Matthias Kneissl: Klimahaftung – ein Weg zu mehr Klimagerechtigkeit?!

Matthias Kneissl, wiss. Mitarbeiter an der Bucerius Law School, spricht in der neusten Fofftein-Folge über Klimahaftung und Gerechtigkeit #38.

Forschung & Fakultät |

Matthias Kneissl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Jens Prütting an der Bucerius Law School.

In der neusten Fofftein-Folge ordnet er die Entscheidung des OLG Hamm zur historischen Klimahaftungsklage Lliuya gegen RWE ein. 

Kneissls Forschungsfokus liegt auf dem Thema Nachhaltigkeit im Gesellschaftsrecht. In diesem Kontext untersucht er unter anderem die Frage: Was versteht man unter Klimahaftung – und wie funktionieren Klimaklagen in der Praxis?

Klagen gegen Konzerne: Rückblick und Prävention

Seit 1990 wurden weltweit über 1300 Klagen im Zusammenhang mit dem Klimawandel erhoben – ein Großteil davon zivilrechtlicher Natur. „Man spricht hier auch von horizontalen Klimaklagen“, erläutert Kneissl. Diese zielen entweder rückblickend auf eine Entschädigung oder nach vorn auf Unterlassung ab.

In sogenannten rückwärtsgerichteten Klagen soll nachgewiesen werden, dass ein Unternehmen durch frühere Emissionen konkrete Schäden verursacht hat. Vorwärtsgerichtete Klagen hingegen möchten präventiv gegen künftige Risiken vorgehen – etwa durch Unterlassungsansprüche. Ein prominentes Beispiel ist die Klage eines peruanischen Bauern gegen den Energiekonzern RWE. Der Vorwurf: Die Emissionen des Unternehmens sollen zum Abschmelzen eines Gletschers beigetragen haben – was wiederum das Haus des Klägers bedroht.

 

Der juristische Werkzeugkasten für Klimaklagen

Kneissl erklärt, dass in der Theorie ein Schadens- oder Beseitigungsanspruch geltend gemacht werden könne – etwa nach § 823 oder § 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Voraussetzung sei jedoch, dass ein konkreter Schaden vorliegt, der ursächlich auf die Emissionen eines Unternehmens zurückgeführt werden kann. „Der Anspruch muss juristisch sauber hergeleitet sein – und genau hier wird es komplex“, so Kneissl.


VIDEOREIHE „FOFFTEIN“

Mit der Videoreihe „Fofftein“ möchten wir juristische Themen von gesellschaftlicher Relevanz für die interessierte, aber juristisch nicht vorgebildete Öffentlichkeit erklären und einordnen. Hierzu werden Mitglieder der Fakultät, Alumnae oder Alumni als Expert*innen eingeladen. In 5-10 Minuten – eben einer kurzen Kaffeepause – führen wir in die Thematik, beteiligte Akteure und die Umstände ein und erklären die Grundsätze des behandelten rechtlichen Themas.

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Die vierstufige Kausalitäts-Pyramide

Ein zentrales Problem sei die Beweisführung. „Kläger müssen zeigen, dass eine direkte Verbindung zwischen den Emissionen eines Unternehmens und dem eingetretenen Schaden besteht“, sagt Kneissl. Er beschreibt dieses Erfordernis als vierstufige Kausalitäts-Pyramide:

Die Emissionen des Unternehmens müssen messbar zum Klimawandel beigetragen haben. Der Klimawandel muss eine konkrete Naturkatastrophe ausgelöst haben. Diese Naturkatastrophe muss ursächlich für den Schaden gewesen sein. Der spezifische Schaden muss wesentlich durch die Emissionen des Beklagten verursacht worden sein.

Zur Untermauerung der ersten Stufe verweist Kneissl auf die Studie des US-Klimaaktivisten Richard Heede, der für den Zeitraum von 1854 bis 2010 eine Rückwärtsberechnung durchführte. Ergänzt durch Studien von Griffin und Ekwurzel (2017), kam er zu dem Ergebnis, dass RWE für rund 0,47 % der globalen Emissionen verantwortlich sei.

 

Mathematische Modelle stoßen an ihre Grenzen

Doch trotz solcher Zahlen bleiben viele Fragen offen. „Treibhausgase vermischen sich global – die genaue Zuordnung eines Schadens zu einer Emissionsquelle ist methodisch schwer belastbar“, gibt Kneissl zu bedenken. Auch die zeitliche Abgrenzung, etwa zur industriellen Revolution, sei problematisch.

Diese Unsicherheiten schlagen sich auch in der Rechtsprechung nieder: Das Oberlandesgericht Hamm wies kürzlich die Klage des peruanischen Bauern Saul Luciano Lliuya ab. Ein Sachverständiger hatte das Risiko einer tatsächlichen Überflutung auf nur ein Prozent beziffert – und selbst im Schadensfall sei kein relevanter Gebäudeschaden zu erwarten.

 

Klimagerechtigkeit als Ziel, nicht als Automatismus

Dennoch sieht Kneissl in Klimaklagen ein wichtiges Instrument, um auf strukturelle Ungleichheiten aufmerksam zu machen. „Klimagerechtigkeit bedeutet, dass nicht die Ärmsten die Hauptlast des Klimawandels tragen, sondern die Verantwortlichen – nach dem Verursacherprinzip.“

Aktuell jedoch gebe es ein klares Missverhältnis: „Die Industrieländer emittieren – und der Globale Süden zahlt die Rechnung“, sagt Kneissl. Dabei dürfe die Lösung nicht in einer Überlastung der Wirtschaft liegen. Vielmehr gehe es um einen vernünftigen Interessenausgleich, bei dem Schäden anerkannt, aber keine ruinösen Summen fällig würden.

 

Gesetzgeber in der Pflicht

Für Kneissl ist klar: Der Gesetzgeber spielt eine Schlüsselrolle. Nur er könne die Rahmenbedingungen schaffen, um zwischen legitimen Schadensansprüchen und wirtschaftlicher Zumutbarkeit zu balancieren. „Es geht nicht nur um Haftung, sondern auch um Verantwortung – juristisch und gesellschaftlich“, betont Kneissl abschließend.

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Matthias Kneissl

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