Dr. Ruben Rehr: Darf ein gemeinnütziger Verein politisch tätig werden?

Alumnus Dr. Ruben Rehr erklärt, warum gemeinnützige Körperschaften nicht unpolitisch sein müssen – in Fofftein-Folge #36.

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Dr. Ruben Rehr, MJur (Oxford) ist Rechtsanwalt in Hamburg und Lehrbeauftragter im Steuerrecht an der Bucerius Law School. In der neuesten Fofftein-Folge erläutert er, unter welchen Voraussetzungen gemeinnützige Körperschaften politisch aktiv sein dürfen.

 

Gemeinnützigkeit und politisches Engagement sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen

Der Bundesfinanzhof (BFH), Deutschlands oberste Gericht in Steuersachen, hat entschieden, dass eine gemeinnützige Körperschaft, die durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung politische Zwecke verfolgt, keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt. Hier darf man allerdings nicht aufhören das Urteil zu lesen. Denn gleich im nächsten Satz führt der BFH weiter aus: Eine gemeinnützige Organisation darf sich politisch betätigen, wenn dies der Verwirklichung eines in § 52 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) genannten Zwecks dient.

 

Warum wird überhaupt zwischen politischem Engagement und Gemeinnützigkeit unterschieden?

Diese Unterscheidung beruht auf zwei gesetzlichen Regelungskonzepten. Auf der einen Seite soll verhindert werden, dass die strengen Regeln zur Parteienfinanzierung umgangen werden. Das Parteiengesetz verlangt beispielsweise, dass Parteien Spenderinnen und Spender von mehr als 500 Euro identifizieren müssen. 

Bei Spenden über 10.000 Euro im Jahr ist der Spender mit Anschrift im Rechenschaftsbericht aufzuführen, Spenden über 35.000 Euro müssen dem Bundestagspräsidenten unverzüglich gemeldet werden. „Dürften gemeinnützige Körperschaften Parteipolitik unterstützen, könnten sich Parteien gemeinnützige Spendensammelvehikel konstruieren und so das Parteiengesetz umgehen“, erklärt Dr. Ruben Rehr.

Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber einen Katalog gemeinnütziger Zwecke definiert, die durch die Zivilgesellschaft verfolgt werden sollen. Zur Verfolgung eines solchen gemeinnützigen Zweckes darf eine gemeinnützige Körperschaft politisch werden. 

Beispielsweise wurde höchstrichterlich entschieden, dass eine gemeinnützige Umweltorganisation an Demonstrationen gegen die Endlagerung radioaktiver Abfälle teilnehmen darf. Sie darf sich auch für eine Änderung der Energiepolitik einsetzen oder eine entsprechende Volksinitiative unterstützen – solange sie eben parteipolitisch neutral bleibt und den Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung nicht überschreitet.

 

Wann liegt politische Aktivität noch im Rahmen der Gemeinnützigkeit?

Entscheidend ist, ob die politische Betätigung der Verwirklichung eines gemeinnützigen Satzungszwecks dient. „Der Zweck muss ausdrücklich in der Satzung verankert sein“, betont Dr. Rehr. So darf ein Verein, der den Umweltschutz als Satzungszweck festgelegt hat, auch die Politik zu einer anderen Energiepolitik auffordern. Ein Verein für Denkmalschutz kann sich gegen den Abriss historischer Baudenkmäler engagieren. Eine Organisation für Gleichberechtigung von Mann und Frau kann auf gesellschaftliche Ungleichheiten hinweisen und Reformen verlangen.


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Warum nicht jedes politische Engagement unter Volksbildung fällt

Könnte ein gemeinnütziger Verein politischen Aktivismus als Volksbildung deklarieren? „Das geht nicht“, stellt Dr. Rehr klar. Wer die Allgemeinheit von seinen politischen Konzepten, etwa einer Finanztransaktionssteuer oder eines bedingungslosen Grundeinkommens, überzeugen will, der leistet keine Volksbildung. „Gemeinnützige Volksbildung erfordert geistige Offenheit und muss verschiedene Perspektiven beleuchten“, so Rehr weiter.

 

Die Satzung soll nur Zwecke enthalten, die auch verfolgt werden sollen

Rein formal könnte kann ein Verein alle gemeinnützigen Zwecke in seine Satzung schreiben, doch das ist nicht empfehlenswert. „Nur die Zwecke, die tatsächlich verfolgt werden sollen, sollten aufgenommen werden“, rät Rehr. Denn das Gemeinnützigkeitsrecht verlangt, dass die Vereinsarbeit auf die Satzungszwecke ausgerichtet ist. Nicht jeder Zweck muss jedes Jahr verwirklich werden. Aber Satzungszwecke, die blutleer bloß auf Vorrat aufgenommen sind, können die Gemeinnützigkeit gefährden.

 

Wenn ein Sportverein für den Umweltschutz demonstriert

Angenommen, ein Sportverein ruft zur Teilnahme an einer Umweltschutz-Demo auf – verliert er dann seine Gemeinnützigkeit? Das ist nicht der Fall. „Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verhindert eine solche Sanktion“, beruhigt Rehr. Die Finanzverwaltung erkennt an, dass ein Verein ausnahmsweise auch außerhalb seines Satzungszwecks Stellung zur Tagespolitik nehmen darf, solange dies nur vereinzelt passiert. 

 

Sind personelle Überschneidungen zwischen gemeinnützigen Organisationen und politischen Parteien problematisch?

Hier gibt es keine grundsätzlichen Bedenken. „Viele Politiker engagieren sich privat in gemeinnützigen Vereinen“, erklärt Dr. Rehr. „Würde man ihr Engagement als gemeinnützigkeitsschädlich einordnen, käme das einem faktischen Verbot der gemeinnützigen Tätigkeit für Politikerinnen und Politiker gleich. Das wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die grundrechtlichen Freiheiten.“ 

 

Text

Inga Siek

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