Lisa Gerlach: Zu alt zum Pfeifen? Der Fall Manuel Gräfe

Bisher durften Bundesligaschiedsrichter*innen nur bis 47 Jahre pfeifen. Jetzt hat einer von ihnen erfolgreich geklagt – Fofftein – Folge #29

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Dem aufmerksamen Fußballfan mag bereits aufgefallen sein, dass Schiedsrichter viel früher in den Ruhestand gehen als die restliche arbeitende Bevölkerung, und zwar bereits mit 47 Jahren.

So ereilte dieses Schicksal vor Manuel Gräfe auch schon Thorsten Kinhöfer, Florian Meyer und Peter Sippel. Fielen die Karriereenden nur zufällig auf dasselbe Alter? Muss man an seinem 47. Geburtstag mit einem drastischen Leistungsabfall rechnen? Oder diskriminiert der DFB seine Schiedsrichter*innen wegen ihres Alters?

 

Wie ist das Schiedsrichterwesen des DFB organisiert?

Wie die Spieler fangen auch Schiedsrichter am Anfang ihrer Karriere in der niedrigsten Liga an. Nach bestandener Schiedsrichterprüfung pfeifen sie ihre Spiele, nehmen an Fortbildungen teil und müssen jährlich theoretische sowie praktische Tests absolvieren und Prüfungen bestehen.

Ihre Schiedsrichterperformance wird anhand eines Punktesystems durch Beobachtende des DFB bewertet. Die besten Schiedsrichter steigen zum Ende der Saison in die nächsthöhere Liga auf. Mit dem Aufstieg in die ersten beiden Bundesligen erhalten sie neben einer Vergütung pro Spielleitung von bis zu 5.600€ eine Grundvergütung von bis zu 80.000€ pro Jahr, die zu Beginn der Saison ausgezahlt wird.

Einmal drin heißt aber nicht immer drin. Die Schiedsrichtervereinbarung für die drei Bundesligen schließt der DFB mit zurzeit 64 auserwählten Schiedsrichtern immer nur für eine Saison ab. Die Verteilung der Spielaufträge läuft dabei ausschließlich über den DFB. Der Schiedsrichter kann die Aufträge annehmen oder ablehnen.

In seinen Regularien hat der DFB eine Altersgrenze für die Eliteschiedsrichter nicht festgelegt. Vielmehr setzt er sich zum Ziel, Diskriminierungen unter anderem wegen des Alters zu verhindern. Trotzdem erhalten Schiedsrichter seit Jahrzehnten nach ihrem 47. Lebensjahr keine Schiedsrichtervereinbarung für die nächste Saison, und zwar unabhängig davon, ob sie die theoretischen Prüfungen und die Fitnesstests bestehen.

 

Was hat das Landgericht Frankfurt am Main genau entschieden?

Das Landgericht hatte zu entscheiden, ob der DFB seine Schiedsrichter wegen ihres Alters diskriminiert, weil er mit ihnen systematisch ab dem 47. Lebensjahr keine Schiedsrichtervereinbarungen mehr abschließt. Außerdem musste es sich darüber Gedanken machen, in welcher Höhe Manuel Gräfe entschädigt wird oder ob ihm sogar ein Schadensersatz für seinen Verdienstausfall zusteht.

Die Diskriminierung wegen des Alters ist nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten, kann allerdings gerechtfertigt sein. Gerechtfertigt wäre die Altersdiskriminierung, wenn das Alter wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderungen angemessen sind.

Das Landgericht hatte aber keine Rechtfertigung für die Diskriminierung gesehen. Die Altersgrenze von 47 Jahren sei nur willkürlich gewählt. Zwar baue die körperliche Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter ab, was im Leistungssport sehr schnell das Aus bedeutet. Warum diese Grenze aber exakt bei 47 Lebensjahren liegen soll, sei weder wissenschaftlich belegt noch durch einen Erfahrungswert begründet.

Außerdem seien die Leistungstests und Nachweise gegenüber einer starren Altersgrenze vorzugswürdig. Wichtig ist, dass der DFB die Altersgrenze gar nicht in seinen Regularien aufgenommen haben muss, um zu diskriminieren. Laut dem landgerichtlichen Urteil genüge die tatsächlich praktizierte Altersgrenze.

 

Wie kommt das Gericht auf die Entschädigungssumme von 48.500€?

Der Entschädigungsanspruch folgt aus § 15 Abs. 2 AGG, der verschuldensunabhängig gewährt wird. Dort ist von einer angemessenen Entschädigung in Geld die Rede. Ersetzt wird dadurch der immaterielle Schaden. Der Anspruchsinhaber soll eine Art „Schmerzensgeld“ erhalten.

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass eine Entschädigung von ein bis zwei Bruttomonatsgehältern angemessen ist. Wenn man annimmt, dass Manuel Gräfe eine Grundvergütung von ungefähr 70.000€ pro Saison erhielt und fast jede Woche ein Spiel leitete, für das er mit 5.600€ vergütet wurde, hat sich das Gericht wohl an einer Summe von zwei Bruttomonatsgehältern orientiert.

Einen Anspruch aus § 15 Abs. 1 AGG auf Ersatz von materiellen Schäden, insbesondere auf Zahlung des Verdienstausfalls, hat das Gericht Manuel Gräfe nicht zugestanden. Er hätte, so das Gericht, beweisen müssen, dass er ohne die Altersgrenze bei der Listenaufstellung berücksichtigt worden wäre und Spiele geleitet hätte. Dafür hätte er nicht nur erklären müssen, dass er für die Stelle geeignet, sondern das Gericht davon überzeugen müssen, dass er der bestgeeignete Bewerber gewesen sei.

 

Überzeugt das Urteil des LG Frankfurt?

Lisa Gerlach sagt teilweise ja, teilweise nein. Es überzeugt, dass das Gericht die klare Altersdiskriminierung als solche erkennt und den DFB nicht mit seiner Argumentation davonkommen lässt, die Altersgrenze sei doch gar nicht in seinen Regularien enthalten. Schiedsrichter wie Felix Brych, der am Anfang dieser Saison 47 Jahre alt geworden ist, können wohlmöglich aufatmen und damit rechnen, dass sie auch in der nächsten Saison Bundesligaspiele pfeifen dürfen.

Nicht überzeugend findet sie aber die Entscheidung, einen Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG abzulehnen. Wenn man davon ausgeht, dass Manuel Gräfe die Fitnesstests besteht und das Regelwerk mit seinem 47. Geburtstag nicht komplett vergessen hat, ist er aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung und seine herausragenden Schiedsrichterleistungen einer der besten Schiedsrichter Deutschlands.

Zwar verlangt § 15 Abs. 1 AGG, dass der Anspruchsteller der bestgeeignete Bewerber für die eine ausgeschriebene Stelle ist – das ist übrigens in der Praxis fast nie zu beweisen. Der DFB schließt mit seinen Schiedsrichtern jedoch immer nur auf eine Saison befristete Verträge, sodass für jede Saison wieder alle (zurzeit) 64 Stellen frei sind. Manuel Gräfe hätte somit nur der bestgeeignete Schiedsrichter für eine dieser 64 Stellen sein müssen. Das ließe sich, wie Lisa Gerlach findet, einfach beweisen.

 


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Wie geht es weiter und welche Auswirkungen hat das Urteil?

Sowohl der DFB als auch Manuel Gräfe warten nun erst einmal das schriftliche Urteil mit seiner Begründung ab.* Beide Parteien haben nicht ausgeschlossen, in die nächste Instanz vor das Oberlandesgericht Frankfurt zu ziehen. Es bleibt interessant, wie das Landgericht seine Entscheidung begründet, einen Schadenersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG abzulehnen und welchen Maßstab es in dem Zusammenhang an die Beweislast von Manuel Gräfe angelegt hat.

Eines aber bleibt in jedem Fall: Ein Gericht hat erstmals festgestellt, dass der DFB seine Schiedsrichter aufgrund ihres Alters diskriminiert. Die Altersgrenze von 47 Jahren ist zwar nicht in den Regularien des DFB schriftlich fixiert, wird jedoch ausnahmslos seit Jahrzehnten praktiziert. Das reicht für eine Diskriminierung wegen des Alters aus.

Manuel Gräfe wird ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 48.500€ zugesprochen, als Eliteschiedsrichter darf er jedoch nicht mehr pfeifen. Dafür hat er seinen Kolleg*innen vielleicht dazu verholfen, auch noch nach ihrem 47. Lebensjahr Pflichtspiele der Lizenzligen zu leiten oder jedenfalls einen Platz auf der Schiedsrichterliste zu erhalten. Ob ein Schiedsrichter eine Partie leiten darf, entscheidet nämlich immer noch allein der DFB.

*Anmerkung: Mittlerweile wurde das schriftliche Urteil mit seiner Begründung veröffentlicht: Bürgerservice Hessenrecht. Das Gericht urteilt, dass § 15 I AGG ausscheidet, da Manuel Gräfe seine fachliche Qualifizierung nicht ausreichend dargetan hat, insbesondere hätte er darlegen müssen, dass er dem „Listenschwächsten“ überlegen gewesen wäre.

 

Text

Lisa Gerlach

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