Parteienprivileg und rechtliche Hürden
Diese exklusive Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit sind wichtige Bestandteile des sogenannten Parteienprivilegs. Aus diesem folgt auch, dass eine Partei, solange sie nicht verboten worden ist, nicht benachteiligt werden darf.
Beispielsweise darf eine Kommune einer noch nicht verbotenen Partei nicht den Zugang zu einer Stadthalle versagen, wenn diese dort ihren Parteitag oder eine Wahlveranstaltung abhalten möchte und die Stadthalle ansonsten anderen Parteien für solche Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wird.
Unterschied zwischen Parteien und anderen Vereinigungen
Vereinigungen, die nicht die Voraussetzungen einer Partei erfüllen, weil sie zum Beispiel nicht regelmäßig an Wahlen teilnehmen, an einem gravierenden Mangel an Mitgliedern leiden oder ihnen die organisatorischen Ressourcen für eine ernsthafte Teilnahme an Wahlen fehlen, können unter weniger strengen Voraussetzungen von den Landesinnenministerverboten werden.
Soweit sie deutschlandweit agieren, können sie von der Bundesinnenministerin nach Artikel 9 Abs. 2 in Verbindung mit dem Vereinsgesetz durch den Erlass eines entsprechenden Verwaltungsaktes verboten werden.
Dann bleibt der verbotenen Vereinigung nur ein nachgelagerter Rechtsschutz gegen das Verbot vor den Verwaltungsgerichten.
Folgen eines Parteiverbots
Stellt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer Partei fest, dann wird die Partei aufgelöst und das Verbot ausgesprochen, Ersatzorganisationen, also zum Beispiel eine Nachfolgepartei, zu gründen.
Außerdem kann das Gericht das Vermögen der Partei einziehen und gemeinnützigen Zwecken zuführen. Alle Mandate, die Abgeordnete der Partei auf Bundes- oder Landesebene innehaben, entfallen ersatzlos.
Dabei kann das Bundesverfassungsgericht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit auch auf den Landesverband einer Partei beschränken.
Nach der Beteiligung des Bundesverfassungsgerichts bleibt der für verfassungswidrig erklärten und verbotenen Partei noch der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
Kriterien der Verfassungswidrigkeit
Auf der Ebene des Grundgesetzes regelt Artikel 21 Abs. 2 das Parteiverbotsverfahren. Danach sind Parteien verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger:innen darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.
Freiheitlich-demokratische Grundordnung
Was ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung genau? Dazu gehören die in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes garantierte Menschenwürde, die gleichberechtigte Teilhabe aller Bürger:innen an der politischen Willensbildung als Ausfluss des Demokratieprinzips sowie die Unabhängigkeit der Gerichte und das staatliche Gewaltmonopol als zentrale Merkmale des Rechtsstaatsprinzips.
Grundprinzipien, die – so formulierte es das Bundesverfassungsgericht – für den freiheitlichen Verfassungsstaat unentbehrlich sind.
Intensität der Beeinträchtigung
Weiter formuliert Artikel 21, dass diese Grundordnung beseitigt oder beeinträchtigt werden soll. Die Partei, um die es geht, muss also diese Grundordnung insgesamt oder zumindest in wesentlichen Teilen abschaffen oder ersetzen wollen, damit man von einem Beseitigen sprechen kann.
Es genügt aber auch, wenn sie die Grundordnung nur beeinträchtigen will. Das ist zugegebenermaßen etwas schwerer zu fassen, weil hier eine Gefährdung der Grundordnung genügt, die aber eine gewisse Intensität erreicht haben muss.
Die Anhänger:innen der Partei, und dazu zählen Funktionär:innen, Mitglieder, aber auch Unterstützer:innen, müssen die verfassungswidrige Programmatik planvoll und aktiv umzusetzen versuchen.
Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus
Weist die Programmatik einer Partei oder auch ihre Rhetorik eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf, rechtfertigt dies allein zwar nicht ein Parteiverbot.
Wohl aber hat die Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus eine ganz erhebliche, indizielle Bedeutung.
Sie legt nämlich nahe, dass verfassungsfeindliche, auf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtete Ziele von dieser Partei verfolgt werden.
Entscheidung zur NPD und Potenzialität
In seiner Entscheidung zur NPD aus dem Jahre 2017 hat das Bundesverfassungsgericht sich außerdem mit der Formulierung "Darauf ausgehen" in Artikel 21 befasst und ein weiteres Kriterium eingeführt, nämlich das Kriterium der Potenzialität.
Das Verbot einer Partei ist danach nur zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Handeln einer Partei auch tatsächlich erfolgreich sein kann.
Maßgeblich hierfür können sein der Bestand und die Entwicklung der Mitglieder einer Partei, deren Organisations- und Finanzierungsstrukturen, ihre Mobilisierungsfähigkeit, die Wahlergebnisse, die sie erzielt haben, die Ämter und Mandate, die sie errungen hat, oder ihre Einbettung in Unterstützungsstrukturen.
Fehlt es hingegen an der Potenzialität, wird die Partei erst einmal nicht verboten.
Neuregelung von Artikel 21 Abs. 3 Grundgesetz
Allerdings wurde im Anschluss an das NPD-Verfahren im Jahr 2017 Artikel 21 Absatz 3 Grundgesetz neu geschaffen.
Dort ist nun geregelt, dass die Partei von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden kann. Die finanziellen Voraussetzungen für die Teilnahme am politischen Wettbewerb werden ihr dadurch in erheblichem Maße genommen.
Anders als das Parteiverbot setzt der Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung nicht voraus, dass die Partei ihre verfassungsfeindlichen Ziele potenziell auch erreichen kann.
Timing eines Parteiverbotsverfahrens
Das grundsätzliche Problem eines Parteiverbotsverfahrens bleibt dabei immer, dass es sich um ein präventives Verfahren des Schutzes unserer Verfassung handelt.
Geschützt wird die Verfassung aber nur, wenn eine Partei zum gleichsam richtigen Zeitpunkt verboten wird. Wird der Antrag zu früh gestellt und sind die Anforderungen an ein Parteiverbot zu niedrig, dann schadet das dem offenen demokratischen Wettbewerb, den das Grundgesetz eigentlich möchte.
Das Gleiche gilt im Übrigen auch für missbräuchlich zum Ausschalten politischer Wettbewerber:innen gestellte Anträge.
Hat sich umgekehrt eine verfassungswidrige Partei schon in den Gesetzgebungsorganen, in der Exekutive oder unter den Gerichten festgesetzt und ganz konkret mit dem Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung begonnen, dann kommt der Antrag womöglich zu spät oder wird aufgrund der veränderten politischen Machtverhältnisse gar nicht mehr gestellt.
Seit seiner Gründung im Jahre 1951 war das Bundesverfassungsgericht mit insgesamt sechs Verfahren befasst. Bereits in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland kam es zu zwei Verfahren, die lange das Verständnis und die Voraussetzungen des Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes geprägt haben.
Die SRP und KPD-Verbote
Am rechtsextremen Rand wurde die Sozialistische Reichspartei (SRP) 1952 vom Bundesverfassungsgericht verboten.
Bei dieser Partei handelte es sich personell, organisatorisch, programmatisch und ideologisch um eine der NSDAP verwandte Partei.
Obwohl bereits im November 1951 von der Adenauer-Regierung nur wenige Tage nach dem Antrag auf Verbot der SRP beantragt, folgte das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) erst vier Jahre nach der SRP-Entscheidung im Jahre 1956.
Unzulässige Anträge und Vereinsverbote
Die 1993 von Bundesregierung und Bundesrat beziehungsweise dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg bei Bundesverfassungsgericht gestellten Anträge auf Verbot der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei und der Nationalen Liste wurden vom Gericht als unzulässig zurückgewiesen.
Nach Ansicht der Richter:innen in Karlsruhe handelte es sich bei den beiden Vereinigungen nicht um Parteien im Sinne des Grundgesetzes.
In der Folge konnten sowohl die FAP als auch die NL durch Vereinsverbot gemäß Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes durch den Bundesinnenminister bzw. den Hamburger Innensenator verboten werden.
Das NPD-Verfahren
Ein im Jahr 2001 von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung beantragtes Parteiverbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) blieb ohne Erfolg.
Zwei Jahre nach Antragstellung stellte das Gericht das Verfahren ein. Drei Richter:innen kamen zu der Überzeugung, dass in dem Einsatz von V-Leuten durch Verfassungsschutzbehörden ein Verfahrenshindernis lag.
Die für ein Parteiverbot erforderliche Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des zweiten Senates konnte deshalb nicht mehr zustande kommen.
Das zweite NPD-Verfahren
Im zweiten Verfahren gegen die NPD, das im Unterschied zum ersten Verfahren nur noch vom Bundesrat beantragt worden war, stellte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der NPD fest.
Mit Blick auf die geringe Bedeutung der Partei verneinte das Gericht jedoch das Merkmal der Potenzialität und sah von einem Verbot der Partei ab.