Am 31. Mai waren Dr. Azadeh Akbari, Dastan Jasim, Avin Khodakarim, Hourvash Pourkian und Omid Rezaee an der Bucerius Law School zu Gast.
Chronologie eines weiblichen Widerstands
Dr. Azadeh Akbari, Assistant Professor für Public Administration und Policy Science an der Twente University sowie Co-Direktorin des Surveillance Studies Network, eröffnete den Abend in ihrer Keynote mit der These: Was wir im Iran beobachten, ist kein Ausnahmezustand. Die feministische Bewegung sei ein weiteres Glied in einer langen Kette weiblichen Widerstands gegen eine Kontinuität der Unterdrückung.
Ein Blick in die Vergangenheit zeige: Frauenrechte sind hoch politisch – der Körper der Frauen sei eine symbolträchtige Plattform für ideologische Kämpfe. Das Schah-Regime habe den Hijab verboten, um die vermeintliche Zukunftsgewandtheit zum Ausdruck zu bringen. Nach der islamischen Revolution wurde die Verschleierung zur Pflicht und zum Symbol für die wiedergewonnene Autonomie sowie das Ende des Ausverkaufs der iranischen Ressourcen an Westmächte.
Immer habe es sich dabei um Fremdbestimmung gehandelt und immer rebellierten Frauen unter Einsatz ihres Lebens gegen die Fremdherrschaft. Neu sei aber, dass Frauen über das Internet heute das männliche Monopol über die Geschichtsschreibung aufbrechen.
Von Zwiespältigkeit und Widersprüchen
Avin Khodakarim, freie Journalistin, sprach von einem emotionalen Zwiespalt. Einerseits erfülle der Mut der Menschen auf den Straßen sie mit unbeschreiblichem Stolz und mit Ehrfurcht vor ihrem Engagement. Andererseits berichtet sie von Hilflosigkeit. Sie berichtet davon, dass ihr Engagement mit Gewalt gegen Angehörige im Iran beantwortet werden könne, sie aber dennoch dazu angehalten wird, weiter zu schreiben. Die Menschen im Iran hätten nichts mehr zu verlieren. Ihre Körper seien der Willkür der Gewaltherrschaft ausgesetzt, eine horrende Inflation entziehe ihnen die wirtschaftliche Lebensgrundlage.
Omid Rezaee, freier Journalist, der aufgrund politischer Verfolgung aus dem Iran floh, beschreibt: Wer im Iran lebt, ist ständig mit repressiven Geboten konfrontiert; nimmt andererseits jedoch wahr, wie diese Gebote in der Sicherheit des eigenen Zuhauses alltäglich und selbstverständlich gebrochen werden. Dieser Alltag aus Widersprüchen, das ständige Reiben an und der offene Bruch mit den Geboten des Regimes politisiert eine ganze Bevölkerung.
Zunehmende Repressionen und Untätigkeit des Westens
Akbari analysiert die zunehmende Überwachung der Bevölkerung im Iran. Durch die Verknüpfung von Ausweispapieren mit digitalen Datenbanken von biometrischen Porträts und Fingerabdrücken und einer Ausweitung der Videoüberwachung habe der Iran heute die Mittel, Individuen im öffentlichen Straßenraum zu identifizieren. Vor diesemHintergrund sei es fernliegend, dass die Giftgas-Angriffe auf Mädchenschulen keinen Tätern zugeordnet werden können.
Hourvash Pourkian, Gründerin des Vereins Kulturbrücke Hamburg e. V. und der Initiative International Women in Power, kritisierte, dass die Revolutionsgraden in Deutschland nicht auf die Terrorliste gesetzt wurden. Sie betont darüber hinaus die Bedeutung symbolischen Engagements in Zivilgesellschaft und Institutionen. Immer wieder lasse das Regime politische Gefangene frei oder setze Hinrichtungen aus, wenn der öffentliche Druck groß genug sei.
Khodakarim kritisierte in diesem Zusammenhang die Berichterstattung in Deutschland. Häufig würden Informationen der Staatsmedien ohne weitere Einordnung übernommen und so legitimiert. Dies gelinge in Hinsicht auf russische Staatsmedien wesentlich besser.
Akbari hob die Bedeutung des Internets hervor. Es sei besonders wichtig, Aktivistinnen eine Umgehung von Internetblockaden zu ermöglichen. Schwierig seien insofern die restriktiven Visa-Bestimmungen für Menschen aus dem Iran. Eine Ausweitung der Anerkennung politischer Flüchtlinge würde das Engagement der Menschen im Iran anerkennen.
Uneinigkeit in der Exil-Opposition
Dastan Jasim, Research Fellow am GIGA Institut für Nahost-Studien Hamburg, beleuchtete in einer Videobotschaft die zentrale Rolle der kurdischen Minderheit für die aktuelle Bewegung. Nach ihrer Einschätzung befindet sich die Opposition an einem Scheideweg. Sie beschreibt zudem einen Rechtsruck innerhalb der Exil-Opposition und verweist auf gewaltsame Angriffe auf Linke und Minderheiten durch rechte Teile der Exil-Opposition.
Rezaee hält die Exil-Opposition für tief gespalten. Er stellt indes infrage, ob man einem Rechtsruck feststellen könne. Es handele sich insbesondere politisch und demografisch um eine diverse Gruppe und es fehle an empirischen Daten. Allerdings gebe es eine Tendenz zur Selbstüberschätzung: die Revolution geschehe heute im Iran. Die Exil-Opposition spiele dabei eine untergeordnete Rolle.
Pourkian betonte, dass auch die Spaltung der Opposition im In- und Ausland durch systematische Fehlinformationen durch das Regime gefördert werde, um eine Bündelung ihrer Kräfte zu verhindern.
Zur Bedeutung der Wahrheit
Zum Ende der Veranstaltung zitierte Rezaee frei nach Salman Rushdie: Wir können eine Sache verändern, indem wir sie beschreiben. Er appelliert an Medienschaffende und die Zivilgesellschaft, sich über die Zusammenhänge im Iran zu informieren und Fehlinformationen entgegenzuwirken, um so ein zutreffenderes Bild vom Iran, dem Unrecht und dem Aufbegehren zu schaffen.
In einem Schlusswort bedankt sich Akbari bei dem Publikum. Sie leisten einen Beitrag dazu, Aufmerksamkeit zu schaffen und das Regime weiter unter Druck zu setzen.