Wie regelt das Recht die Nachhaltigkeit?

Recht spielt eine große Rolle auf dem Weg in eine klimafreundliche Wirtschaft und Politik – an der Bucerius Law School wird dazu geforscht

Hitzesommer, Dürre und zugleich die Aussicht auf einen Winter, in dem das Gas knapp werden könnte. Das Thema Nachhaltigkeit bekommt gerade in diesem Jahr eine Dringlichkeit, die nicht mehr zu übersehen ist. In der Sozialwissenschaft ist schon lange vom Anthropozän die Rede: wir befinden uns in einem geologischen Zeitalter, in dem der Mensch die Erde gravierend verändert und - man muss es so klar sagen - beschädigt hat.

Spätestens seit Beginn von Russlands Angriff auf die Ukraine ist zudem klar, dass die Fokussierung auf fossile Energieträger nicht nur aus ökologischer Sicht fatal ist. Sie hält Deutschland auch in Abhängigkeit von Rohstofflieferant*innen, die eine Versorgung ernsthaft gefährden können. Nun gilt es, hin zu einer Lebensweise zu finden, die die Energieversorgung sichert und zugleich ein Leben auf der Erde auch in langer Zukunft ermöglicht. Dafür braucht es zahlreiche Ansätze: Politische, ethische, soziologische und rechtliche. 

Rechtliche Ansätze auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit 

Das Recht spielt dabei eine wichtige Rolle. „Es ist zentral angesichts der Tatsache, dass reine Appelle an individuelle Verantwortung oder ethisches Handeln erfahrungsgemäß und strukturell nur eine sehr begrenzte Wirkung haben,“ sagt Professor Michael Fehling, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung an der Bucerius Law School.

Fehling hat zusammen mit Professor Christoph Kumpan das Center for Interdisciplinary Research on Energy, Climate and Sustainability (CECS) gegründet, das am 29. September an der Hochschule seine Auftaktveranstaltung feierte. „Das Recht ist ein unverzichtbares Steuerungsinstrument, weil nur das Recht am Ende auch etwas durchsetzen kann,“ so Fehling. 

Oberstes Ziel: die Erderwärmung begrenzen

Im Pariser Klimaschutzabkommen hat die Staatengemeinschaft das politische Ziel formuliert, die Erderwärmung auf höchstens 2 Grad und möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Um das zu erreichen, konzentriert sich die Rechtswissenschaft auf mehrere Schwerpunkte. Zentral ist vor allem die Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien, also der Solar- und Windkraft, Offshore und zu Lande.

Ein zweiter Schwerpunkt ist die Förderung innovativer Technologien für die Nutzung von grünem Wasserstoff. Ein weiteres wichtiges Feld, das rechtlich gestaltet werden muss, ist die Sektorkopplung. Um sich von fossilen Energieträgern zu lösen, muss Deutschland auch im Wärmesektor mehr mit grünem Strom arbeiten und beim Thema Verkehr auf E-Mobilität umsteuern.

„Die zentrale Herausforderung besteht in der Etablierung eines kohärenten Rechtsrahmens, der die Zieletrias aus Umweltverträglichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit effektiv verwirklicht,“ sagt Markus Ludwigs, Professor für öffentliches Recht an der Universität Würzburg. Ludwigs ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Energie- und Regulierungsrecht Berlin e.V. und des Wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift "Recht der Energiewirtschaft. Seit 2021 ist er Mitglied im Stiftungsrat der Stiftung Umweltenergierecht und spricht neben weiteren Redner*innen auch auf der Auftaktveranstaltung des CECS.

Osterpaket: Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen 

Das jüngste Instrument, das in diese Richtung steuert, ist das sogenannte Osterpaket, das die Bundesregierung im Sommer verabschiedet hat. Das soll die Weichen für eine klimaneutrale Stromversorgung bis 2035 stellen. Dafür soll es vor allem die Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen beschleunigen und ermöglichen, dass mehr Flächen dafür ausgewiesen werden.

Zwei Prozent der Fläche Deutschlands müssen künftig für Windkraftanlagen bereitgestellt werden, das ist mehr als eine Verdoppelung. Zudem wird im Osterpaket die Errichtung erneuerbarer Energieanlagen als überragendes öffentliches Interesse definiert. Das bedeutet: bei Abwägungen soll der Bau solcher Anlagen grundsätzlich bevorzugt werden. Zudem wurde die EEG-Umlage abgeschafft, um Strom billiger zu machen. 

Ein Schritt in die richtige Richtung- und dennoch wird das Osterpaket nach Einschätzung von Fehling weniger bringen als erhofft. Es zeigt ein Grundproblem auf, das bei der rechtlichen Gestaltung der ökologischen Wende Grenzen setzt: Wir haben ein Mehrebenensystem. Europa, der Bund, die Länder und die Kommunen – das alles muss ineinandergreifen, und manchmal setzen sich die jeweiligen Regelungen gegenseitig Grenzen.

Die artenschutzrechtlichen Fragen beispielsweise sind europarechtlich geregelt, und sie stehen dem Ziel des deutschen Gesetzgebers entgegen, schnell weitere Windkraftanlagen zu bauen. Weiteres Beispiel im Osterpaket: der Plan, neue Flächen für Windenergie zu Lande auszuweisen, droht mit der Autonomie der Bundesländer und der kommunalen Selbstverwaltung zu kollidieren.  

Effiziente Steuerung braucht einen Instrumentenmix 

Um wirklich effizient gestalten zu können, braucht es deshalb einen Instrumentenmix aus staatlicher Planung, finanziellen Anreizen, Geboten und Verboten sowie edukatorischem Staatshandeln. In der Rechtswissenschaft werden vielfältige Ansätze diskutiert. Eine interessante Idee könnten laut Fehling individuelle CO2-Kontingente auch für Privatbürgerinnen- und Bürger sein.

„Das wäre die mit Abstand gerechteste Lösung, um den CO2-Ausstoß zu begrenzen,“ so der CECS-Mitgründer. „Auch Privatleute könnten mit den Kontingenten handeln und würden für die eigene Klimabilanz Handlungsmöglichkeiten gewinnen.“ Aus datenschutzrechtlichen Gründen wäre die Idee derzeit zumindest in Deutschland allerdings kaum umzusetzen.  

CECS: Hin zur klimaschutzrechtlichen Perspektive

An der Bucerius Law School soll das neue CECS die Grundlagenforschung in Richtung Nachhaltigkeit vorantreiben und rechtspolitische Handlungsempfehlungen erarbeiten.  

Das CECS geht aus der Energierechtsinitiative „Energy Law and Policy“ hervor, die es seit rund sieben Jahren an der Hochschule gibt.

Der bisherige Fokus auf das Energierecht wird zu einer klimaschutzrechtlichen Perspektive ausgebaut. Der Forschungsansatz ist international, das CECS will Wissenschaftler*innen mit spezieller Expertise in den Bereichen Energie, Klima und Nachhaltigkeit zusammenbringen. Das Thema soll zudem interdisziplinär beleuchtet werden. Zur öffentlich-rechtlichen Perspektive kommt die zivilrechtliche hinzu.  

Das Center wird sich auf vier Forschungsfelder konzentrieren: Sektorkopplung, Digitalisierung der Energiewirtschaft, Green Finance und CO2-Einsparpotentiale entlang des Produktlebenszyklus. Ganz neu ist dabei das Forschungsfeld Green Finance, das Professor Christoph Kumpan betreuen wird. Green Finance will Finanzinvestitionen in möglichst klimafreundliche Projekte und Produkte lenken und Kapital für nachhaltige Investitionen mobilisieren. Dafür muss der Finanzmarkt stärker auf grüne Anlagen ausgerichtet werden.

„Nachhaltigkeitsrisiken, deren Verwirklichung in der Regel noch weit in der Zukunft liegt, werden derzeit nicht adäquat eingepreist,“ sagt Christoph Kumpan. Im Rahmen des neuen Centers werden die neuen Entwicklungen zu Green Finance eng begleitet. So gibt es bereits eine kritische Auseinandersetzung mit den Überlegungen der EU zur Regulierung von grünen Anleihen.

Das nächste Projekt knüpft daran an und setzt sich allgemeiner mit den Anforderungen an grüne Anlageprodukte auseinander. Daneben will das Center auch die Klimaverantwortlichkeit der Unternehmen mehr in den Blick nehmen. In den Niederlanden etwa hat das zu ersten Gerichtsprozessen gegen Unternehmen geführt. Bereits für den Januar ist eine Veranstaltung geplant, in der die Klimaverantwortlichkeit von Unternehmen thematisiert werden soll.   

Ein neuer Schwerpunkt wird zudem die Sektorkopplung sein. „Die wird vielfach als Schlüsselkonzept der Energiewende bezeichnet,“ sagt Professor Markus Ludwigs von der Universität Würzburg.  „Von einem konsistenten Recht der Sektorkopplung kann jedoch noch keine Rede sein.“

Wie das aussehen könnte, dazu forscht Anna Nyfeler bereits, Doktorandin am Lehrstuhl für öffentliches Recht an der Bucerius Law School. Sie promoviert zu der Frage, wie das Energierecht Sektorkopplungstechnologien wie die Elektromobilität, Power-to-Gas zur Produktion von grünem Wasserstoff und die Kraft-Wärme-Kopplung steuern kann und im Lichte der Zieletrias steuern soll.

Die Verbindung des Stromsektors mit dem Wärme-, Industrie- und Verkehrssektor gilt vor allem als wegweisend für die Dekarbonisierung. Das ist aber nicht die einzige Bedeutung, sagt Nyfeler: „Die Sektorkopplungstechnologien können bei systemdienlichem Einsatz zudem die Versorgungssicherheit stärken.“  

Im Forschungsfeld Digitalisierung der Energiewirtschaft des CECS soll es insbesondere darum gehen, das Ineinandergreifen von Handel, Transport und Vertrieb im Energiesektor effizient auszugestalten. Und beim vierten Schwerpunkt will das CECS eine rechtsübergreifende Perspektive entwickeln, wie der gesamte Lebenszyklus eines Produkts – von der Herstellung bis zur Entsorgung – treibhausgasminimierend gestaltet werden kann

Nachhaltigkeit bekommt auch in der Lehre mehr Gewicht  

Das Thema Nachhaltigkeit soll an der Bucerius Law School aber nicht nur in der Forschung mehr Gewicht bekommen. Auch in der Lehre hat sich schon viel getan, etwa durch die Wahlkurse zur Umweltökonomie und Umweltpsychologie oder durch die Vorlesung im Energierecht.

Im Studium Generale gab es eine Ringvorlesung zu Klima und Recht, im Studium Professionale haben Energierechtler*innen interessierte Studierende auf einer Veranstaltung zu Karrierewegen in dem Themenfeld informiert. Die Studierenden haben zudem das Veranstaltungsformat „Zukunftsdialog“ mit einer Vielzahl unterschiedlicher Nachhaltigkeitsthemen initiiert.  

Die Studierenden sind beim Thema Nachhaltigkeit ohnehin schon lange aktiv. Gerade das Handeln ist vielen ein großes Anliegen. Baro Gabbert, inzwischen Alumna der Bucerius Law School, hat 2019 die Hochschulgruppe für Klima und Nachhaltigkeit gegründet. Viele Kommiliton*innen haben dort das Bedürfnis geäußert, ihr juristisches Wissen auch in der Praxis anzuwenden. Dem folgte 2020 die Gründung der bundesweiten Climate Clinic, der ersten studentischen Rechtsberatung für Klimafragen.

Die dort engagierten Studierenden beraten seither Klimaaktivist*innen, Initiativen, NGOs, Verbände und andere Hochschulgruppen in allen Anfragen zu Klima und Recht, also zum Beispiel: was bedeutet der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts für die Bauleitplanung in einer Kommune? Und wären die klimapolitischen Forderungen einer NGO rechtlich überhaupt durchsetzbar? „Viele Aktivist*innen haben sonst keine Ansprechpartner*innen für solche Fragen,“ sagt Baro Gabbert.  

Grüner Campus 

Und natürlich gilt das Motto Lehre, Forschen, Handeln auch für die Hochschule selbst. Die Bucerius Law School will sich auch selbst nachhaltig aufstellen. Dafür ist Thies Hauck zuständig, der Leiter Hochschulentwicklung. Seit 2019 betreibt er das Green Office – ein Ort, an dem sich auch Studierende vielfältig einbringen können, um die Hochschule nachhaltiger zu gestalten. Die Bucerius Law School hat u.a. das Umweltmanagementsystem Ökoprofit durchlaufen, eine Zertifizierung durch die Industrie- und Handelskammer.

Ein großer Schritt war auch die Regelung für Dienstreisen, welche die Hochschule 2021 erlassen hat. Ein wichtiges Thema, denn Dienstreisen sind grundsätzlich erwünscht. „Die Fakultät forscht international und soll natürlich auch zu Kongressen weltweit reisen können“ sagt Hauck. Die neue Richtlinie besagt deshalb, dass bei der Planung einer Dienstreise der Preis nicht mehr das alleinige Kriterium ist. Die Mitarbeiter*innen können nun auch Reiserouten wählen, die etwas mehr kosten, wenn sie dafür nachhaltiger sind.

Auf Flugreisen sollte möglichst ganz verzichtet werden, vor allem natürlich bei Reisen innerhalb Deutschlands. Und wenn doch ein Flug erforderlich ist, dann wird er kompensiert – und zwar zentral über das Rechnungswesen, damit tatsächlich alle Flugbewegungen von Mitgliedern der Law School erfasst werden.  

Es sind viele einzelne Schritte auf dem Weg zu einem großen Ziel. Und es soll weitergehen. Einen echten Quantensprung in Richtung Nachhaltigkeit erhofft sich Hauck von den geplanten Neubauten, die auf dem Campus entstehen sollen: „Diese bieten die Chance, nicht nur konsequent nachhaltig zu bauen, sondern auch eine langfristig nachhaltige Nutzung zu ermöglichen,“. „Das könnte den gesamten Campus einen großen Schritt in Richtung klimaneutraler Hochschule bringen.“

Es sind also noch viele kleine und große Schritte zu gehen, um unsere Energieversorgung zu sichern und dafür zu sorgen, dass ein Leben auf der Erde auch in langer Zukunft möglich ist. Die Richtung aber steht fest, denn eine Alternative gibt es nicht.

Text

Elke Spanner, Florian Helwich

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