Sie kennen sich seit über 30 Jahren und saßen doch zum ersten Mal gemeinsam auf einem Podium: Prof. Eva Illouz und Prof. Natan Sznaider, beide hoch angesehene Soziolog:innen mit israelischen Wurzeln. In der Kooperationsveranstaltung zwischen dem Harbour Front Literaturfestival und dem Studium generale sprachen sie am 8. Oktober 2025 mit der Deutschlandfunk-Moderatorin Catherine Newmark über die zentralen Thesen aus Illouz‘ neuem Buch „Der 8. Oktober“ (Suhrkamp). Der Präsident der Bucerius Law School, Prof. Dr. Michael Grünberger, begrüßte die Gäste und stimmte das Publikum im vollbesetzten Helmut Schmidt Auditorium inhaltlich auf das Thema des Abends ein.
Zwei Mal unter Schock
Der Inhalt des Buches thematisiert die Reaktionen auf den Überfall der palästinensischen Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel, genau vor zwei Jahren. Damals wurden fast 1200 überwiegend jüdische Menschen getötet und rund 250 Menschen als Geiseln genommen.
Vor diesem Kontext beschäftigte sich Eva Illouz mit der Frage, warum Empathie in der Zeit nach dem Überfall selektiv verschwand – insbesondere bei der globalen Linken, der sie sich zugehörig fühlt. Illouz hat damals bei dem Überfall zwei verschiedene Erlebnisse gehabt: den 7. Oktober erlebte sie – aus Paris heraus – als schockierenden, militärischen Angriff und den Tag danach als emotionalen Schock. Denn an dem folgenden 8. Oktober gab es viele Stimmen, die sehr schnell Israel die Schuld an dem Massaker gegeben hatten. Illouz vernahm hingegen keine Stimmen des Mitgefühls, was sie zutiefst erschütterte.
Für Illouz war es eine unverständliche Umkehrung der tatsächlichen Situation. Dieses fehlende Mitgefühl veranlasste sie, sich auf die Suche nach den Ursachen zu machen.
Sie erlebt seitdem zwei Kriege: einen militärischen und einen ideologischen Krieg. Gerade die globale Linke äußerte kein Mitgefühl und beschuldigte stattdessen Israel, an dem Überfall Schuld zu sein. Für Illouz kein gutes Zeichen, denn die Beschuldigungen kamen auch von anderen politischen Lagern und außerhalb der Politik hätten sich zusätzlich zahlreiche Befürworter dieser These gefunden.
Ein anderer Blick
Natan Sznaider blickt anders auf den 7. Oktober und die Geschehnisse danach. Er war damals in Tel Aviv und erlebte den Überfall im eigenen Land. Er sei emotional immer noch nicht beim 8. Oktober angekommen. Ihn beschäftige weniger, was die globale Linke dazu sage, weil er aufgrund früherer Enttäuschungen nichts von ihr erwarte. Was ihn jedoch stark beschäftige, sei der Zusammenbruch aller Sicherheitssysteme. Seit dem Tag sei er emotional und physisch besetzt davon, dass die israelischen Sicherheitssysteme nicht standgehalten haben. Für ihn gebe es nur einen Krieg, in dem sich das Land weiterhin befinde.
Illouz bringt in ihrem Buch unterschiedliche Aspekte auf: Dazu gehörten u.a. De-Kolonialismus, der Begriff des Genozids, die Rolle der Juden in der globalen Diaspora und weitere Konzepte, wie etwa „post-factuality“, eine Zeit, in der Fakten keine Rolle mehr spielen würden. Dies alles seien Gründe dafür, dass die Empathie gegenüber Israel verschwunden sei.
Der Abend berührte aufgrund der persönlichen Erlebnisse von Illouz und Sznaider und regte zum Nachdenken an. Organisatorin Dr. Alexa Meyer-Hamme vom Zentrum für Studium generale und Persönlichkeitsentwicklung (ZSP) bedankte sich bei den Gästen und lud zu Brezeln und Wein ins Foyer. Nach der Veranstaltung nutzten viele Teilnehmer:innen die Gelegenheit, ihr Buch von Eva Ilouz signieren zu lassen und reflektierten im lockeren Beisammensein das Gespräch.