Zeitenwende durch Staatsreform

Wie gelingt der Wandel von Verwaltung zu Gestaltung?

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„Ich bin überzeugt: Unsere Demokratie wird stärker und resilienter, wenn wir unseren Staat schneller, besser, bürgernäher machen.“ – Mit diesen Worten hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Sommer den Abschlussbericht der überparteilichen Initiative für einen handlungsfähigeren Staat vorgestellt. Fünf Monate später diskutierten Expert:innen nun an der Bucerius Law School über den Stand der Staatsmodernisierung – und darüber, wie viel von dieser Aufbruchsstimmung in der politischen Realität bereits angekommen ist. 

Im vollbesetzten Helmut-Schmidt-Auditorium begrüßte Prof. Manuel J. Hartung, Vorstandsvorsitzender der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, die Gäste und betonte die Dringlichkeit einer umfassenden Modernisierung staatlicher Strukturen. Anschließend eröffnete Prof. Dr. Gabriele Buchholtz, Juniorprofessorin an der Universität Hamburg und Alumna der Bucerius Law School, die Diskussion mit einem Impuls, der die Leitfrage des Abends präzise auf den Punkt brachte: Wie kann ein Staat effizient arbeiten, ohne an Verständlichkeit und Vertrauen zu verlieren? Vertrauen, so Buchholtz, sei das Fundament jeder funktionierenden Demokratie – und derzeit spürbar brüchig. 

 

Zwischen Anspruch und Umsetzung 

Unter der Moderation von Dr. Cornelius Adebahr (Adjunct Faculty an der Hertie School) diskutierten Julia Jäkel, Mitinitiatorin der Initiative für einen handlungsfähigeren Staat, und Arne Schneider, Haushaltsdirektor der Freien und Hansestadt Hamburg, über Chancen und Hürden der aktuellen Reformbemühungen. Jäkel stellte klar, dass die „Zeitenwende“ nicht durch eine Staatsreform ausgelöst werde, sondern umgekehrt: Die gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Umbrüche der Gegenwart zwingen den Staat zu einer tiefgreifenden Modernisierung. „Unsere Strukturen stammen vielfach noch aus den fünfziger Jahren“, so Jäkel, „doch Politik muss heute ganz anders gelingen – agiler, interdisziplinärer und offener.“ 

Schneider betonte die besondere Rolle der Kommunen als „Bürgerstaat im Nahbereich“: Hier funktioniere Modernisierung oft schon besser, weil Nähe und Pragmatismus über Parteigrenzen hinweg wirkten. Auf Bundesebene hingegen bleibe die Reform der Verwaltung eine Daueraufgabe. „Man darf sich von den vielen Ankündigungen nicht täuschen lassen – echte Staatsmodernisierung ist ein Marathon“, so Schneider. 

 

Impulse aus Bund und Ländern 

Ein zentrales Thema war das neu geschaffene Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) – die Umsetzung einer bereits im Zwischenbericht der Initiative enthaltenen Forderung. Jäkel begrüßte die Gründung und lobte den Mut, eine Führungspersönlichkeit aus der Privatwirtschaft an die Spitze zu setzen. Damit ein solches Ministerium aber wirksam werden könne, müsse das Verhältnis zwischen Bund und Ländern neu austariert werden: „Wenn jedes Land eigene Datenschutzstandards oder IT-Systeme betreibt, verschenken wir Effizienz und Vertrauen.“ 

Schneider wiederum hob hervor, dass Staatsmodernisierung nicht allein eine Frage von Technologie oder Organisation sei, sondern auch von Haltung: „Wir brauchen eine Verwaltung, die nicht nur verwaltet, sondern gestaltet – mit Mut, Verantwortung und Sinn für das Gemeinwohl.“

 

 

Von „besser“ zu „anders“ 

Zum Abschluss öffnete sich die Runde für Publikumsfragen. Besonders hängen blieb eine Frage an Julia Jäkel: Wie gelingt der Sprung von „besser“ zu „anders“? Ihre Antwort: „Wir müssen zu einem Mut zurückfinden, den wir immer in uns hatten. Und das können wir auch.“ 

Diese Haltung prägte den gesamten Abend: Staatsmodernisierung ist keine technokratische Reformagenda, sondern eine demokratische Selbstvergewisserung. Ohne sie, so das unausgesprochene Fazit, bleibt auch die vielbeschworene Zeitenwende unvollendet. 

Über die Initiative für einen handlungsfähigen Staat

Die Initiative wurde im Sommer 2024 unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gegründet. Sie reagiert auf vielfältige gesellschaftliche Herausforderungen – etwa Digitalisierung, demografischen Wandel, eine fragmentierte Verwaltung und ein sinkendes Vertrauen in den Staat – und sieht die Handlungsfähigkeit des Staates als zentralen Faktor für eine robuste Demokratie. 

Hinter der Initiative stehen der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Andreas Voßkuhle, die ehemaligen Bundesminister Dr. Thomas de Maizière und Peer Steinbrück sowie Julia Jäkel als Medienmanagerin und Aufsichtsrätin. Unterstützt wurde das Projekt von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Stiftung Mercator, der Fritz Thyssen Stiftung und der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS. 

Der Abschlussbericht der Initiative enthält 35 konkrete Empfehlungen, die in sieben Arbeitsgruppen mit rund 50 Expert:innen erarbeitet wurden und in die auch die Rückmeldungen und Anregungen von Alumni der vier Stiftungen einflossen. Zu den zentralen Handlungsfeldern gehören insbesondere Gesetzgebung und Föderalismus, Digitaler Staat, Sicherheit, Datenschutz, Klima, Soziales und Bildung. 

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ZSP

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