Jasmin Dolling: Lootboxen als illegales Glücksspiel?

Ob und wie sogenannte Lootboxen Glücksspiel im rechtlichen Sinne sind und die möglichen Folgen einer solchen Einordnung – Fofftein – Folge #33.

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Was versteckt sich hinter dem Begriff „Lootboxen“?

Im Februar dieses Jahrs ist das erste Mal im deutschsprachigen Raum ein Urteil zu sogenannten „Lootboxen“ ergangen. Das österreichische Bezirksgericht Hermagor hat rechtskräftig geurteilt, dass es sich hierbei um illegales Glücksspiel handelt. Lootboxen sind digitale Beutekisten, die in Computerspielen gekauft werden können. Meist erfolgt der Kauf mit „In-Game-Währung“, die wiederum vorher mit Echtgeld erworben wurde.

In den Lootboxen können sich, je nach Spiel, beispielsweise Gegenstände, Waffen, neue Kleidung oder spielbare Charaktere unterschiedlicher Seltenheitsgrade befinden, die dann im Spiel genutzt werden können. Was ein Spieler beim Öffnen der Kisten genau erhält, bestimmt sich nach dem Zufallsprinzip und kann nicht beeinflusst werden. Oft existieren für Lootboxinhalte Zweitmärkte, auf denen die digitalen Gegenstände für viel Geld gehandelt werden können.

In Belgien sind Lootboxen bereits als illegales Glücksspiel eingeordnet worden. In Ländern wie den Niederlanden, Spanien und Australien gibt es laufende Gesetzgebungsverfahren, um Lootboxen zu verbieten oder ihren Einsatz zumindest zu regulieren. Auch das Europäische Parlament hat im Januar dieses Jahres die EU-Kommission dazu aufgefordert, zu evaluieren, ob die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen für Lootboxen hinreichend sind.

 

 

Wieso hat das Bezirksgericht Hermagor diese als illegales Glücksspiel eingeordnet?

Das österreichische Bezirksgericht hat nun zu sogenannten „FIFA-Packs“ in FIFA Ultimate Team, einem Spielmodus der Fußballsimulation EA Sports FIFA, geurteilt. In den FIFA-Packs befinden sich virtuelle Fußballspieler, mit denen man sich ein Team zusammenstellen und gegen andere Mannschaften spielen kann. Die Packs können erspielt oder online gegen sogenannte „FIFA-Points“ erworben werden. Ein Pack kann zwischen 50 und 2500 FIFA-Points kosten. Für 1050 FIFA-Points zahlen Spieler aktuell 9,99€.

Nach § 1 des Österreichischen Glücksspielgesetzes ist Glücksspiel ein Spiel, bei dem die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängt. Dies ist nach Ansicht des Gerichts bei den FIFA-Packs der Fall, dazufällig ist, welche Fußballer darin enthalten sind. Ob sie dann erfolgreich im Spiel eingesetzt werden können, hängt zwar auch von der Geschicklichkeit des Spielers ab, hat aber nichts damit zu tun, welche Figuren sich im Pack befinden.

Das Gericht hat außerdem geurteilt, dass die FIFA Packs nach österreichischem Glücksspielrecht auch illegal sind. Denn wenn Spieler im Zusammenhang mit der Teilnahme an einem Glücksspiel einen Einsatz leisten und ihnen hierbei einen Gewinn in Aussicht gestellt wird, handelt es sich um Ausspielungen nach § 2 des Glücksspielgesetzes. Für die Durchführung von Ausspielungen hat der österreichische Staat jedoch ein Monopol. Sie dürfen also nur angeboten werden, wenn hierfür vorher eine staatliche Konzession vergeben wurde.

Der Einsatz der Spieler besteht hier in den FIFA-Points, die sie mit echtem Geld erworben haben. Fraglich war allerdings, ob im Gegenzug auch eine vermögenswerte Leistung als Gewinn in Aussicht gestellt wurde, denn im ersten Schritt erhalten Spieler beim Öffnen der Packs nur digitale Charaktere, die sie dann für ihr Spiel benutzen können. Entscheidend war hier die Handelbarkeit. Da für den Inhalt der FIFA-Packs ein Zweitmarkt besteht, kann mit ihnen ein Gewinn erzielt werden.

Zwar war den Spielern der Handel in den Nutzungsbedingungen explizit nicht erlaubt, da aber trotzdem ein tatsächlicher Markt existiert, hielt das Gericht die Vorgaben der Nutzungsbedingungen für unerheblich. Es handelt sich also bei den FIFA-Packs zumindest in Österreich um illegales Glücksspiel. Folglich sind die zustande gekommenen Kaufverträge nichtig und der klagende Spieler erhält das Geld, das er für FIFA-Points ausgegeben hat, um damit die Packs zu kaufen, zurück.

 


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Wie ist Glücksspiel in Deutschland reguliert und in welchen Situationen können Lootboxen unter den deutschen Glücksspielbegriff fallen?

In Deutschland ist das Glücksspielrecht im sogenannten Glücksspielstaatsvertrag geregelt. Nach dessen § 3 Absatz 1 Satz 1 liegt ein Glücksspiel, vor wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Wenn Glücksspiel öffentlich veranstaltet wird – auch im Internet – bedarf dies der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Andernfalls ist es verboten.

In der deutschen Glücksspieldefinition sieht man, genau wie in der österreichischen, die Kriterien des Einsatzes bzw. Entgelts, der Zufallsabhängigkeit und der Gewinnchance. Ein Entgelt wird eingesetzt, wenn eine Lootbox mit echtem Geld erworben wird oder eine virtuelle Währung gekauft wird, um damit die Lootbox zu öffnen.

Teilweise wird diskutiert, ob bei Lootboxen eine Erheblichkeitsschwelle unterschritten wird, weil eine einzelne Lootbox umgerechnet oft nur weniger als 1€ kostet. Allerdings wird es bei den allermeisten Spielern nicht nur beim Kauf einer einzigen Lootbox bleiben, sodass sich hier praktisch meist kein Problem stellt.

Zusätzlich wird von der wohl herrschenden Meinung aber noch das ungeschriebene Kriterium des Risikos eines Totalverlusts verlangt. Nur wenn jemand sein Geld komplett verlieren könne, handele es sich um einen Einsatz. Problematisch ist hieran, dass in Lootboxen immer irgendein Gegenstand enthalten ist, ein Spieler also nie komplett leer ausgehen kann. Es gibt aber mittlerweile schon einige Stimmen in der Literatur, die eine Aufgabe dieses Kriteriums fordern. Deshalb könnte ein Gericht auch entscheiden, es nicht mehr anzuwenden und Lootboxen trotzdem als entgeltlich einzuordnen.

Das Kriterium der Zufallsabhängigkeit ist auch nach deutschem Recht unproblematisch gegeben, da Spieler keinen Einfluss darauf haben, welche Gegenstände sie in ihrer Lootbox erhalten. Die zu guter Letzt erforderliche Gewinnchance bestimmt sich, wie in Österreich, danach, ob den virtuellen Gegenständen wirtschaftlicher Wert zukommt. Hier ist abermals entscheidend, ob sie auf Zweitmärkten handelbar sind, also gegen echtes Geld verkauft werden könnten. Ist dies der Fall, liegt die Gewinnchance vor.

Allerdings könnten Gerichte in Deutschland, anders als das österreichische Gericht, eventuell eine Exkulpation der Anbieter zulassen, wenn diese den Handel in ihren Nutzungsbedingungen verboten haben und Spieler diesen Bedingungen zuwider trotzdem auf Drittplattformen anbieten oder kaufen. Im Ergebnis ist eine Einordnung von Lootboxen als Glücksspiel daher nach deutschem Recht nach der Meinung Jasmin Dollings eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

 

Welche Folgen hat die Einordnung von Lootboxen als Glücksspiel?

Würden Lootboxen auch in Deutschland als Glücksspiel eingeordnet werden, müssten Anbieter eine Glücksspiellizenz erwerben. Für Glücksspiele im Internet gilt hierbei § 4 Absatz 4 des Glücksspielstaatsvertrags, wonach Erlaubnisse nur für Lotterien, Sport und Pferdewetten, Online-Casinospiele, virtuelle Automatenspiele und Online-Poker erteilt werden dürfen. Ansonsten ist das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten.

Lootboxen scheinen allerdings – zumindest nicht ohne erheblichen Begründungsaufwand – in keine dieser Kategorien zu passen. Daher hätte eine Einordnung als Glücksspiel nach dem Glücksspielstaatsvertrag in seiner aktuellen Fassung zur Folge, dass gar keine Erlaubnis erteilt werden könnte und Lootboxen daher immer illegal wären. Spieler, die Lootboxen gekauft haben, könnten wiederum das dafür ausgegebene Geld zurückverlangen.

Die Ausnahme des § 762 Absatz 1 Satz 2 BGB, wonach aufgrund eines Spiels geleistete Einsätze nicht zurückgefordert werden können, wäre im Übrigen nicht anwendbar. Denn das Angebot der Lootboxen würde gegen ein gesetzliches Verbot, nämlich den Glücksspielstaatsvertrag, verstoßen, weshalb die geschlossenen Verträge nichtig wären.

Die Klage des FIFA-Ultimate-Team-Spielers in Österreich wurde von einem Prozessfinanzierer unterstützt, der nach eigenen Aussagen bereits eine vierstellige Anzahl an Spielern ausfindig gemacht hat, die ebenfalls ihre für Lootboxen geleisteten Einsätze zurückfordern wollen. Das Urteil des Bezirksgerichts Hermagor könnte nun also der Startschuss für eine regelrechte Klageflut sein. Bald könnten also laut Jasmin Dolling vielleicht auch hierzulande erste Prozesse anhängig sein. Und schließlich könne auch die Europäische Kommission der eingangs erwähnten Aufforderung des EU-Parlaments nachkommen und Lootboxen europaweit regulieren. Ob hierbei ein glücksspiel-, verbraucher-, oder jugendschutzrechtlicher Schwerpunkt gesetzt wird, ist zurzeit noch offen. Es bleibt also spannend!

 

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Jasmin Dolling

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