Digitalisierung und Recht – Braucht das BGB ein Update?

In Zeiten von Facebook, Twitter und Daten-Clouds eine berechtigte Frage. Professor Dr. Florian Faust, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Bucerius Law School, ist ihr nachgegangen und beantwortet sie im Interview. Der Zivilrechtler erstellte für den 71. Deutschen Juristentag, der im September in Essen stattfand, ein Gutachten zum Thema Digitalität im Zusammenhang mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch.

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Herr Faust, für einen Juristen ist es eine gebührende Ehre, vom Deutschen Juristentag beauftragt zu werden. Wie kam es dazu?

Ja, es ist in der Tat eine Ehre, eine kleine, würde ich sagen (lacht). Die Initiative ging aber nicht von mir aus. Der Vorstand des Deutschen Juristentags sucht die Themen aus, von Arbeitsrecht bis Strafrecht, und verteilt sie. Bei der Fragestellung „Digitale Wirtschaft – Analoges Recht – Braucht das BGB ein Update?“ kam man auf mich zu.

Weshalb? Ist Digitalisierung eines ihrer Spezialgebiete?

Nein. Ich bin Laie auf diesem Gebiet gewesen, hatte vorher nichts damit zu tun. Und das war gut so. Der Vorstand des Deutschen Juristentags wollte, dass jemand einen Blick von außen auf das Thema Digitalisierung im Zusammenhang mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch wirft. Man wollte einen „klassischen“ Zivilrechtler beauftragen, wie ich einer bin.

Wie ging es weiter?

Im Vorfeld zum Deutschen Juristentag verfasste ich das schriftliche Gutachten. Dabei ging ich von tatsächlichen Fragen und Lebenssachverhalten aus, die die Digitalisierung mit sich bringt – etwa der Inanspruchnahme kostenloser Leistungen im Internet –, und untersuchte, inwieweit das BGB eine Lösung für sie bereithält. Das ist die klassische Vorgehensweise im Rahmen juristischer Forschung. Für das Gutachten habe ich nicht konkret Stellung genommen beispielsweise zu den AGB von Facebook, sondern Lösungsmöglichkeiten für allgemeine Probleme gefunden. Im Juli wurde das Dokument in gedruckter Form veröffentlicht, damit das interessierte Publikum vor dem Juristentag im September ausreichend Zeit hatte, es zu lesen. Auch die Presse griff es auf, so erschienen etwa in der Süddeutsche Zeitung und der FAZ Artikel dazu. Auf dem Juristentag haben Referenten dann Stellung zum Gutachten genommen und weitere Aspekte der Thematik behandelt. Etwa Frau Prof. Dr. Eva Inés Obergfell, die zu urheberrechtlichen Fragen referiert hat.

Haben Sie selber auch einen Vortag gehalten?

Nein, als Gutachter spricht man nicht. Ich habe während der vier Veranstaltungstage lediglich eine fünfminütige Einführung vor jedem Diskussionsblock gegeben und dann natürlich an der Diskussion teilgenommen.

Und nun die spannende Frage: Mehr als 116 Jahre ist das BGB alt, braucht es ein Update in unserer heutigen digitalen Welt?

Ich vertrete da einen konservativen Ansatz und sage: nein. Eine grundlegende Reform des BGB ist nicht nötig, um den Anforderungen der „digitalen Welt“ Rechnung zu tragen. Wir sollten vielmehr schauen, welche Probleme im digitalen Bereich auftreten können, und dafür gegebenenfalls Spezialregelungen treffen. So empfiehlt es sich, im Hinblick auf soziale Netzwerke wie Facebook zu regeln, was bei Beendigung des Vertrags mit den vom Nutzer eingestellten Inhalten, also Texten, Fotos und Videos, geschieht. Der Nutzer sollte, wie es auch der Entwurf für eine EU-Richtlinie vorsieht, verlangen können, dass ihm solche Inhalte auf einfache Weise wieder zur Verfügung gestellt werden.

Ein solches behutsames, punktuelles Vorgehen entspricht der deutschen Rechtstradition. So enthielt das BGB etwa von Anfang an eine Regelung über den „mittels Fernsprecher“ gemachten Antrag zum Vertragsschluss (§ 147 Abs. 1 S. 2 BGB). Nach gut hundert Jahren wurde auch die „sonstige technische Einrichtung“ in die Vorschrift aufgenommen, um Videokonferenzen, Chats und ähnliches zu erfassen. Als die E-Mail aufkam, verursachte das zunächst einige Aufregung in der juristischen Literatur: Es wurde bezweifelt, ob die traditionellen Regeln über den Zugang von Willenserklärungen auch für E-Mails passten. Bald schon erwies sich jedoch, dass insofern keine strukturellen Unterschiede zwischen E-Mails und Briefen bestehen und keinerlei Sonderregeln erforderlich sind.

Wer forciert Änderungen des BGB?

Viele Änderungen beruhen heute auf Richtlinien der EU, die in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Manche Neuregelungen gehen auch auf Anregungen von Interessengruppen wie etwa Verbraucherschützern zurück.

Wie findet die Digitalisierung im Detail derzeit Beachtung im BGB?

Es gibt heute schon punktuelle Regelungen, etwa über die elektronische Form (§ 126a BGB) oder die „Button-Lösung“ (§ 312j Abs. 3 und 4 BGB), die Verbraucher vor Kostenfallen im Internet schützen soll. Schaltflächen im Internet, über die Bestellungen aufgegeben werden, müssen gut lesbar mit „zahlungspflichtig bestellen“, „kaufen“ oder einer vergleichbaren Formulierung beschriftet sein.

Das BGB ist in seinen Grundzügen also fit für die heutige digitale Welt.

Ja, vollkommen. Die Normen des BGB sind sehr abstrakt, haben aber dadurch den Vorteil, dass sich mit ihnen auch neue Sachverhalte erfassen lassen. Meiner Ansicht nach wäre es verfehlt, stets im Hinblick auf die neueste technische Errungenschaft Sonderregeln zu schaffen. Diese wären binnen kürzester Zeit von der Entwicklung überholt. Vieles kann auch der vertraglichen Vereinbarung der Parteien überlassen bleiben. Weil wir vorhin bei Facebook waren: Es wäre nicht sinnvoll, einen besonderen Abschnitt über „Soziale-Netzwerke-Verträge“ ins BGB aufzunehmen, denn Facebook wird den Inhalt seines Vertrags mit den Nutzern durch seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen regeln, viel detaillierter und „passgenauer“, als es der Gesetzgeber könnte. Natürlich wird es diese Bedingungen möglichst günstig für sich selbst – und damit möglichst ungünstig für den Nutzer – ausgestalten. Hier helfen aber die allgemeinen Vorschriften über die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen weiter: Bedingungen, die den Nutzer unangemessen benachteiligen, sind unwirksam. Mit der Digitalisierung hat das nichts zu tun, es gilt auch für Verträge in der „analogen“ Welt wie etwa über die Benutzung einer Autowaschanlage.

Gibt es ein Thema aus Ihrem Gutachten, das auf besondere Resonanz gestoßen ist?

Die Öffentlichkeit hat sich am meisten für die Problematik „Daten als Entgelt“ interessiert. So hat etwa der Bundesrat festgestellt, dass diese Problematik einer grundsätzlichen Klärung bedürfe. Ein Beispiel: Facebook wirbt damit, dass es kostenlos ist. „Kostenlos“ ist aber nicht zwangsläufig „unentgeltlich“. In vielen Fällen zahlt man für die Nutzung von Internet-Diensten zwar kein Geld, stellt aber seine Daten zur Verfügung und gestattet ihre Nutzung, etwa zu Werbezwecken. Das wirft die Frage auf, ob hierin ein Entgelt im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegt. Das hätte etwa zur Folge, dass Jugendliche solche Dienste nicht mehr ohne Mitwirkung ihrer Eltern in Anspruch nehmen könnten. Auch für die Anwendbarkeit von Verbraucherschutzvorschriften und die Haftung des Unternehmers kann es darauf ankommen, ob ein Vertrag als entgeltlich oder als unentgeltlich zu qualifizieren ist. Ich rege in meinem Gutachten an, auf datenschutzrechtliche Wertungen zurückzugreifen und danach zu entscheiden, ob die Gestattung der Datennutzung ein Entgelt darstellt.

An welcher Stelle hapert es noch im BGB?

Eine Schutzlücke besteht im Fall der fahrlässigen Zerstörung oder Veränderung von Daten, die nicht auf meinem eigenen Rechner, sondern extern gespeichert sind zum Beispiel in einer Cloud. Werden solche Daten vom Betreiber verändert oder gelöscht, haftet er mir selbstverständlich nach dem zwischen uns bestehenden Vertrag. Zerstört oder verändert sie aber ein Außenstehender, ohne dass der Cloud-Betreiber etwas dafür kann, bleibe ich nach geltendem Recht auf meinem Schaden sitzen. Plastisches Beispiel: Ein Dritter verursacht einen Brand, durch den das ganze Rechenzentrum zerstört wird. In meinem Gutachten spreche ich mich dafür aus, ein spezielles Gesetz zum Schutz von Daten zu schaffen.

Was war das Ergebnis des Juristentags?

Die Gutachter und Referenten müssen ihre Ergebnisse in Thesen fassen. Bei mir waren das 18 Stück. Diese Thesen werden während des Juristentags noch überarbeitet und gegebenenfalls ergänzt, um die Ergebnisse der Diskussion einzubeziehen. Dann wird darüber abgestimmt. Zu meiner Freude fanden fast alle meine Thesen Zustimmung.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Eine behutsame und systematische Weiterentwicklung des Zivilrechts. Eine große Herausforderung stellt insofern der Zwang dar, EU-Richtlinien umzusetzen. Diese treffen oft punktuelle Regelungen, die sich schwer organisch in das Recht der Mitgliedstaaten integrieren lassen. So wird demnächst eine „Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte“ erlassen, die im Recht der Mitgliedstaaten, also auch im BGB, umgesetzt werden muss. Hierdurch droht dem BGB meiner Ansicht nach erhebliche Gefahr. Nicht, weil die im Richtlinienvorschlag enthaltenen Regelungen schlecht wären. Im Gegenteil, sie werden weitgehend zum selben Ergebnis führen wie die derzeit geltenden Normen des BGB. Aber die Richtlinie ist auf Verträge über digitale Inhalte beschränkt und geht damit nicht wie das BGB von allgemeinen Rechtsfragen aus, sondern von tatsächlichen Phänomenen. Das BGB enthält Abschnitte über einzelne Vertragstypen wie etwa Kauf-, Miet- und Dienstverträge. Was dabei jeweils verkauft oder vermietet wird und welche Dienste geleistet werden, ist egal. Die Richtlinie sieht dagegen einen besonderen Vertragstyp für digitale Inhalte vor, der zum Beispiel den Verkauf von Dateien, ihre zeitweise Überlassung oder Dienste wie die Cloud-Speicherung abdeckt. Das ist, als würde man einen besonderen „Vertrag über Autos“ schaffen, der den Verkauf und die Vermietung von Autos, Autoreparaturen, die Vermietung von Parkplätzen usw. erfasst. Der Verkauf eines Autos hat aber in rechtlicher Hinsicht viel mehr mit dem Verkauf eines Kühlschranks gemein als mit der Vermietung eines Autos. Auf der Ebene des Europarechts mögen Regelungen sinnvoll sein, die nur für eine bestimmte Art von Gütern – wie eben digitale Inhalte – gelten, denn eine europaweite Regelung kann nur für bestimmte Güter geboten sein. Im BGB wären mir besondere Abschnitte für Verträge über digitale Inhalte oder Autos dagegen ein Gräuel.


Website von Professor Dr. Florian Faust...

Text

Interview: Anja Reinbothe-Occhipinti, freie Journalistin

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