Prof. Ernst und das Versammlungsrecht in Corona-Zeiten

Prof. Ernst erklärt, welche rechtlichen Fragen bei Demonstrationen während der Corona-Pandemie relevant sind – Fofftein #6

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Versammlungen aus rechtlicher Sicht

Art. 8 des Grundgesetzes enthält das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Was unter dem Begriff der Versammlung zu verstehen ist, lässt das Gesetz jedoch offen. Die Konkretisierung obliegt insbesondere der Rechtswissenschaft und den Gerichten. Besonders bedeutend ist dabei die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts, das der Versammlung einen Kommunikationsaspekt und einen Beitrag zu politisch-demokratischen Zielen zugrunde legt. Gerade Minderheiten bekommen so das Recht ihre Stimme zu erheben. Fraglich ist dabei jedoch, ob die Versammlungsfreiheit der Minderheit gestattet mit ihrem Kommunikationsanliegen die Mehrheit zu gefährden oder ob solche Versammlungen vom Staat untersagt werden können.

 

Einschränkbarkeit von Versammlungen

Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit mit dem Ziel des Ausgleichs verschiedener Interessen ist grundsätzlich möglich. Auch die Versammlungsfreiheit kann durch staatliche Maßnahmen eingeschränkt werden. Ein komplettes Verbot im Vorhinein ist freilich selten, andere Maßnahmen jedoch üblich. Solche Maßnahmen können insbesondere Beschränkungen hinsichtlich des Versammlungsortes oder der Zeit sein, die sonst dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters unterfallen.

 

Anmeldungen und Genehmigungen

Grundsätzlich müssen Versammlungen nicht genehmigt werden. Insbesondere das Kommunikationsanliegen muss dem Staat nicht als würdig erscheinen. Die Wahl des Versammlungszwecks liegt bis auf wenige strafrechtliche Ausnahmen beim Veranstalter. Griffe der Staat hier mit einem Genehmigungsverfahren ein, könnte es ebenfalls zu einer Zensur von Meinungen kommen, die sonst auf der Versammlung geäußert worden wären. Dies würde dem Grundgesetz widersprechen. Nur ohne ein Genehmigungsverfahren kann die staatliche Neutralität gewährleistet werden.

Im Regelfall melden die Veranstalter einer Versammlung diese bei der zuständigen Behörde an, ohne dabei auf eine Genehmigung warten zu müssen. Hier liegt der wesentliche Unterschied zwischen einer Anmeldung und einer Genehmigung: Eine Anmeldung verschafft der Behörde im Gegensatz zu einer Genehmigung nur Kenntnis. Zu einem Eingreifen der Behörden kommt es meistens nicht, sodass die Anmeldung ein formaler Akt bleibt. Bei einem Genehmigungsverfahren müsste die Behörde zwingend aktiv werden.

Nach der Anmeldung einer Versammlung kann die Behörde Auflagen erlassen, die die Veranstalter berücksichtigen müssen, wie z.B. sich an einem bestimmten Ort zu versammeln. Werden diese nicht eingehalten oder kommt es zu Gefahren für die öffentliche Sicherheit, kann die Versammlung durch die Polizei aufgelöst werden. Normalerweise werden dementsprechend Versammlungen nicht vor ihrer Durchführung verboten, sondern werden aus gegebenem Anlass nach Beginn aufgelöst. Das ist das hergebrachte System.

 

Anmeldungs- und Genehmigungspflichten in Pandemiezeiten

Während der Corona-Pandemie, sind einige Länder jedoch von dieser hergebrachten Systematik abgewichen und haben eine Genehmigungspflicht für Versammlungen eingeführt. Dem Wortlaut des Grundgesetzes widerspricht dies auf den ersten Blick. Der Wortlaut, insbesondere der der Anmeldung, wird aber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht besonders streng verstanden. Eine Anmeldepflicht verletze die Ausübung der grundrechtlich verbürgten Freiheit würde durch eine Anmeldepflicht prinzipiell nicht eingeschränkt. Praktisch ist eine solche Anmeldepflicht sinnvoll, damit Behörden die Möglichkeit erhalten für einen gerechten Ausgleich der Interessen von beispielsweise Versammlungsteilnehmenden und Verkehrsteilnehmenden sorgen zu können. Ungeklärt ist indes, ob ein genereller Genehmigungsvorbehalt von Versammlungen während einer Pandemie mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

 

Verbot von Versammlungen im Vorfeld

Im Rahmen sogenannter „Querdenker-Demonstrationen“ wurde immer wieder die Frage laut, unter welchen Voraussetzungen eine Versammlung verboten werden kann. Während der ersten Welle im Frühjahr wurden in verschiedenen Bundesländern tatsächlich Regelungen erlassen, nach denen generell alle Versammlungen verboten sein sollten. Das Bundesverfassungsgericht hat über diese Regelungen zwar noch nicht entschieden, betonte aber, dass ein Versammlungsverbot stets einer Einzelfallprüfung bedarf. Es muss also im Einzelfall mittels einer Gefahrenprognose, die auf konkreten Tatsachen beruhen muss, festgestellt werden, ob eine Versammlung zu solch unhaltbaren Zuständen führen wird. Nur so kann ein Verbot im Vorhinein gerechtfertigt werden. Bloße Meinungen, Gerüchte oder ein generelles Stimmungsbild reichen dazu nicht aus. Zum Schutze des Grundrechts muss hierbei ein sehr strenger Maßstab angelegt werden. Der Staat muss die Verbotsgründe darlegen und beweisen und diese müssen dann auch noch höher gewichtet werden als die Versammlungsfreiheit.


Videoreihe „Fofftein“

Mit der Videoreihe „Fofftein“ möchten wir juristische Themen von gesellschaftlicher Relevanz für die interessierte, aber juristisch nicht vorgebildete Öffentlichkeit erklären und einordnen. Hierzu werden Mitglieder der Fakultät, Alumnae oder Alumni als Expert*innen eingeladen. In 5-10 Minuten – eben einer kurzen Kaffeepause – führen wir in die Thematik, beteiligte Akteure und die Umstände ein und erklären die Grundsätze des behandelten rechtlichen Themas.

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Ein Verstoß gegen Corona-Schutzmaßnahmen kann wegen der Wichtigkeit des Gesundheitsschutzes zwar grundsätzlich ein Versammlungsverbot rechtfertigen, es reicht jedoch regelmäßig die glaubhafte Versicherung der Veranstalter sich von Rechtsverstößen zu distanzieren und solche gegebenenfalls zu ahnden, um ein Verbot im Vorfeld auszuschließen. Weil es die staatlichen Behörden sind, die eine Unglaubhaftigkeit im Einzelfall beweisen müssten, ist ein Verbot auf dieser Basis praktisch schwierig. Anders verhält es sich, wenn die Veranstalter sich bereits wiederholt nicht an die Corona-Schutzmaßnahmen gehalten haben. Eine Zuordnung einer bestimmten Meinung zu Verstößen gegen die Rechtsordnung ist jedoch nicht möglich. Berücksichtigt werden können jedoch Erfahrungen früherer Veranstaltungen mit einem ähnlichen Motto und Teilnehmendenkreis.

 

Verbot und Auflösung von „Querdenker-Demonstrationen“

Eine solche Argumentation entwickelt sich gerade auch für sogenannte „Querdenker-Versammlungen“. Wie rechtssicher diese ist, ist aber noch nicht klar. Wegen der hohen Anforderungen an ein Verbot im Vorhinein einer Versammlung wird es also meist dabei bleiben, dass auch „Querdenker-Demonstrationen“ weiterhin stattfinden dürfen und bei entsprechenden Verstößen, beispielsweise gegen die Maskenpflicht, gegebenenfalls aufgelöst werden. Bevor jetzt jedoch Rufe nach einer Verschärfung der Einschränkbarkeit von Versammlungen laut werden, sollte bedacht werden, dass Regelungen, die jetzt getroffen werden, auch in Zukunft für andere Versammlungen anwendbar bleiben.

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