Im Laufe der SARS-CoV-2-Pandemie konnte das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) durch die großflächige Anordnung von Obduktionen von Covid-19-Verstorbenen wichtige pathologische Erkenntnisgewinne erzielen und damit bereits innerhalb der ersten Infektionswellen die Therapie der Covid-19-Erkrankung verbessern.
Der „Hamburger Weg“
Diesen „Hamburger Weg“ unterstützend, widmet sich unter Beteiligung des IMR das im Rahmen des Netzwerkes Universitätsmedizin entstandene Forschungsprojekt „DEFEAT PANDEMICs“ der Darstellung und effektiven Erschließung des praktischen sowie rechtlichen Potentials der Anordnung von Autopsien zum Infektionsschutz, um dieses für zukünftige Pandemien fruchtbar zu machen.
Alljährliche Herbsttagung des IMR
Erste gewonnene Erkenntnisse des Projekts konnten zur alljährlichen Herbsttagung am 24. November 2021 im Moot Court der Bucerius Law School durch das IMR unter Leitung von Prof. Dr. iur. Karsten Gaede und Prof. Dr. med. Benjamin Ondruschka, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am UKE, vorgestellt und diskutiert werden.
Die Tagung nahm die im Zuge des Projekts erarbeiteten Erkenntnisse und Überlegungen zum Anlass, dem wenig übersichtlichen Recht der Obduktion in Deutschland nachzugehen, um auszuloten, wie die Erschließung des medizinischen Erkenntnispotentials der Obduktion ohne Verletzung rechtlicher und ethischer Grundsätze gefördert werden kann.
Erste Tagungseinheit
In seinem Eröffnungsvortrag zeichnete Prof. Dr. med. Klaus Püschel, Seniorprofessor und ehemaliger Leiter des Instituts für Rechtsmedizin des UKE, die Vorgehensweise des „Hamburger Weges“ innerhalb des ersten Pandemiejahres nach. Er konnte hiermit die beeindruckenden Erkenntnispotentiale der Obduktion offenkundig werden lassen, indem er konkrete Behandlungserfolge nannte, die unmittelbar auf die innerhalb der Obduktionskohorten gewonnenen Erkenntnisse zurückzuführen waren.
Anschließend referierte Privatdozentin Dr. med. Julia Slotta-Huspenina, Oberärztin am Institut für Pathologie der TU München, über weniger eingriffsintensive Methoden der Untersuchung von Verstorbenen sowie deren Erkenntnisgrenzen. Die Forschungsgruppe um Frau Slotta-Huspenina konnte herausfinden, dass bildgebende Verfahren mittels MRT, CT oder Ultraschall sowie punktuelle Biopsieentnahmen in Abhängigkeit vom konkreten Erkenntnisinteresse vergleichbare Ergebnisse wie die Obduktion liefern können, sofern sie kombiniert und zügig angewandt werden.
Den medizinischen Grundlagenteil schloss der ärztliche Leiter der zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Düsseldorf Prof. Dr. med. Michael Bernhard sodann mit einem Referat über die klinischen Abläufe ab, die von der Todesnachricht bis zur Obduktion tatsächlich notwendig sind. Er machte mittels dezidierter Beispiele klar, wie bedeutsam die Klärung einer offenen Todesursache gerade für die Behandlungsteams wäre. Zugleich ging Prof. Bernhard auf das Verfahren und die Schwierigkeiten der Beteiligung der Angehörigen ein.
Prof. Dr. med. Bettina Schöne-Seifert vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität Münster ging anschließend mit Ihrem Vortrag den Wurzeln des ethischen Unbehagens gegenüber der Vornahme von Obduktionen und der ethischen Bewertung der Obduktion nach. Sie machte eine Vielzahl von Bedenken offensichtlich, die oftmals religiöse Wurzeln aufwiesen. Prof. Schöne-Seifert warb dafür, die Zustimmung zur Obduktion mithilfe einer Aufklärungskampagne zu vermehren.
Als letzter Referent der ersten Tagungseinheit gab Prof. Dr. iur. Andreas Spickhoff von der LMU München einen Überblick über das Recht der Obduktion und ihre grundsätzlichen Zulässigkeitsmaßstäbe. Durch eine punktuell rechtsvergleichende Analyse konnte Prof. Spickhoff die Schwächen des deutschen Obduktionsrechts zu Vorschriften anderer europäischer Staaten verdeutlichen.
In der anschließenden Diskussion aller bisher Vortragenden unter Leitung von Prof. Ondruschka wurden die mitunter erheblichen Unterschiede zwischen den landesgesetzlichen Vorschriften zum Umgang mit der Obduktion thematisiert und der allgemeine Rückgang der Rate klinischer Obduktionen, die nunmehr nur noch zwischen 5-8 % deutschlandweit rangiert, bedauert. Zudem waren sich die Rechtswissenschaftler*innen einig, dass die von PD Dr. Slotta-Huspenina vorgestellten milderen Erkenntnismethoden Einzug in die rechtliche Betrachtung der Obduktion erhalten müssen.
Zweite Tagungseinheit
Die zweite Tagungseinheit adressierte zwei spezifisch hoheitliche Obduktionsarten, die aufgrund ihrer Anordnungsmöglichkeit ggfs. gegen den Willen der Angehörigen eine umso bedeutendere Grundrechtssensibilität aufweisen. Den Anfang machte der Bereichsleiter für forensische Pathologie des Instituts für Rechtsmedizin am UKE Prof. Dr. med. Jan Sperhake. Er skizzierte die Anwendungsrealität der Durchführung von Obduktionen zur Strafverfolgung und stellte praktische und rechtliche Hinderungsgründe heraus.
Erste Antworten auf die aufgezeigten Praxisprobleme sowie weitere zentrale strafrechtliche und strafprozessuale Rechtsfragen der Gerichtssektion konnte Privatdozentin Dr. iur. Dorothea Magnus der Universität Hamburg in ihrem anschließenden Beitrag geben. Aufklärungsquote und Richtigkeit der Todesursachenfeststellung blieben bei der Durchführung hinter ihren Möglichkeiten zurück. Es sei eine erheblich höhere Dunkelziffer unnatürlicher Todesfälle zu erwarten.
Im Rahmen der anschließenden Diskussion unter Leitung von John Heidemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IMR, nahm PD Dr. Magnus sowohl die Gerichte als auch die Rechtsmediziner*innen in die Pflicht, einen Beitrag zur Verbesserung des Einsatzes der Gerichtssektion zu leisten.
„DEFEAT PANDEMICS“
Zu guter Letzt stellte Prof. Dr. iur. Karsten Gaede mit seinem Vortrag das Forschungsprojekt „DEFEAT PANDEMICs“ und die damit verbundenen rechtlichen Erkenntnisse des IMR zur Anordnung von hoheitlichen Obduktionen zum Infektionsschutz vor. Durch eine mehrstufige empirische Erhebung habe sich gezeigt, dass eine erhebliche Rechtsunsicherheit bzgl. der Anordnung nach dem IfSG bei den zuständigen Behörden bestehe und das gewichtige Erkenntnispotential von Obduktionen zur Pandemieerforschung nur rudimentär erschlossen werde.
Prof. Gaede trat dafür ein, das IfSG hinsichtlich der Obduktion in Zukunft sowohl in seiner Reichweite klarer als auch in seinem Verfahren näher zu regeln. Nur so könne der mit dem „Hamburger Weg“ erzielte Erkenntnisgewinn nicht zufällig bleiben. Erste Ideen für die Novellierung zur Konkretisierung der Anordnungsvoraussetzungen sowie Durchführungsbestimmungen konnte Prof. Gaede bereits vorstellen.
Unter Leitung von Prof. Dr. iur. Karsten Scholz, Leiter des Dezernats Recht der BÄK sowie Honorarprofessor der Leibniz Universität Hannover, fanden die Novellierungsvorschläge in der anschließenden Feedbackrunde im Plenum ausschließlich Zustimmung. Es wurde betont, dass der aktuelle Pandemiekontext auch die Chance biete, die Bedeutung des gesamten Obduktionswesen zu unterstreichen und zu fördern.