mit Prof. Willaschek spricht dabei ein ausgewiesener Experte und vielgefragter Redner im Kant-Jahr. Die Veranstaltung ist eine Kooperation des Studium generale der Bucerius Law School mit der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS.
Im sehr gut besetzten Auditorium der Bucerius Law School wird sofort deutlich, dass es an diesem Abend, nicht um einen zeitlich wie gedanklich entrückten Philosophen gehen soll, sondern Kant in jeder Hinsicht in unsere Gegenwart geholt wird. Prof. Hingst gliedert den Gesprächsverlauf in drei Abschnitte: Zunächst soll das Kant-Jahr Revue passieren, dann soll Kant als Aufklärer thematisiert werden und schließlich wird es um Kants Gedanken zum Frieden gehen.
Aktualität von Kants Denken
Die Veranstaltungen des Kant-Jahres 2024 machen deutlich, wie aktuell das Interesse an dem Denker gerade in Deutschland ist. Prof. Willaschek nennt als besonderes Ereignis den Festakt zu Kants Geburtstag am 22. April mit einer Ansprache des Bundeskanzlers, die zeigt, wie hoch Kants Philosophie in Deutschland auch auf politischer und kultureller Ebene geschätzt wird. Prof. Willaschek charakterisiert außerdem seine eigene Rolle als Kantforscher so, dass es nicht nur darum gehe, Kant als historischem Denker zu begegnen, sondern darum, anhand der Texte Kants aktuellen philosophischen Fragen nachzugehen. Kant beeindrucke dabei insbesondere durch sein umfassendes Oeuvre, das von den klassischen Disziplinen der Philosophie wie Metaphysik und Ethik bis hin zu naturwissenschaftlichen Abhandlungen reicht, für die Kant heute weniger bekannt ist.
Kant als Aufklärer
Daraufhin wendet sich das Gespräch einer umso bekannteren Rolle Kants zu: Der als Aufklärer. Prof. Hingst ruft dem Publikum den Wahlspruch der Aufklärung „Sapere aude! Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!“ sowie den ersten Satz aus Kants Artikel „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ in Erinnerung: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Von diesem Kant-Zitat ausgehend nähern sich die Gesprächspartner der Frage, was es heute heißt, im kantischen Sinne verständig zu denken. In Anlehnung an das „selbstverschuldet“ weist Prof. Willaschek darauf hin, dass Kant betont, dass neben gewissen menschlichen Kapazitäten Rahmenbedingungen nötig sind, um das Denken zu entfalten. Dazu gehören etwa Freiheitsrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit, aber auch Institutionen wie Medienhäuser, Diskursräume oder Schulen. Damit betont Prof. Willaschek, wie gesellschaftlich eingebettet und wie sensibel für gesellschaftliche Realitäten Kants Vernunftbegriff sein kann. Daraufhin folgte die Frage, inwiefern Kant unser Zeitalter wohl als aufgeklärt verstehen würde. Prof. Willaschek weist darauf hin, dass eine Vielzahl gegenwärtiger demokratischer und rechtsstaatlicher Einrichtungen als Errungenschaften im kantischen Sinne bezeichnet werden können. Allerdings sei Aufklärung nicht als Schwelle zu denken, die eine Gesellschaft überschreite, sondern vielmehr als infinitesimaler Prozess, in dem sich eine Gesellschaft dem Ideal von Aufklärung annähert, was auch als Auftrag für unsere Zeit verstanden werden müsse.