Was braucht es, damit politische Reformen gelingen – und warum ist der Kompromiss dabei mehr als nur ein mühsames Übel? Diese Fragen standen im Zentrum einer hochkarätig besetzten Diskussion im Rahmen des Studium generale an der Bucerius Law School.
Zu Gast waren Dr. Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin, Publizistin und Autorin des Buches Defekte Debatten, sowie Wolfgang Schmidt, Chef des Bundeskanzleramts a.D. und langjähriger Verhandler im politischen Maschinenraum. Moderiert wurde der Abend von Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Politikwissenschaftler, ehemaliger Minister in Thüringen und ausgewiesener Kenner demokratischer Verfahren.
Manuel J. Hartung, Vorstandsvorsitzender der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, eröffnete den Abend mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für die unterschätzte „Kardinaltugend der Demokratie“: Kompromiss-Kompetenz. Sie sei nicht nur Voraussetzung für politisches Gelingen, sondern auch Kernanliegen der von der Stiftung unterstützten Initiative für einen handlungsfähigen Staat.
Zwischen Polarisierung und Reformfähigkeit
Hoff spannte gleich zu Beginn den Bogen weit: Vom Zerfall der niederländischen Regierungskoalition unter Geert Wilders über die wachsende Polarisierung bis hin zu Wilhelm Heitmeyers Diagnose einer „Demokratieentleerung“. Julia Reuschenbach warnte vor der „Entweder-oder-Logik“ im politischen Diskurs, in der Gegner nicht mehr als legitime Kontrahenten, sondern als Feinde betrachtet würden. Populistische Denkweisen prägten zunehmend auch die politische Mitte.
Kompromisse, so Reuschenbach, hätten massiv an Ansehen verloren. Parteien fürchteten, durch Zugeständnisse Wählerstimmen einzubüßen. Medien wiederum würden Konflikte bevorzugt berichten – Einigkeit sei keine Neuigkeit. So verfestige sich das Bild, Kompromisse seien Schwäche und keine demokratische Stärke. Sie forderte mehr Forschung zur Rolle journalistischer Haltung im politischen Diskurs.
Schmidt mahnte, Kompromisse nicht als Streitvermeidungsstrategie zu verkennen. Der Ruf nach Machtworten oder Executive Orders im Stil Trumps werde lauter – dabei seien es gerade komplexe Herausforderungen, die einen Interessenausgleich erforderlich machten. Kompromiss, so Schmidt, sei keine Kapitulation, sondern ein Ausdruck ernsthafter Aushandlung. Er plädierte für „geschützte Räume“, in denen politische Gespräche jenseits öffentlicher Vorverurteilung möglich seien.
