Prof. Krell und die Heimtücke
Professor Paul Krell, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht in der globalisierten und digitalisierten Risikogesellschaft an der Bucerius Law School, erläutert im Rahmen der neuen Videoreihe „Forschung im Fokus“ das Mordmerkmal der Heimtücke. Professorin Boele-Woelki, Präsidentin der Bucerius Law School, beschreibt das Format als Anregung für den wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Diskurs.
Professor Krell behandelt folgenden Fall: Ein Mann fährt eine Fahrradfahrerin an, um ins Gefängnis zu kommen, damit er dort Nahrung und Medikamente erhält, die er sich sonst nicht leisten kann. Nach Ansicht des BGH ist der Mann des Mordes aus Habgier schuldig.
Problematik mit der BGH-Entscheidung
Ebenso wie andere Wissenschaftler hielt auch Professor Krell das Ergebnis des BGH für problematisch, einen mittellosen Mann, der sich weder Nahrung noch wichtige Medikamente selbst leisten konnte, wegen Mordes aus Habgier zu verurteilen Das Problem liege in der unzureichend ausgearbeiten Rechtsdogmatik zum Habgiermerkmal.
Die Rechtsdogmatik bei der Heimtücke
Ein Teil des Problems sei, dass man vielfach offenbar davon ausgehe, jede Tötung, bei der es um materielle Vorteile geht, erfolge immer aus Habgier. In der Tat gab es in der Vergangenheit wenige Grenzfälle; doch heiße das nicht, dass es nicht auch problematisch Fälle gebe, was sich an der Entscheidung des BGH zeige.
Der BGH meint im Ausgangspunkt, Habgier sei mehr als irgendein Gewinnstreben, geht aber davon aus, durch etablierte Grundsätze in seiner Rechtsprechung sicherzustellen, dass die Habgier hinreichend eng ausgelegt werde. Professor Krell bezweifelt dies. Er zeigt daher auf, dass die Rechtsprechungsgrundsätze nur auf einen Teil der Problemfälle sinnvoll angewendet werden können, während sie bei einem anderen Teil überhaupt nicht passen. Das ist zum einen unangemessen und wird zum anderen vom BGH auch offensichtlich nicht erkannt.
Forschung im Fokus
Das Videoformat "Forschung im Fokus“ schafft für unsere hauseigenen Rechtswissenschaftler*innen die Möglichkeit, über ihre akademischen Veröffentlichungen zu berichten. Auf diese Weise soll, die an der Rechtswissenschaft und der Hochschule interessierte, Öffentlichkeit einen Einblick darin bekommen, aus welchem Anlass der Forschungsbericht erstellt wurde, welches Problem wie untersucht und beantwortet wird und welche Empfehlungen gegeben werden.
Auch im Schrifttum gibt es Differenzen
Aber auch die Kritik der Rechtswissenschaft gehe am eigentlichen Problem vorbei, weil sie mit den Zufälligkeiten des konkreten und skurrilen Sachverhalts argumentiere. Eine universelle Lösung könne so nicht erarbeitet werden.
Professor Krell fragt sich, warum niemand mit der verzweifelten Situation des Täters argumentiert, obwohl sich das eigentlich aufdrängt. Der Grund ist ein Strukturproblem: Weil Mord zwingend zu lebenslanger Freiheitsstrafe führt, soll der Gesetzgeber abschließend entscheiden müssen, was Mord und was Totschlag sei. Nur so sei hinreichende Rechtssicherheit gewährleistet. Selbst wenn man in diesem klassischen Konflikt tendenziell der Rechtssicherheit den Vorzug geben möchte, dürfe das aber nicht zu willkürlichen Differenzierungen führen.