Eine Expedition ins Unbekannte – das war für Professor Dr. Jörn Axel Kämmerer nicht nur seine (nachgeholte) Forschungsreise in die Antarktis. Als einer der ersten Professoren der Hochschule füllte er das Pionierprojekt Bucerius Law School wissenschaftlich mit Leben. Seit nunmehr 20 Jahren lehrt und forscht er an der Hochschule. Im Interview erzählt er, was sich in dieser Zeit auf dem Campus verändert hat und was für ihn die Arbeit an der Bucerius Law School so besonders macht.
Wie kamen Sie damals an die Bucerius Law School?
Ich hatte meine schriftliche Habilitationsarbeit abgeschlossen und erste Bewerbungen verschickt. Der Name „Gerd Bucerius“ sagte mir zwar etwas, wenn auch nicht viel, von der „ZEIT-Stiftung“ hatte ich noch nicht gehört.
Trotzdem bewarb ich mich und man lud mich zum Vortrag ein. Ich muss mich gut geschlagen haben, denn wenige Tage später kam die Zusage, ich nahm sie kurzentschlossen an und zog alle anderen Bewerbungen zurück. Nun hatte ich einen Vertrag mit einer Institution, die es nur auf dem Papier gab, die noch keine Infrastruktur, kein wissenschaftliches Renommee, kein einziges Buch besaß.
Im Grunde war es eine recht kühne Entscheidung, zumal alle Stellen damals als zunächst befristete ausgeschrieben waren und niemand recht wusste, ob das Projekt ein Erfolg würde. Ich habe der Law School damals, wenn man es recht betrachtet, einen großen Vertrauensvorschuss gegeben und sie mir auch.
Was hat sich am meisten, was am wenigsten verändert?
Mir will kaum etwas einfallen, das sich seitdem nicht signifikant verändert hat, wobei das Tempo der Veränderungen natürlich in den ersten Jahren am größten war: Wir belegten damals ein einziges Stockwerk in einem Gebäudeflügel, viele Mitarbeiter arbeiteten in Bürocontainern, auf dem Campus stand eine hochtrabend als „Pavillon“ bezeichnete Baracke, in der sich anfangs die Bibliothek befand.
Partys wurden auch damals schon regelmäßig gefeiert, wir Professoren oft mitten im Getümmel, auch der Altersunterschied war ja nicht groß. Alles war sehr provisorisch, zugleich mussten wir das didaktische Konzept der Law School, das ja nur in groben Umrissen vorgegeben war, entwickeln. Die Hochschule ist größer und perfekter geworden, die Wege sind nicht mehr ganz so kurz wie einst, ein bisschen mehr Bürokratie ist hinzugekommen. Dass die ZEIT-Stiftung heute wie damals als Träger hinter uns steht, ist das zentrale und wichtigste Kontinuum.
Was macht die Arbeit an der Bucerius Law School für Sie so besonders?
Ich kenne diese Arbeit, die ich seit 20 Jahren mache, gar nicht anders, und um mir das Besondere daran vor Augen zu führen, muss ich immer mal wieder die Kolleginnen und Kollegen an staatlichen Universitäten befragen: Sagt mal, wie läuft so etwas denn bei euch?
Im Kern sind wir eine Jura-Fakultät wie andere auch, aber doch mit Eigenheiten: Es gibt beachtliche Freiheiten und Entfaltungsspielräume, zum Beispiel bei der Mittelverwendung oder bei Freitrimestern, aber auch ein enges Zeitkorsett. Ich habe meine Skepsis gegenüber dem Trimestersystem nie verheimlicht.
Die Arbeit ist anspruchsvoll und manchmal herausfordernd, man muss mit vielen Bällen jonglieren, die Studierenden haben hohe Erwartungen, aber sie sind dafür fast von Anfang an echte Sparring-Partner im Diskurs; wo sonst gibt es das?
Was war Ihre interessanteste Konferenz oder Forschungsreise während Ihrer Zeit an der Bucerius Law School?
Außenstehende fragen sich manchmal, wie es möglich ist, in einem Bereich wie der Rechtswissenschaft Forschungsreisen zu unternehmen. Klar, wir reisen nicht in den Schweizer Jura und klopfen dort bei Regen und Wind am gleichnamigen Gestein herum. Mitunter verschwinden wir in einem Sabbatical ein paar Wochen oder auch Monate an eine ausländischen Universität, um zu unterrichten oder uns dort in Bibliotheken zu vergraben. Vor mehr als zehn Jahren war ich ein Semester lang Gastprofessor an der Seoul National University, das war ebenso herausfordernd wie spannend; sogar ein Kurzbesuch in Nordkorea war dabei.
Meine interessanteste Forschungsreise fand im Grunde genommen post festum statt, denn ich habe mir 2019 das angeschaut, worüber ich ein Vierteljahrhundert zuvor geschrieben hatte: die Antarktis nämlich, von der meine Dissertation handelt. Von typischer rechtswissenschaftlicher Forschung war die Reise weit entfernt und auch für die Geologen wäre ich nicht satisfaktionsfähig gewesen, weil das Schiff kein Forschungsschiff war. Aber selbst bei Juristen stellt sich mitunter, wenn sie Dinge mit eigenen Augen sehen, ein Aha-Effekt ein, und es ist gut möglich, dass ich mich des Themas „Antarktis“ wieder einmal annehme.
Was ist für Sie der Bucerius Spirit?
Den Begriff haben andere geprägt, die nach mir an die Hochschule gekommen sind; zu meinem Sprachgebrauch gehört er eigentlich nicht. Aber ich kann Ihnen doch sagen, was einem hier auffällt und womit die Hochschule hervorsticht. Vor allem ist das eine ausgeprägte Identifikation mit der Hochschule bei praktisch allen Gruppen; die gibt es in der deutschen Universitätslandschaft sonst kaum.
Bekanntermaßen war die Gründung dieser Hochschule ein Versuch, ein deutsches Pendant zu einer amerikanischen Law School zu schaffen; daher ja auch ihr Name. Das Konzept ist nur zum Teil aufgegangen, denn unser Rechts- und Ausbildungssystem ist unverkennbar deutsch. Aber bei der Identifikation der Einzelnen mit ihrer Institution stehen wir den Amerikanern sicherlich in nichts nach.
Das Interview führte Charlotte von Fallois.