Fünf Fragen an Professor Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Vassilios Skouris

Seit März 2016 ist Vassilios Skouris Affiliate Professor an der Bucerius Law School. Der 68-jährige Grieche ist der ehemalige Präsident des Europäischen Gerichtshofs und hat als solcher viel zu erzählen. Bei seinem Aufenthalt im Juni an der Hochschule hat er sich Zeit genommen für ein Interview über Hamburg, Europa und die Kunst der Differenzierung.

Herr Professor Skouris, Sie haben in Hamburg promoviert und gearbeitet. Sind sie jetzt zurückgekehrt?

Es stimmt, ich habe von 1971 bis 1978 von Berufs wegen in Hamburg gelebt. Danach bin ich regelmäßig zu Besuch hier gewesen oder um Vorträge zu halten. Nun verbinde ich die Drähte wieder neu (lacht). Einige frühere Kollegen sind noch immer in der Stadt und wir werden uns bald treffen. Mein Hauptwohnsitz ist nach wie vor in Thessaloniki, ich plane aber mehrmals im Jahr für eine Woche an der Bucerius Law School zu sein, um über Themen aus dem Europarecht zu sprechen. Heute Nachmittag halte ich einen Vortrag über die „Europäische Dimension des Verwaltungsrechts“.


Nachdem Sie Ihre Juristenausbildung auch in Deutschland genossen haben – wie sehen Sie die deutsche Ausbildung im europäischen Vergleich?

Ich komme aus einer Juristenfamilie und hatte dadurch auch den Blick auf das griechische Rechtssystem. Darauf folgte die deutsche Ausbildung, die sehr gut war und die mir die Grundlagen des hiesigen Rechts vermittelt hat. Generell kann ich sagen, dass die Probleme überall gleich sind, während die Lösungen differieren können. Damals diese beiden ländervergleichenden Blickwinkel gehabt zu haben, war nicht selbstverständlich gewesen. Heutzutage passiert ein internationaler Vergleich automatisch im Studium. Die durch meine Biographie angelegte multiperspektivische Ausbildung hat mir den Zugang zum europäischen Recht erleichtert. Generell würde ich sagen: Die europäische und internationale Bedeutung in der Ausbildung ist ein „Must“, wie es so schön heißt. Es ist nicht damit getan, das eigene Landesrecht kennenzulernen, denn in jeder Rechtsdisziplin ist Europarecht enthalten. Menschen müssen Dinge international regeln, im Zivilrecht, Strafrecht, Umweltrecht usw. Im Rahmen der Ausbildung an der Bucerius Law School mache ich mir darum keine Sorgen: Sie ist international schon sehr gut ausgerichtet.


Von 2003 bis 2015 waren Sie Präsident des Europäischen Gerichtshofs. Wie hat sich dessen Relevanz im Laufe der letzten Jahre verändert?

Die Europäische Gemeinschaft war anfangs eine Wirtschaftsgemeinschaft. Jetzt befasst sie sich oft mit Einzelschicksalen im europäischen Zusammenhang, was zum Beispiel Haftbefehle betrifft oder Sorgerechtsproblematiken. Die Rechtswissenschaft ist dabei die Kunst der Differenzierung. Es gibt Grundwerte und die müssen vertreten werden, auch über die eigene Landesgrenze hinaus.

Generell ist es Sache des Staates, sich in diesem Rahmen zu arrangieren und seine Verpflichtungen, die aus dem Unionsrecht folgen, zu respektieren. Zu betonen ist hier, dass das Unionsrecht generell Vorrang vor dem nationalen Recht beansprucht und dass dieser Vorrang inzwischen weitgehend anerkannt ist. Man kann nicht behaupten, dass das Verhältnis „Unionsrecht/nationales Recht“ problemfrei ist, doch versuchen alle Beteiligten, keinen echten Konflikt heraufzubeschwören. Der Europäische Gerichtshof achtet dabei auf seine Beziehungen zu den mitgliedstaatlichen Gerichten und ganz besonders zu den höchsten Gerichten einschließlich der Verfassungsgerichte. Diese Beziehungen sind nicht immer einfach und deshalb ist es wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben und Konfliktlagen vorzubeugen. Wir sind schließlich freiwillig übereingekommen, gewisse Dinge europäisch zu regeln. Wie wichtig das ist, hat man zuletzt in der Flüchtlingspolitik gesehen.


Wie ist die Amtssprache am Europäischen Gerichtshof?

Die Arbeitssprache ist Französisch. Darauf hat man sich damals geeinigt, da bei den Gründungsmitgliedern Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden die Muttersprache Französisch überwog. Davon sind die Amtssprachen zu unterscheiden. Die Fälle können nämlich in allen 24 Amtssprachen der noch 28 EU-Länder eingereicht werden und die Verhandlungen finden in der jeweiligen Landessprache des betroffenen Mitgliedstaates statt. Es gibt Simultanübersetzung. Nicht jedes Verfahren wird mündlich verhandelt. Das kann wichtig sein, aber den schriftlichen Prozess nicht ersetzen. Am Gerichtshof sollte man sprachgewandt sein und ich habe mich immer bemüht, mehrere Sprachen zu verstehen. Meine erste Fremdsprache war jedoch Deutsch, da ich in Thessaloniki eine deutsche Schule besucht und später an der Freien Universität in Berlin studiert habe. Danach kam Englisch dazu, gefolgt von Französisch, das ich am Europäischen Gerichtshof erheblich entwickeln musste. Generell rate ich jungen Menschen, Sprachen zu lernen. Zu diesem Thema halte ich heute Nachmittag an der Bucerius Law School vor internationalen Juristen den Vortrag „Recht und Sprache“. Beides ist wichtig. Ich meine damit nicht, dass man viele Sprachen perfekt beherrschen muss, sondern dass man Zugang zu ihnen hat. Wenigstens lesen und verstehen können, sollte man einige. Wenn das in der Rechtswissenschaft fehlt, vermisst man wichtiges im anderssprachigen Judikat.


Was möchten Sie als Affiliate-Professor an der Law School bewirken?

Erst einmal ist es für mich eine Herausforderung, an der Seite renommierter Kollegen mitzuwirken. Nach längerer Zeit habe ich wieder die Möglichkeit, wissenschaftlich zu arbeiten, auch mit jungen Leuten, und zu lehren. Das hat mir die letzten Jahre gefehlt. Ich möchte dazu beitragen, die Internationalität der Bucerius Law School weiter auszubauen.

Text

Interview: Anja Reinbothe-Occhipinti

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