Professor Dr. Jens Prütting hat im Mai 2021 den neuen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Medizin- und Gesundheitsrecht an der Bucerius Law School übernommen. 2017 hatte er bereits das Institut für Medizinrecht mitgegründet.
Der Einfluss der Corona-Pandemie
Wenn Prof. Jens Prütting über alte Menschen in der Corona-Zeit spricht, hört man ihm die Erschütterung an. Zu Beginn der Pandemie waren Senior*innen in Pflegeheimen isoliert. Viele mussten ihre letzten Lebenstage allein verbringen. In der Unsicherheit, was dieses Virus mit sich bringen würde, wurde schnell reagiert und nicht nach den Wünschen der einzelnen Bewohner*innen in den Heimen gefragt. „Die Rechte dieser Menschen sind einfach auf der Strecke geblieben,“ sagt Jens Prütting.
Menschliche Bedürfnisse, medizinische Ideale – und dann die nüchterne und oft kostengetriebene Realität des Gesundheitswesens. Der Konflikt, der in der Corona-Pandemie auf so bitter-anschauliche Weise zutage getreten ist, verweist auf ein ganz grundsätzliches gesundheitsrechtliches Problem, um nicht zu sagen auf das Grundproblem des Medizin- und Gesundheitsrechtes. Hier stoßen immer wieder unterschiedliche Interessen, Logiken und Rechtsgebiete aufeinander.
Das Gesundheitswesen als komplexes Rechtsgeflecht
Das Recht des Gesundheitswesens ist eine komplexe Querschnittsmaterie. Medizinische Ideale und ökonomische Erwägungen setzen sich gegenseitig Grenzen. Das Berufsrecht stößt bisweilen auf das Strafrecht, das Arzthaftungsrecht auf das Sozialversicherungsrecht. Und dann spielen auch noch Effizienzansprüche, ethische Fragen und immer wieder das Verfassungsrecht mit hinein. Oder wie bei Corona: Sachzwänge, die auch beim besten Willen nicht aufzulösen sind.
Der häufige Konflikt zweier Rechtspositionen im Gesundheitsrecht
Beispiel für einen solchen Konflikt ist der Fall eines Krebspatienten, der sich mit der Bitte um Rechtsrat an Prütting gewandt hat. Die Ärzt*innen versuchen den Krebs mit immer neuen Chemotherapien aufzuhalten. Durch die vielen Infusionen ist der Eisengehalt im Blut des Patienten viel zu hoch, was wiederum gefährlich ist. Er bräuchte also ein Medikament, das dem Körper Eisen entzieht. Ein solches Medikament gibt es auch. Es ist aber nicht ausdrücklich für Krebspatient*innen zugelassen, sondern bislang nur für andere Indikationen.
Die Krankenkasse weigert sich deshalb zu zahlen. Hier stehen sich die ärztlichen Standards auf der einen und die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, der über die Kostenerstattung für ärztliche Leistungen entscheidet, unversöhnlich gegenüber. Ein mittlerweile leider häufig auftretender Konflikt im Gesundheitsrecht, sagt Jens Prütting.
Forschung vor allem bezüglich der gesundheitlichen Situation alter Menschen
Schon in seiner Habilitation, die 2020 erschienen ist, hat er zu rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen geforscht. Diese Forschung will er am neuen Lehrstuhl fortsetzen. Zentrales Forschungsgebiet wird zudem die gesundheitliche Versorgungsplanung in der letzten Lebensphase sein.
Denn die Lebenssituation alter Menschen mag in der Corona-Pandemie extrem gewesen sein – dass ihre Belange oftmals nicht hinreichend zum Tragen kommen, ist laut Prütting hingegen Alltag. In Kooperation mit Projekten aus der Praxis sollen am neuen Lehrstuhl praktische Möglichkeiten und vor allem die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine bedarfsgerechte Versorgungsplanung entwickelt werden.
Prof. Prütting hat jedoch noch weitere Forschungsziele:
Fragt man Jens Prütting nach weiteren Forschungsschwerpunkten am neuen Lehrstuhl, klingen die Ziele ambitioniert. Er will sich verstärkt mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen beschäftigten. Faktisch ist viel in Bewegung. Inzwischen gibt es digitale Kontakte zwischen Ärzt*innen und Patient*innen, Fernbehandlungen wie Telemedizin und Apps für die Kontrolle von Vitalfunktionen. Debattiert wird zudem über das E-Rezept und die elektronische Gesundheitskarte.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen aber hinken der technischen Entwicklung hinterher. „Hier muss noch viel nachgearbeitet werden,“ sagt Jens Prütting. Er will sich zudem mit Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen beschäftigen. Was auf den ersten Blick überraschend klingt, ist für den neuen Lehrstuhlinhaber hingegen naheliegend.
Die Branche könnte da eine Vorreiterrolle spielen, sagt er. Dafür brauche es Leitlinien und gesetzliche Regeln, wie Nachhaltigkeitsaspekte beispielsweise bei der Ausschreibung von Gesundheitsleistungen berücksichtigt werden können. Der neue Lehrstuhl, so Prütting, soll dabei eine Rolle spielen: „Wir wollen Gesetzgebungsvorhaben anstoßen und Rahmenbedingungen verändern.“