Internationale Streiterledigung im Fokus: Die Arbeit des Center for International Dispute Resolution

Interview mit Professor Dr. Stefan Kröll, LL.M., Director des Center for International Dispute Resolution (CIDR) und Affiliate Professor an der Bucerius Law School

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Seit wann agiert das „Center for International Dispute Resolution“, kurz CIDR?

Prof. Dr. Stefan Kröll: Das Center wurde Ende Dezember gegründet und offiziell am 14. Februar 2018 mit einer Opening Lecture von Prof. George Bermann von der Columbia Law School New York eröffnet. Seinen Vortrag zum Restatement des amerikanischen Schiedsrecht verglich dann Professor Gerhard Wagner von der Humboldt-Universität als Kommentator mit den Entwicklungen im deutschen Schiedsrecht. Viele Aktivitäten im Bereich Streiterledigung sind allerdings schon vorher an der Bucerius Law School gelaufen, ohne dass es das Center gab. Professor Karsten Thorn, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privat- und Handelsrecht und Rechtsvergleichung und ich, zuständig für den Bereich Schiedsgerichtsbarkeit, leiten es. Daneben sind in dem Center noch die Professoren Mehrdad Payandeh und Clifford Larsen aktiv sowie der Bucerius Alumnus Friedrich Rosenfeld.

„Die Mission des CIDR ist es, mit einem Blick über die eigene Rechtsordnung hinaus aktiv an der Entwicklung des Rechts der internationalen Streiterledigung mitzuwirken.”

Was sind die Aufgaben des CIDR?

Es untersucht, wie internationale Streitigkeiten geregelt und effektiv gestalten werden können. Wie werden diese so umgesetzt, dass es nur ein einzelnes Verfahren gibt? Und nicht, dass beispielsweise der eine Betroffene in Amerika klagt, der andere in Deutschland. Die alternative Streiterledigung hat zum Ziel, die Rechte aller Beteiligten durchzusetzen.

"Leider genügen die Gerichte in vielen ausländischen Rechtsordnungen nicht unseren Vorstellungen von einem effektiven und vor allem unparteiischen Rechtsschutz. Dieser lässt sich bei Streitigkeiten mit Parteien aus diesen Ländern häufig nur durch ein Schiedsverfahren erreichen."

Weshalb die internationale Ausrichtung?

Hier gibt es andere Problemstellungen als im nationalen Recht. Bei internationalen Streitigkeiten hat man damit zu kämpfen, dass der Streit potentiell in unterschiedlichen Rechtsordnungen entschieden werden kann und jede Partei in der Regel ihr eigenes Rechtssystem bevorzugt. Leider genügen die Gerichte in vielen ausländischen Rechtsordnungen nicht unseren Vorstellungen von einem effektiven und vor allem unparteiischen Rechtsschutz. Dieser lässt sich bei Streitigkeiten mit Parteien aus diesen Ländern häufig nur durch ein Schiedsverfahren erreichen. Hinzu kommt, dass beim Schiedsverfahren die Schiedsrichter in der Regel von den Parteien ausgewählt werden. Entsprechend hat dann jede Partei das Gefühl, dass ihre Position im Schiedsgericht zumindest Gehör gefunden hat. Ein deutscher Schiedsrichter versteht von seinem kulturellen Hintergrund her einen Deutschen nun mal besser als ein amerikanischer Schiedsrichter. Er kennt den Erwartungshorizont der Parteien und kann entsprechend ihr Verhalten besser einordnen.

„Durch die internationale Streitbeilegung schaffen wir das (Schieds-)Gericht selber und verhindern damit ein einseitiges forum shopping.”

Erklären Sie bitte, wie man bei einem internationalen Verfahren vorgeht?

Die erste Frage, die bei einer grenzüberschreitenden Streitigkeit über das Bestehen von materiellen Ansprüchen geklärt werden muss, ist die nach der Zuständigkeit: Vor welchem Gericht können die behaupteten Ansprüche geltend gemacht werden? In der Regel werden sich mehrere Gerichte potentiell für zuständig erklären. In solchen Fällen überlegt dann der Kläger, welches das für ihn günstigste Land ist, um zu klagen, d. h. wo seine Klage die größten Erfolgsaussichten hat. Dieses sogenannte forum shopping ist im internationalen Bereich sehr verbreitet. Daran schließt sich aber die Frage an, ob das in einem Land ergehende Urteil in einem anderen Land auch anerkannt und vollstreckt wird. Wenn beispielsweise ein Amerikaner eine deutsche Partei erfolgreich vor einem amerikanischen Gericht auf Zahlung verklagt, diese Partei aber kein Vermögen in den USA hat und die Zahlung nicht freiwillig leistet, muss das amerikanische Urteil in Deutschland, wo die Partei ihr Vermögen hat, zwangsweise durchgesetzt werden. Im Wirtschaftsrecht, mit dem ich mich befasse, wird häufig auf Schiedsverfahren zurückgegriffen.

Mit dem Abschluss einer Schiedsvereinbarung schließen die Parteien die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte für den Rechtsstreit aus und übertragen ihn auf ein Schiedsgericht. 

Wie ist das gemeint?

Mit dem Abschluss einer Schiedsvereinbarung schließen die Parteien die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte für den Rechtsstreit aus und übertragen ihn auf ein Schiedsgericht. Dieses wird nur für den konkreten Streit konstituiert und idealerweise werden als Schiedsrichter drei Experten ausgewählt, die sich in der Materie auskennen und die unterschiedliche Herkunft der Parteien reflektieren. Im genannten Fall wäre es ein Schiedsrichter aus Amerika, ein zweiter aus Deutschland, und eine neutrale Obfrau, vielleicht aus Großbritannien. Die Parteien selber bestimmen jeweils einen Schiedsrichter. Diese einigen sich dann zusammen auf den oder die Vorsitzende. Dank des New Yorker Übereinkommens, das 159 Staaten ratifiziert haben, ist der vom Schiedsgericht gefällte Schiedsspruch fast weltweit in allen Vertragsstaaten durchsetzbar. Bei einem Gericht ist das anders. Ein amerikanisches Urteil beispielsweise hat in Deutschland zunächst keine Rechtskraft. Der deutsche Staat muss das Urteil erst prüfen. 

Was ist der Vorteil eines Schiedsverfahrens?

Zunächst einmal die Möglichkeit das Verfahren selber zu gestalten und die Heimatgerichte der anderen Partei zu vermeiden. Hinzu kommt die leichtere internationale Durchsetzbarkeit des Schiedsspruchs. Dem liegt die Idee zugrunde, dass anders als im Gerichtsverfahren keine Partei vor ein Gericht gezwungen wird, welches sie sich nicht ausgesucht hat. Vielmehr wird der Streit von Personen entschieden, deren Zuständigkeit sich eine Partei unterworfen hat und die sie selber auswählen konnte. Es geht also frei nach dem Motto: Ihr habt euch die Schiedsrichter selber ausgewählt, dann seid ihr auch an deren Schiedsspruch gebunden. Daher sind alternative Formen der Streiterledigung und insbesondere Schiedsverfahren im Wirtschaftsrecht weit verbreitet.

„Um die Schiedsgerichtsbarkeit zu diskreditieren, wurden schon die Fakten etwas verdreht.”


Die öffentliche Diskussion ist hingegen primär von dem Sonderfall der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit geprägt. Dabei geht es nicht um Streitigkeiten zwischen privaten Parteien, sondern um die Klage eines ausländischen Investors gegen einen Staat. In der Diskussion ging es dann weniger um Inhalte und Fakten, als darum TTIP und CETA mit einer geschickten Kampagne zu verhindern. So sind beispielsweise die Klagen des Tabakkonzerns Philip Morris gegen Uruguay und Australien in einer Weise dargestellt worden, dass die breite Öffentlichkeit das Gefühl hatte, der Tabakkonzern müsste von den Ländern für die verschärfte Gesetzgebung zum Schutz vor den Gefahren des Rauchens entschädigt werden. Das ist aber keineswegs der Fall. Vielmehr sind beide Klagen auf Entschädigung abgewiesen worden. 

Jetzt mal von der Theorie zur Praxis, Ihrer Praxis: Wann ruft Sie ein Unternehmen an?

Immer dann, wenn man sich vertraglich auf ein Schiedsverfahren geeinigt hat und nun auf der Suche nach geeigneten Schiedsrichter ist. Solche Einigungen auf ein Schiedsverfahren finden sich aus den oben genannten Gründen besonders häufig bei internationalen Sachverhalten.

Man darf nie vergessen: Im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit leben wir in Deutschland und einigen anderen westlichen Ländern auf der Insel der Glückseeligen. 

Verrückt. Und das, obwohl wir Deutsche für unsere Über-Bürokratie bekannt sind?

Ja. Denn wenn ich als Kläger 40 Jahre in einem korrupten Land gelebt habe, dann glaube ich nicht, dass deutsche Richter nicht korrupt sind. In dem Fall ist ein Schiedsgericht aus Sicht der Beteiligten häufig die einzig akzeptable Alternative. Für uns in Deutschland ist ebenso schwer vorzustellen, dass in einzelnen Ländern die Urteile praktisch frei käuflich sind. Wir leben in einem Rechtsstaat und gehen davon aus, dass das in anderen Ländern ebenso ist. Man darf nie vergessen: Im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit leben wir in Deutschland und einigen anderen westlichen Ländern auf der Insel der Glückseeligen. Dabei brauchen wir nur etwas weiter nach Osten zu gehen. Wenn Richter in Ländern wie dem Kosovo Entscheidungen treffen, die einflussreichen Leuten nicht gefallen, kommen auch mal einige Bewaffnete vorbei, die einem „mitteilen“, wie man zu entscheiden hat.

Gibt es eine Krise in der Justiz?

In Deutschland nicht, in vielen anderen Staaten schon. Dort ist das Justizsystem alles andere als effektiv und unparteilich. Korruption und Drohungen verhindern effektive Verfahren. Da braucht man gar nicht in die Türkei zu gehen, sondern kann auch in Europa bleiben. So beschwert sich die Europäische Kommission massiv darüber, dass in Polen beispielsweise wichtige rechtsstaatliche Prinzipien in Frage gestellt werden und es an effektiver Kontrolle der staatlichen Organe mangelt. Die nationalistische Stimmung ist aber nicht nur auf das öffentliche Recht beschränkt, sondern erfasst auch die Privatwirtschaft. Als Privatpersonen haben Deutsche und Ausländer dort größere Probleme, ihr Recht durchzusetzen. Dementsprechend gibt es mehr Schiedsverfahren als in staatlichen Gerichten.

"Wichtige rechtsstaatliche Prinzipien in Frage gestellt werden und es an effektiver Kontrolle der staatlichen Organe mangelt."

Haben Sie einen korrupten Fall schon einmal miterlebt?

Korruption hat schon in mehreren meiner Fälle eine große Rolle gespielt. Über einen kann ich auch reden, da intensiv über den Fall in der einschlägigen Presse berichtet wurde. Es ging um einen Streit zwischen der österreichischen Staatsdruckerei und dem Staat Kosovo. Ich war vom Kosovo als Schiedsrichter ernannt worden, wahrscheinlich weil ich mehrere Jahre zuvor für USAID bei der Gründung der lokalen Schiedsinstitution mitgewirkt hatte. Die österreichische Staatsdruckerei hatte die Ausschreibung für die Erstellung biometrischer Pässe für die kosovarischen Staatsangehörigen gewonnen. Für die Durchführung des Vertrags, insbesondere die Zollformalitäten, bediente man sich einer Kosovarin, die während des Bürgerkriegs nach Deutschland geflohen war, inzwischen aber wieder in den Kosovo zurückgekehrt war und dort als Handelsvertreterin für das Land gearbeitet hatte. Da die Staatsdruckerei ihr auch den Firmenstempel ausgehändigt hatte, hatte sie einfach eine neue Rechnung mit ihrer Bankverbindung erstellt und die Kosten für den Pass-Auftrag auf ihr Konto umgeleitet. Als Deutschen hat mich trotz meiner Auslandserfahrung überrascht, dass die Frau anscheinend davon ausgegangen war, mit dem Verhalten durchzukommen und auch nicht strafrechtlich belangt zu werden. Die österreichische Staatsdruckerei hatte den Kosovo daraufhin verklagt, weil dieser das Geld falsch überwiesen hatte. Dabei hatte Österreich gleich zu Anfang darauf plädiert, dass die Kosovaren nur auf ein bestimmtes Konto überweisen dürften. Diese hatten sich nicht daran gehalten. Ein Drittel der Pässe waren bereits erstellt, als es den Ärger gab. Als Konsequenz entzog der Kosovo, der anscheinend völlig falsch beraten war, den Österreichern den Auftrag. Er wurde dann letztlich von einer deutschen Druckerei fertiggestellt. Doch die Österreicher hatten ja schon Teile gedruckt und bestanden auf den Profit, den sie mit dem Auftrag gemacht hätten. Insgesamt waren das etwa vier Millionen Euro. 

Eine Menge Geld – wie ging es für die Österreicher aus?

Es gab ein Schiedsverfahren, in dem der Kosovo zur Zahlung verurteilt wurde. Eine weitere Begebenheit aus dem Fall ist auch noch erwähnenswert. Im Rahmen der Bestimmung des Schadens musste festgestellt werden, ob zusätzlich zu den bereits ausgelieferten Pässen schon weitere Pässe erstellt worden waren, wie von der Staatsdruckerei behauptet. Der Staat Kosovo glaubte nicht, dass es die Pässe gab. Daraufhin wollten wir, das Schiedsgericht, einen österreichischen Notar hinschicken. Selbst dann blieben die Kosovaren misstrauisch. Das Konzept, dass es Organe der Rechtspflege gibt, die von einer Partei bezahlt werden, aber trotzdem neutral sind, war ihnen einfach zu fremd.

Das zeigt zugleich, dass Staatenschiedsverfahren im Ausland häufig die einzige Möglichkeit sind, überhaupt „Good Governance“ einzufordern. Dass sollten die Kritiker der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit bedenken und bei aller berechtigten Kritik an der Durchführung solcher Verfahren das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

"Staatenschiedsverfahren im Ausland häufig die einzige Möglichkeit sind, überhaupt Good Governance einzufordern."

Wie erfahren die Studierenden der Bucerius Law School von all dem?

In den einschlägigen Vorlesungen im Schwerpunkt Internationaler Handel und Streitbeilegung. Zudem werden in den verschiedenen Moot Courts Fälle auf internationaler Ebene simuliert. Vertieft und wissenschaftlich können die Studierenden sich dann als Doktoranden mit den Themen befassen.

Womit beschäftigen Sie sich derzeit am Center?

Mit Streiterledigung und der Harmonisierung des Rechts. Wir picken uns einzelne Fragestellungen heraus, die häufig Initiativen der Vereinten Nationen betreffen. Herr Thorn untersucht, wie es mit wirtschaftlich schwächeren Parteien aussieht. Ein Beispiel: Die Betreiber von Subway-Shops sind kleine Gewerbetreibende. Wenn in deren Vertrag steht, „wir tragen ein Verfahren nur in den USA aus oder ausschließlich durch Schiedsverfahren“, kann das schwerwiegend finanzielle Folgen haben. Bei staatlichen Gerichten zahlt der Staat, die Anwaltskosten trägt jeder selber. Die Kosten für ein Schiedsgericht allerdings bezahlt man komplett selber, neben dem Anwaltshonorar. Wie sieht es aber aus, wenn eine Partei kein Geld hat? In dem Punkt muss sich was ändern. Prozessfinanzierer sind zum Beispiel im Kommen. Sie finanzieren das Verfahren und lassen sich prozentual am Gewinn beteiligen. Diese Sponsoren kalkulieren kühl, ob sich die Investition lohnt oder nicht. Für kleine Unternehmen sind sie hilfreich. Ein weiteres Beispiel: Ein deutscher Mittelständler liefert Ware für zehn Millionen nach Polen. Der Kunde zahlt nicht, der Unternehmer hat kein Geld mehr und kann deshalb nicht klagen. Dann findet sich jedoch ein Dritter, der den Fall finanziert, und der Chef überlegt: Sieben Millionen Euro sind mir lieber als gar nichts.

"Am CIDR picken uns einzelne Fragestellungen heraus, die häufig Initiativen der Vereinten Nationen betreffen, z.B. wie wirtschaftlich schwächere Parteien von Schiedsgerichtsverfahren profitieren können."

Wie kamen Sie selber zu dieser Rechtsdisziplin?

Seit dem Studium bin ich in dem Fach tätig. Im fünften Semester bin ich für ein Auslandsjahr nach Genf gegangen und dort zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung gekommen. Seitdem hat es mich nicht mehr losgelassen.

"Wir wären weiter, wenn wir die in einigen Ländern endemische Korruption bekämpfen würden."

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Effektive Korruptionsbekämpfung. Korruption ist aus meiner Sicht eines der größten Hindernisse für jede nachhaltige Entwicklung in vielen Staaten dieser Welt. Je mehr ich international tätig bin, desto mehr habe ich das Gefühl, wir wären weiter, wenn wir die in einigen Ländern endemische Korruption bekämpfen würden – vor allem im Rechtssystem. Es ist doch so: Ich investiere nur dort, wenn ich fühle, hier bin ich sicher. Zum Glück gibt es bei den Vereinten Nationen viele Initiativen, die gegen Korruption angehen. Das lässt sich auch nur mit vereinten Kräften bewerkstelligen. Doch es muss mehr passieren.

Text

Anja Reinbothe-Occhipinti

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