Kann Klimaschutzrecht Zeitenwende?

Jahrestagung des CECS der Bucerius Law School widmet sich Möglichkeiten zur Beschleunigung von Innovationen und Investitionen für den Klimaschutz.

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Am 28.09.2023 veranstaltete das Center for Interdisciplinary Research on Energy, Climate and Sustainability (CECS) unter der akademischen Leitung von Prof. Michael Fehling und Prof. Christoph Kumpan seine erste Jahrestagung.

In vier Panels standen Möglichkeiten zur Beschleunigung von Innovationen und Investitionen im Klimaschutzbereich im Mittelpunkt – aus verschiedenen Perspektiven, die die wissenschaftliche Bandbreite des CECS widerspiegeln.

 

Zeitenwende – politischer Anspruch, naturwissenschaftliche Notwendigkeit?

Herr Fehling begrüßte die zahlreichen Teilnehmenden aus Wissenschaft, Politik und Praxis und erläuterte das Ziel der Tagung. Mit Blick auf den politischen Begriff der Zeitenwende gehe es um eine Bestandsaufnahme des Klimaschutzrechts sowie um die Entwicklung von Perspektiven auf neue Instrumente, um im zur Einhaltung der Klimaziele erforderlichen Tempo Innovationen und Investitionen zum Klimaschutz zu forcieren.

Anschließend gab Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Deutschen Industrie, den Teilnehmenden in ihrer Keynote die Perspektive der Industrie mit auf den Weg und machte deutlich, dass auch für die Industrie das Ziel der Klimaneutralität alternativlos ist.

 

Der Blick von oben: Systementwicklungsplanung

Das erste Panel war sodann einem Planungsinstrument gewidmet, das eine Strategie für die Transformation des Energiesystems hervorbringen soll. Prof. Georg Hermes (Goethe-Universität Frankfurt am Main) gab einen Überblick über die Systementwicklungsplanung und erläuterte Ausgestaltungsmöglichkeiten und Potentiale.

Langfristig könne eine jetzt auf den Weg gebrachte Systementwicklungsplanung Planungsverfahren auf nachfolgenden Stufen politisch und rechtlich entlasten und Kriterien zur Priorisierung von Projekten aufstellen. In der Diskussion wurde betont, dass die Erfolgsaussichten der Systementwicklungsplanung auch davon abhängen, dass sie mit ihren Effekten in Wirtschaft und Gesellschaft getragen wird.

 

Wie gelingt der Markthochlauf von Wasserstoff?

Anschließend wurde in einem umfangreichen rechtsvergleichenden Panel ein Teilbereich der Energiewende genauer in den Blick genommen. Prof. Claudio Franzius (Universität Bremen) stellte die rechtlichen Herausforderungen des Markthochlaufs von Wasserstoff im Spannungsfeld von Industrie- und Klimaschutzpolitik vor und unterstrich dabei, dass die Zeit für Brückentechnologien fehle. Deshalb seien besondere Anstrengungen und rechtliche Instrumente erforderlich, um sicherzustellen, dass die Förderung des Markthochlaufs klimagerecht erfolgt.

Prof. Joel B. Eisen (University of Richmond) und Dr. Ruven Fleming (Rijksuniversiteit Groningen) ergänzten das Panel um die US-amerikanische bzw. niederländische Perspektive. Dabei wurde deutlich, dass in den drei Rechtsordnungen durchaus ähnliche Debatten um die Regulierung der Wasserstoffnetze und der Erzeugung von Wasserstoff geführt werden.

Herr Eisen erläuterte zudem die Anreiz-Gesetzgebung durch den Inflation Reduction Act, der mehr als 13 Mrd. Dollar Förderung für sauberen Wasserstoff vorsieht. Herr Fleming zeigte auf, dass in den Niederlanden Wasserstoff für die ganze EU importiert werden könnte und beleuchtete damit zusammenhängende regulatorische Fragestellungen.

Robert Seehawer (AquaVentus e.V.) bereicherte das Panel schließlich um einen Einblick aus der Projektpraxis zur Erzeugung von grünem Wasserstoff auf See. Er sprach über das AquaVentus-Projekt, das einen Verbund aus Offshore-Windenergieerzeugung, Elektrolyse auf hoher See und Wasserstoffpipeline in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee plant.

In der Diskussion wurde insbesondere über die Wasserstoffnetzinfrastruktur gesprochen – hier ging es neben verschiedenen Regulierungsfragen auch darum, ob ein sog. Repurposing von Gasnetzen in den unterschiedlichen Ländern rechtlich und tatsächlich in Betracht kommt.

 

Wärmenetze als Chance für neue Regulierungsstrategien

Im dritten Panel ging es von der Energie- zur Wärmewende. Dr. Hartmut Kahl (ecoworks) gab einen Überblick über den geplanten Ausbau von Wärmenetzen und beleuchtete u.a. Fragen des Drittzugangs zu diesen Netzen oder von erforderlichen Herkunftsnachweisen für grüne Fernwärme. Er stellte außerdem den gegenwärtigen Entwurf eines Wärmeplanungsgesetzes auf Bundesebene vor. Perspektivisch sei insbesondere die serielle Renovierung des Gebäudebestands eine Chance für die Wärmewende.

Charlotta Maiworm (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) schloss mit einer politischen Einschätzung an und gab einen Ausblick auf aktuelle und künftige Gesetzgebungsvorhaben des Ministeriums im Bereich der Wärmewende. Dabei betonte sie das Spannungsfeld von Mieter:innen- und Verbraucher:innenschutz einerseits und Investitionssicherheit andererseits.

Die Tagungsteilnehmenden diskutierten anschließend über die Nutzung von Abwärme sowie über die Gefahr sog. Lock-in-Effekte durch die Vielzahl an gesetzlichen Regelungen mit längerem zeitlichem Vorlauf.

 

Aktivierung von privatem Kapital

Im letzten Panel verschob sich die Perspektive zur Aktivierung von privatem Kapital für die Finanzierung der grünen Transformation. Prof. Moritz Renner (Universität Mannheim) sprach über die Nutzbarmachung von Anleihen und den Anleihenmarkt für die Finanzierung von grünen Projekten. Bei sog. „Green Bonds“ sei dabei aber die Greenwashing-Gefahr groß, wie Beispiele aus der jüngeren Praxis verdeutlichen.

Herr Renner zeigte verschiedene Lösungsansätze auf und leitete dann nahtlos zu Dr. Andreas Meyer (Deutsche Bank AG) über, der ein aktuelles Vorhaben auf EU-Ebene vorstellte. Bislang gebe es noch keine harmonisierten Vorschriften für ökologisch nachhaltige Anleihen in der EU.

Der neue „EU Green Bond“-Standard soll als freiwilliges Regelwerk eingeführt werden, das eine bessere Aufsicht und die Durchsetzung von Regeln ermöglicht. Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden über das Verhältnis dieses neuen Standards zu anderen europarechtlichen Regelungen, insbesondere der Taxonomieverordnung.

 

Auf der Suche nach den missing links

Herr Kumpan verabschiedete die Teilnehmenden schließlich nach einem langen Tagungstag mit vielen fruchtbaren Diskussionen. Er hob die Bedeutung eines solchen Austauschs von Wissenschaft und Politik hervor und betonte, dass die Suche nach den missing links im Klimaschutzrecht angesichts des wachsenden Zeitdrucks bei der Bekämpfung des Klimawandels schnell vorangehen müsse. Nach den Erkenntnissen der Jahrestagung des CECS besteht dazu durchaus Hoffnung.

 

Text

Lennart Kokott

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