Terror gegen Juden: Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt

Am Mittwoch den 06. Januar 2021 trafen sich der Autor und ehemalige Student der Bucerius Law School Ronen Steinke und Paul Koristka, Student des Jahrgangs 2019 und Vorstandsmitglied im Verband jüdischer Studierender Nord (VJSNord) zum Gespräch über Antisemitismus. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Studium generale statt.

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Wie auch in seinem Buch „Terror gegen Juden – Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt.“, kritisierte Steinke, dass Jüdinnen und Juden nicht leben können, ohne beschützt zu werden. Eine Realität, in welcher vor jüdischen Kindergärten und Schulen stets bewaffnete Beamte postieren müssten, sei für einen Staat schlichtweg beschämend. Darüber hinaus erzählte er von dem Attentat in Halle, am höchsten jüdischen Feiertag, einem Tag an welchem ebenjene Realität nicht ernst genommen wurde. Eine volle Synagoge, in einer Hochburg des Antisemitismus und kein staatlicher Cent für die Bewachung des Gebäudes. Die Folgen waren verheerend und hätten umso schwerwiegender sein können, wäre die durch Spenden finanzierte Tür nicht so stabil und der Täter nicht so überzeugt von der Finanzierung der Fenster durch den Bund gewesen wäre. Problematisch sei also nicht nur die erdrückende Wahrheit der Schutzbedürftigkeit jüdischer Gemeinden, sondern auch das fehlende und leichtfertige Handeln des Staates.

Die jüngere Generation bricht das Schweigen

Koristka sieht die jüdische Gemeinschaft aus einer jüngeren Generation. Seine Frage an Steinke; inwiefern junge Juden mit der alten Tradition, der Erziehung nicht über Antisemitismus zu sprechen, breche. Steinke meint, es sei Konsens in Gemeinden geworden, aus Angst vor Schutzentzug den Staat mit der Kritik an Missständen nicht verärgern zu wollen. Tatsächlich breche die junge Generation mit diesem Verhalten etwas mehr. Es gehe um Aufklärung. Aufklärung darüber, dass es ein junges und buntes jüdisches Leben gibt, aber eben auch darüber, dass dieses hinter hohen Mauern und nicht angstfrei stattfinde.

Antisemitische Normalität und Resignation

Trotzdem sei die Bereitschaft zur Anzeige von antisemitischen Straftaten gesunken und eine antisemitische Normalität habe sich eingestellt. Als Grund dafür nannte Steinke ein wachsendes Vertrauensdefizit. Solange die Gewalt dem Kollektiv gelte, mache sich ein Individuum dadurch angreifbar, dass es durch Anzeige auf sich aufmerksam mache. Hier müsse der Staat ansetzen. Aufgabe eines Rechtsstaats sei es, nicht einen Service zur Inanspruchnahme zu bieten, sondern bestehende Ansprüche der Allgemeinheit zu erkennen und die schwächeren zu schützen, anstatt sich zurückzulehnen. Da dies nicht der Realität entspreche, die Polizei teilweise sogar den Opfern die Schuld gebe, habe sich eine Art salonfähiger Antisemitismus herausgebildet und mit ihm Resignation. Verstärkt werde dieser durch die fehlende Bereitschaft der deutschen Politik rechtsradikale Systeme und deren Organisation bei Anschlägen zuzugeben. Das Problem sei ein kollektives und müsse auch ernsthaft als ein solches behandelt werden.

Eine besonders schwierige Frage stellte Koristka zum Schluss, und zwar wann es an der Zeit sei auszuwandern, um aus der Geschichte zu lernen. Steinke möchte sich aber nicht vertreiben lassen, sollen doch die Nazis auswandern.

Solidarität ist gefragt

Im Anschluss an das Gespräch lud Koristka noch zum Fragenstellen ein. Unter anderem bestand großes Interesse an der Frage, wie man sich als Nicht-Jude engagieren könne. Hier waren sich Steinke und Koristka einig: Solidarität. Es gehe darum sich danebenzustellen und im Alltag, im Beruf aufgeklärt und klar positioniert das Problem anzuerkennen. Es mache einen Unterschied, ob man verlegen mitlacht oder den Mund aufmacht, und ob man im Miteinander lebt oder nur übereinander spricht.

Aufgrund der momentanen Situation musste die Veranstaltung leider digital stattfinden, trotzdem gab es eine hohe Partizipation, was eine angeregte Diskussion ermöglichte.

Text

Paula Bluck

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