Verjährt Mord? Eine Veranstaltung zu den NSG-Prozessen

Diskussion zwischen Vertreter*innen der Judikative und Exekutive über die Problematiken der NS-Strafverfolgung am Beispiel des jüngsten Urteils des Bruno Dey.

Verjährt Mord? Diese Frage stellten sich am 30.06.2021 Lars Mahnke, Dr. Klaus-Detlev Godau-Schüttke und Julia Römer, welche die Veranstaltung initiierte sowie moderierte. Lars Mahnke ist Staatsanwalt in Hamburg und zuständig für die Verfolgung von NS-Straftaten, Dr. Klaus-Detlev Godau-Schüttke ist ehemalig Richter am Landesgericht Itzehoe und Julia Römer ist Richterin am Amtsgericht Schleswig-Holstein. Die Diskussion war geprägt von Grundsatzfragen. Handelt es sich um Verfolgung auf den letzten Drücker, oder die letzte Chance nationalsozialistische Verbrechen zu verurteilen? Jagt man die kleinen Fische, während man die großen längst verpasst hat? Was für ein Strafzweck wird mit solchen Prozessen verfolgt beziehungsweise spielen da ganz andere Komponenten mit hinein?

Die letzten Jahre

Staatsanwalt Mahnke begann die Diskussion mit einer Erklärung dessen, was in den letzten Jahren passiert und nicht passiert ist und worin die Problematiken der NS-Prozesse lagen und liegen. Die Verfolgung von SS-Wachleuten sei für Jahre eingeschlafen gewesen aufgrund von Beweisschwierigkeiten. Der BGH erkannte damals den Genozid nicht strafrechtlich an und es bedurfte deswegen des Nachweises einer konkreten Tat. Dies sei einher gegangen mit erheblichen Beweisschwierigkeiten. Zunächst sei unterschieden worden zwischen Vernichtungslagern und Arbeitslagern. Bei Wachmännern aus Vernichtungslagern ließ sich ein Beweis konstruieren, wohingegen dies bei Lagern in welchen gearbeitet wurde, wie in Auschwitz, schwieriger gewesen sei. Für diese Problematik wurde eine Lösung gefunden. Mahnke berichtete von einer modelarischen Nachbildung Auschwitzs. Anhand dieser sei klar geworden, dass damals keiner dort gewesen sein konnte, ohne zu wissen oder zumindest zu ahnen, was vor sich ging im Mordkonzept Konzentrationslager.

Verständlich oder ein Versagen?

Die letzten Jahre der NS-Strafverfolung seien Mahnke zufolge geprägt gewesen von Halbherzigkeit und Versagen. Dementgegen hält Godau-Schüttke die Vielschichtigkeit der Gesamtproblematik einer signifikant verzögerten Bestrafung. Dazu seien neben der Knappheit von Ressourcen noch Strafvereitelungen gekommen.

Römer stellte die Frage nach dem frischen Wind der sechziger Jahre in Deutschland und ob sich dieser auch auf die Rechtsprechung ausgewirkt hätte. Godau-Schüttke berichtete, dass die Prozesse zu seiner Zeit nicht präsent gewesen seien. Erst mit dem Richterdasein sei auch das Bewusstsein über jene gekommen. Er habe bei Vorgesetzten gelernt, deren blutige Geschichten ihm erst später zugegangen seien.

Eine aufreibende Diskussion

Insbesondere die anschließende Fragerunde war von einem enormen Diskussionspotenzial geprägt. Gerade im Bezug auf das kürzlich verkündete Urteil des Bruno Dey zur Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen zu einer Jugendhaftstrafe von zwei Jahren. Dey wurde zur Tatzeit, vor 75 Jahren mit 17, als Wachmann im Konzentrationslager Stutthof eingesetzt. Dieser Mann habe 75 Jahre lang ein unbelastetes Leben geführt und müsse man nicht zwischen Mensch und Teufel unterscheiden? Warum dieses Urteil erst 75 Jahre später? Es wurde über Strafzweck diskutiert, Spezialprävention? Sühne? Generalprävention? Zudem über Täterverständnis und Täterverhältnis. Mahnke zufolge mache man keine Beihelfer zu Haupttätern, eben weil die Haupttäter in den Nürnberger Prozessen bereits gefangen worden seien.

Einigkeit herrschte darüber, dass es um mehr geht als um reine Rechtsphilosophie. Es geht um Moral, Recht und die Verbindung von beiden im Einklang unserer Gesellschaft. Trotzdem ist der Umgang mit der Strafverfolgung noch lange nicht ausdiskutiert.

DIJV und VJSNord 

Die Veranstaltung wurde vom DIJV und VJSNord organsiert und durchgeführt. Die DIJV (Deutsch-Israelische Juristenvereinigung) ist eine gemeinnützige Vereinigung. Sie wurde 1989 in Jerusalem gegründet. Aktuell gehören ihr etwa 500 Mitglieder an. Kernpunkt ihrer Aktivitäten ist der regelmäßige Meinungs- und Erfahrungsaustausch in Deutschland und Israel.

Der VJSNord (Verband jüdischer Studierender Nord) ist die lokale Vertretung für jüdische Studierende in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen. Der Verband setzt sich für ein demokratisches, tolerantes und weltoffenes Weltbild ein und orientiert sich am Leitbild der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands (JSUD). 

Die Veranstaltung in voller Länge

Text

Paula Bluck

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