In diesem Jahr wurde unserem Kollegen Karsten Gaede in Wien die Ehre zuteil, den renommierten Eröffnungsvortrag halten zu dürfen. Er widmete sich der – insbesondere, aber nicht nur im Hinblick auf unschuldige Angeklagte wichtigen – Frage, ob und inwiefern bereits das Strafverfahren selbst sanktionierend wirkt und wie unangemessene Belastungen zu vermeiden sind.
Sein Vortrag, „Sanktion durch Verfahren. Grund und Grenzen der Justizpflicht des Beschuldigten insbesondere in Wirtschaftsstrafverfahren“ sorgte für eine anregende Debatte. Weitgehend Zustimmung herrschte im Publikum insofern, als der Vortrag eine Tendenz der Praxis rügte, schon die Anforderungen für die Eröffnung der Hauptverhandlung herabzusenken. Kontroverser diskutiert wurden Gaedes Ausführungen zur umfassenden Anwesenheitspflicht des Angeklagten in der Hauptverhandlung. Er zeigte auf, dass diese eine erhebliche, bisweilen strafähnliche Belastung für den Angeklagten bedeuten könne; deshalb rief er dazu auf, diese Pflicht nicht länger mit vorgeschützten Gründen zu verteidigen, sondern sie kritisch zu hinterfragen und ihre Reichweite angemessen zu begrenzen. Obschon sich Gaede damit gegen eine klar herrschende Position stellte, erfuhr er auch hier einiges an Zuspruch aus dem Publikum.
Der Vortrag und die anschließende Diskussion fügten sich damit nahtlos in die Tradition der Strafrechtslehrertagung an, grundlegende Fragen an der Wurzel zu packen und auch an etablierten Standpunkten zu rütteln. Ausgangnehmend von der Themensetzung der Tagung befasst sich bereits eine Habilitation mit der „Sanktion durch Verfahren“. Eine weitere widmet sich der nun streitbefangenen Legitimation der Anwesenheitspflicht. Eine Anfrage, den Vortrag auch in japanischer Sprache zu publizieren, liegt ebenfalls vor.