Anna Nyfeler: Deutsche Energiepolitik und Osterpaket

Ein Überblick über das Energierecht, die Rolle der Bundesnetzagentur und das beschlossene Osterpaket der Bundesregierung – Fofftein – Folge #25

Forschung & Fakultät |

Wie ist die Energiepolitik in Deutschland geregelt?

Unsere Energiepolitik ist in sehr vielen verschiedenen Rechtsakten, kurz: im Energierecht, auf europäischer und deutscher Ebene geregelt. Das hat damit zu tun, dass Energie ein internationales Thema ist, wie die Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine gerade deutlich zeigen. Außerdem betrifft die Energieversorgung sämtliche Bereiche des Lebens. Sie ist z.B. essenziell für die Industrie und damit für die Wirtschaft, hat aber gleichzeitig immense Auswirkungen auf unser Klima. Es sind daher auch die Regelungen des Energierechts, die dafür sorgen sollen, dass die EU und Deutschland das 1,5 Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen einhalten. Das Energierecht muss also viele unterschiedliche Aspekte auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene im Blick behalten. Man spricht deswegen auch von einer Querschnittsmaterie in einem internationalen Mehrebenensystem.

Die Europäische Union trifft ihre energiepolitischen Vorgaben meist in großen Gesetzgebungspaketen wie dem aktuellen „Fit for 55-“ oder „RePowerEurope-Paket“. Darin sind Verordnungen und Richtlinien enthalten: Die Verordnungen gelten in Deutschland unmittelbar; die Richtlinien hingegen muss der Deutsche Bundestag durch eigene Gesetze erst noch umsetzen.

In Deutschland gibt es zwei Hauptgesetze, die die Energiepolitik regeln: Erstens das Energiewirtschaftsgesetz, abgekürzt EnWG. Das EnWG ist das Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung. Es hat zum Ziel, eine möglichst sichere, preisgünstige und umweltverträgliche Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität, Gas und neuerdings auch Wasserstoff zu gewährleisten. Das zweite Hauptgesetz ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz, abgekürzt EEG. Das EEG soll eine nachhaltige und umweltverträgliche Energieversorgung ermöglichen. Dazu enthält es viele Fördermaßnahmen für erneuerbare Energien. Denn regenerative Energieerzeugung ist im Moment noch teurer als fossile Energieerzeugung und wird deswegen staatlich bezuschusst. Das EnWG und das EEG bilden den Rahmen für die deutsche Energiepolitik.

Daneben gibt es viele weitere Gesetze, die sich mit bestimmten Teilgebietenbeschäftigen. Darunter befindet sich das Netzausbaubeschleunigungsgesetz, das – wie der Name schon sagt – den Netzausbau beschleunigen soll. Denn erstens müssen viele erneuerbare Erzeugungsanlagen angeschlossen werden, um den Wegfall der Atom- und Kohlekraftwerke zu kompensieren. Zweitens möchte man zukünftig in möglichst allen Sektoren, beispielsweise auch im Verkehr und in der Industrie, auf fossile Energien verzichten. Deshalb benötigen wir mehr Strom und damit gleichzeitig ein leistungsstärkeres Netz.

Ebenfalls wichtig ist das Bundesbedarfsplangesetz. Es definiert Stromleitungen, die besonders schnell ausgebaut werden sollen. Das Windenergie-auf-See-Gesetz dient schließlich dem Ausbau der Offshore-Windenergie, also der Windenergieerzeugung auf Nord- und Ostsee. Insgesamt gestalten also 2 Hauptgesetze und viele weitere Nebengesetze, insbesondere die 3 genannten, die Energiepolitik auf deutscher Ebene.

Was hat die Bundesnetzagentur damit zu tun?

Die Bundesnetzagentur ist eine selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Sie ist in weitem Umfang für die Durchführung des Energierechts zuständig. Eine ihrer Aufgaben ist die Gewährleistung einer möglichst sicheren, preisgünstigen und umweltverträglichen Versorgung der Menschen in Deutschland mit Gas und Elektrizität. Dafür versucht sie, einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb im Strom- und Gasbereich sicherzustellen.

Was bedeutet das genau? Das Energierecht differenziert zwischen Energieerzeugern, Netzbetreibern sowie Strom- und Gasversorgern. Letztere sind diejenigen Unternehmen, mit denen wir unsere Strom- und Gasverträge abschließen. Die Bundesnetzagentur gestaltet nun die Bedingungen, zu denen die Versorger die Netze zur Belieferung ihrer Kundschaft nutzen können. Dabei legt sie unter anderem fest, welche Preise die Netzbetreiber von den Versorgern für die Netznutzung verlangen können. Das kommt auch den Verbraucher:innen zugute: Denn je niedriger die Kosten für die Netznutzung sind, desto niedriger sind für sie im Idealfall die Strom- und Gaspreise.

Die Bundesnetzagentur ist auch in die Förderung der erneuerbaren Energien eingebunden. Das EEG legt für die kommenden Jahre Ausbaupfade für Windenergie-, Solar- und Biomasseanlagen fest. Damit diese Ausbauziele erreicht werden, bezuschusst der Staat eine bestimmte Strommenge pro Anlagenart. Die Bundesnetzagentur schreibt die entsprechenden Fördermengen dann aus. Interessierte Anlagenbetreiber, also beispielsweise Betreiber von Windparks oder größeren Solaranlagen, können in den Ausschreibungsverfahren Gebote abgeben. In ihrem Gebot geben sie an, wo sich die Anlage befindet, wie viel Strom sie produzieren könnte und wie viel Förderung für den Strom notwendig wäre. Dem besten Gebot erteilt die Bundesnetzagentur dann den Zuschlag.

Besonders aktuell ist wegen der Gasverknappung seit dem russischen Angriff auf die Ukraine die Rolle der Bundesnetzagentur bei einer Verschlechterung der Gasversorgung. In einer Gasmangellage agiert die Bundesnetzagentur als sogenannter Bundeslastverteiler. Das heißt, dass sie die knappen Gasmengen an die unterschiedlichen Verbrauchergruppen, also etwa Industrie oder Privathaushalte, zuteilt. Eine Gasmangellage liegt offiziell dann vor, wenn die Bundesregierung nach dem „Notfallplan Gas“ die dritte und letzte Stufe, die sogenannte Notfallstufe ausruft. Die ersten beiden Stufen des Notfallplans ruft nicht die Bundesregierung, sondern das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aus, so wie es das dieses Jahr im März und im Juni auch getan hat. Auf diesen Stufen wirkt die Bundesnetzagentur noch nicht als Bundeslastverteiler. Es laufen im Hintergrund jedoch alle erforderlichen Vorbereitungen, um auf diese Aufgabe im Ernstfall vorbereitet zu sein.


Videoreihe „Fofftein“

Mit der Videoreihe „Fofftein“ möchten wir juristische Themen von gesellschaftlicher Relevanz für die interessierte, aber juristisch nicht vorgebildete Öffentlichkeit erklären und einordnen. Hierzu werden Mitglieder der Fakultät, Alumnae oder Alumni als Expert*innen eingeladen. In 5-10 Minuten – eben einer kurzen Kaffeepause – führen wir in die Thematik, beteiligte Akteure und die Umstände ein und erklären die Grundsätze des behandelten rechtlichen Themas.

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Welche Rolle spielt das Osterpaket in der deutschen Energiepolitik?

Das vor der Sommerpause in Bundestag und Bundesrat verabschiedete Osterpaket stellt die Weichen, um bis 2035 eine weitestgehend klimaneutrale Stromversorgung zu erreichen. Gleichzeitig will man die Abhängigkeit von russischem Erdgas und Erdöl reduzieren. Zentrales Ziel ist es, den Ausbau erneuerbarer Energien deutlich zu beschleunigen: Bis 2030 sollen 80% des in Deutschland benötigten Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen. Zur Einordnung:

im Jahr 2021 waren es erst 42%. Um das Ausbauziel zu erreichen, ändert das Osterpaket verschiedenste Gesetze, unter anderem auch das schon erwähnte EnWG, das EEG, das Windenergie-auf-See-Gesetz, das Netzausbaubeschleunigungsgesetz und das Bundesbedarfsplangesetz.

 

Was sind die wesentlichen inhaltlichen Änderungen des Osterpakets?

  • Die jährlichen Ausbaupfade, die der Gesetzgeber für die erneuerbaren Energien festlegt, werden für die einzelnen Technologien deutlich erhöht. Für die Windenergie an Land und die Solarenergie sind die geplanten Ausbauraten etwa doppelt so hoch wie bisher. Offshore-Windenergieanlagen sollen im Jahr 2030 mit einer Gesamtleistung von mindestens 30 GW installiert sein. Im Vergleich zum heutigen Ausbaustand wird damit fast eine Vervierfachung innerhalb der nächsten 9 Jahre angestrebt.
     
  • Den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien möchte der Gesetzgeber unter anderem dadurch realisieren, dass mehr Flächen für Wind- und Solaranlagen bereitgestellt werden. Nach dem neuen Gesetz zur Festlegung von Flächenbedarfen für Windenergieanlagen an Land müssen 2% der Bundesfläche für die Windenergie an Land ausgewiesen werden. Im Moment sind nur 0,8% nutzbar; geplant ist also mehr als eine Verdoppelung der aktuell ausgewiesenen Fläche. Um die Flächenausweisungen für Windenergieanlagen im Bundesgebiet nach den regionalen Potenzialen zu verteilen, weist das neue Windenergieflächenbedarfsgesetz einzelnen Bundesländern unterschiedliche verbindliche Flächenziele zu.
     
  • Der Gesetzgeber möchte jedoch nicht nur mehr Flächen für Ökostrom-Anlagen bereitstellen, sondern auch die entsprechenden Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Neben vielen weiteren Maßnahmen legt das EEG dafür etwa fest, dass die Errichtung und der Betrieb von Erneuerbaren-Energie-Anlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegen. Damit will man bewirken, dass solche Anlagen in Abwägungsentscheidungen, wie sie etwa im Baurecht vorkommen, grundsätzlich bevorzugt werden. Das bedeutet beispielsweise, dass Windräder auf unbeplanten und spärlich besiedelten Flächen privilegiert zulässig sind, bis die einzelnen Bundesländer ihre Flächennutzungsziele für die Windkraft erreicht haben.
     
  • Die vierte große Änderung durch das Osterpaket betrifft die Finanzierung der Energiewende. Bislang wurde die Förderung der Erneuerbaren Energien schlussendlich von den Verbraucher:innen über die sogenannte EEG-Umlage mitfinanziert, die zeitweise bis zu 20% des Strompreises ausmachte. Jetzt wird die EEG-Umlage abgeschafft. Davon erhofft man sich eine Entlastung der Endkund:innen, die natürlich wegen der Verknappung von russischem Öl und Gas schon wieder auf dem Spiel steht. Die Förderung der Erneuerbaren Energien wird nun jedenfalls weitestgehend aus Mitteln des „Energie- und Klimafonds“, eines Sondervermögens des Bundes, bezahlt. Dieser Fonds setzt sich vorrangig aus Erlösen aus dem deutschen Brennstoffemissionshandel zusammen, der CO2-Emissionen in den Sektoren Verkehr und Wärme bepreist.

Das Osterpaket schafft viele Änderungen zur Bekämpfung der Klimakrise, der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl und der rasanten Steigerung der Energiekosten. Dabei bleibt abzuwarten, welche tatsächlichen Wirkungen das Paket zeigt. Eines ist aber sicher: Um die großen Herausforderungen der Klimakrise und geopolitischer Abhängigkeiten zu bewältigen, muss das Energierecht als Querschnittsmaterie in einem internationalen Mehrebenensystem noch häufig angepasst werden. Die nächste Novelle hat Wirtschafts- und Klimaminister Habeck mit dem Sommerpaket auch schon angekündigt. Es bleibt also spannend!

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