Am 6. November 2024 kamen Sudha David-Wilp, Regional Director und Senior Fellow des German Marshall Fund in Berlin, und Dr. Markus Kaim, Leiter des Referats Geoökonomie und Sicherheitspolitik im Bundesfinanzministerium, in der Bucerius Law School zusammen, um gemeinsam mit Moderator Dr. Cornelius Adebahr, Adjunct Faculty Hertie School Berlin sowie selbstständiger Politikberater und Analyst, einen Tag nach der Präsidentschaftswahl in den USA Antworten auf die Frage „Wie geht’s weiter, Amerika?“ zu finden.
Gute Nachrichten der letzten 24 Stunden
Nachdem der Präsident der Bucerius Law School, Professor Dr. Michael Grünberger, das Podium und die Gäste im vollbesetzten Heinz Nixdorf-Hörsaal begrüßte und seine Enttäuschung über den Wahlsieg Trumps kundtat, wollte Cornelius Adebahr von den Podiumsgästen zuerst wissen, was die guten Nachrichten der letzten 24 Stunden seien. Sudha David-Wilp war ebenfalls nicht in Feierlaune, da sie gerne Harris als Siegerin gesehen hätte. Allerdings betonte sie, es sei eine gute Sache, dass Trump die Wahl eindeutig gewonnen habe, um Grauzonen zu verhindern. So herrsche nach den Wahlen Klarheit in den USA. Szenarien eines gewaltsamen Sieges, wie nach der Erfahrung von 2021 befürchtet, wurden keine Wirklichkeit. Die Demokraten müssten sich eingestehen, dass Trump mit einer einfachen Frage an die Wähler, nämlich „Geht es ihnen heute besser als vor 4 Jahren?“, die Wahl gewonnen habe. Markus Kaim stimmte ihr zu, dass das klare Wahlergebnis für die USA eine gute Nachricht sei. Er lobte den wie aus dem Buche durchgeführten Wahlprozesses. Gerade die Angst vor lang andauernden Auszählungen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen habe sich glücklicherweise nicht bewahrheitet. Er sei froh, dass die USA die Wahl so gut über die Bühne gebracht habe. Dem Publikum war schnell klar, dass das Podium einheitlich in eine politische Richtung tendierte: niemand betitelte das Wahlergebnis an sich als gute Nachricht.
Key Take-aways
Laut David-Wilp zeige diese Wahl, dass seit Trumps letzter Amtszeit die „Make-America-Great-Again“- Bewegung fest in der politischen Landschaft verankert sei. Zwar seien die nächsten vier Jahre mit Trump im Weißen Haus ein Test für die Demokratie. Seine Aussage „We have to heal as Americans“ gebe ihr aber Hoffnung, dass das gespaltene Land wieder zusammenfinden könne. Aus ihrer Sicht seien zwei Dinge zentral für Trumps Sieg gewesen: Zum einen habe es die Biden-Harris-Administration nicht geschafft, ihre Lösungen für wichtige Themen, wie „Housing“ und „Migration“, überzeugend den Wählern zu präsentieren. Zum anderen habe Harris gerade in den letzten Wochen des Wahlkampfes ihren Plan, wie sie die Wirtschaft voranbringen wolle, nicht klar genug kommuniziert. Trotz weniger Arbeitslosigkeit und niedrigerer Inflation sei die finanzielle Lage vieler Amerikaner der „middle class“ weiterhin angespannt. Auch Kaim zeigte sich nicht überrascht, dass viele Amerikaner angesichts der anhaltend hohen Lebenshaltungskosten unzufrieden seien. Letztendlich sei die Wirtschaft bei vielen Wählern die entscheidende Frage gewesen. Ähnlich bedeutend war im Wahlkampf das Thema Einwanderung. Trump gewinne mit der Angst, kommentierte David-Wilp klar. Auch wenn sich eine Mehrheit der Amerikaner von seiner Person distanziere, rechtfertigen viele Trump-Wähler, die gerade keine Fanatiker seien, ihre Stimme mit der Aussage „We don’t like his character, but we like his policies“. Es bleibe spannend zu sehen, ob Trump seine Wahlversprechen, wie die angekündigten Deportationen, tatsächlich umsetzen werde.
Es wird nicht gemütlicher
In Deutschland wurde Donald Trump zu seinem Wahlsieg gratuliert. Die Bundesregierung werde Trumps zweiter Präsidentschaft mit gewohnter Professionalität und selbstbewusster Kooperationsgemeinschaft begegnen, so Kaim. Auch wenn es wegen seiner Unberechenbarkeit schwieriger sei, zu prognostizieren, welche Ankündigungen Trump umsetzen werde, sei die Bundesregierung gut vorbereitet. Gerade Berichte aus Trumps Beraterkreisen über geplante Gesetze liefern Anhaltspunkte für die Annahme, es wird nicht gemütlicher. Fraglich bleibt, ob die Signale dieses Mal ausreichend gewürdigt werden. Kaims Vermutung lautet: Hätte Harris die Wahl gewonnen, hätte man sich in Deutschland eher in Sicherheit gewogen, ganz nach dem Motto „Schwein gehabt“. Die erforderlichen Änderungen in der Einstellung gegenüber den USA würden nun angesichts Trumps zweiter Präsidentschaft zukünftig definitiv erfolgen.
Folgen für Deutschland und Europa
Deutschland müsse sich darauf einstellen, dass Trump kein Interesse an der traditionellen regelbasierten Ordnung in der Welt habe und keine wertebasierte Außenpolitik vertrete, hob David-Wilp hervor. Deutschland müsse sich fragen, in welchen Fragen die USA noch ein Partner seien und wo Deutschland die rote Linie ziehe. Beispielsweise werde es ihrer Meinung nach schwieriger werden, US-amerikanische Unterstützung für die Ukraine zu bekommen. Gleichzeitig werde Trump in der NATO Druck bezüglich des 2 %-Ziels machen. David-Wilp kritisierte das weit verbreitete Status-quo-Denken in Europa und sprach sich für das 2 %-Ziel aus. Sie bezweifelt, dass die erforderliche Zeitenwende tatsächlich in der (deutschen) Gesellschaft angekommen ist.
Auch Kaim glaubt, dass die Zeitenwende in die Köpfe der Menschen nicht ausreichend durchgedrungen sei, denn in Deutschland habe man einen vergleichsweise kleinen Preis, wie höhere Energiekosten, gezahlt. In seinen Augen stehe Deutschland eine Re-Priorisierung politischer Themen bevor. Die Optionen seien entweder mehr Schulden, Steuererhöhungen oder reduzierte Ausgaben an anderen Stellen. Kaim erwartet in der deutschen Politik nun eine Rückbesinnung auf nationale Interessen, ähnlich wie sie in den USA stattgefunden habe. Das Pendel wird in der deutschen Politik in Richtung Interessenpolitik ausschwenken, so Kaim. Eine Polarisierung unter den Parteien sei allerdings weit von amerikanischen Verhältnissen entfernt und von den politischen Rändern geprägt.
Entwicklungen in den USA
In den USA stehe laut David-Wilp eine Neuordnung des politischen Spektrums an. Bei den Demokraten fehle es zwar aktuell in personeller Hinsicht an einer Führung. David-Wilp geht aber davon aus, dass sich die demokratische Partei mehr in Richtung Zentrum bewegen werden. Eine Erneuerung der republikanischen Partei sei in ihren Augen in den nächsten vier Jahren unter Trump kaum erwartbar. Für die zukünftigen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA wünscht sie sich weniger Emotionalität und mehr Pragmatismus.
Nach dem anregenden Austausch auf dem Podium blieb Zeit für Fragen aus dem Publikum. Bei Brezeln und Wein wurde anschließend noch lange weiterdiskutiert: Sudha David-Wilp, Markus Kaim und Cornelius Adebahr stellten sich den gerne den Fragen insbesondere der anwesenden Student:innen und traten in ein offenes Gespräch.