Daniela Sepehri und Alhierd Bacharevič setzen sich für Oppositionsbewegungen ein, die sich Unrechtsregimen in sehr unterschiedlichen Ländern entgegenstellen. Die Repressionsapparate der postsowjetischen Autokratie in Belarus und der islamistischen Theokratie in Iran weisen aber zahlreiche Parallelen auf. Das gilt auch für beide Freiheitsbewegungen. „Vergleiche fordern uns heraus, Gemeinsamkeiten zu identifizieren, aber auch Kontexte zu erkennen und auseinanderzuhalten“ – mit diesen Worten begrüßt Präsident Michael Grünberger daher die beiden Expert:innen zum Gesprächsabend am 10. Januar 2024 in der Bucerius Law School.
Bacharevič ist Schriftsteller aus Belarus und derzeit Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Sein im Februar auf Deutsch erscheinender Roman „Die Hunde Europas“ ist in seiner Heimat verboten.
„Nach den Wahlen im August 2020 erwachten die Belarusen in einem anderen Land“, berichtet der Autor. Nach dem Versagen der Regierung des autokratischen Präsidenten Lukaschenka in der Pandemie und gefälschten Wahlergebnissen erhob sich eine Protestwelle. Sie wuchs zunächst noch an, als das Regime Demonstrant:innen mit Gewalt bekämpfte. Nie zuvor hätten sich so viele Menschen mobilisieren lassen. Vor allem eine neue, europäisch orientierte Generation ging laut Bacharevič auf die Straße. Geeint habe sie der Wunsch nach Freiheit und Selbstrealisierung.
Niedergeschlagene Hoffnung
„Wir hatten die Hoffnung, diesmal die Diktatur zu besiegen“, sagt der Schriftsteller. Die Hoffnung starb: Es häuften sich Berichte über schwere Misshandlungen von verhafteten Kritiker:innen, die Eliten wandten sich vom Protest ab. Bacharevič und seiner Frau waren zur Flucht gezwungen.
Solcher Methoden gegen Oppositionelle bedient sich auch das iranische Regime. Die Journalistin Daniela Sepehri ist Mitbegründerin des Patenschaftsprogramms von HAWAR.help für politische Gefangene im Iran. An diesem Abend verleiht sie unter anderem Amirsalar Davoudi eine Stimme. Der Menschenrechtsanwalt ist seit 2018 im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert. Die Bucerius Law School hat eine Patenschaft für ihn übernommen.
Von anfänglich großer Hoffnung im Rahmen der „Frau-Leben-Freiheit“-Revolution im Iran erzählt auch Sepehri – und von der brachialen Antwort der Machthaber. Nicht nur, dass sich Unrechtsregime in den gewaltsamen Reaktionen glichen. „Sie lernen dabei auch voneinander.“
Die Journalistin sieht in der massiven Gewalt, mit der der Revolution begegnet wurde, einen Tabubruch: Ein solcher Schlag - mit so vielen Verhaftungen, Folter bis zu Vergewaltigungen und auch gegen Kinder gerichtet – sei eine neue Stufe der Gewalt des Regimes.
Justiz als verlängerter Arm
Die Justiz ist in beiden Staaten auf ihre jeweilige Weise verlängerter Arm der Exekutive. Schwammig formulierte Gesetze erlaubten es der Geheimpolizei, Oppositionelle mit dem Anschein von Legalität zu verfolgen, sagt Bacharevič zur Lage in Belarus. Beliebteste Methode: Straftaten werden fingiert, vor allem Korruptionsvorwürfe.
Im Iran fällt die Scheinjustiz laut Sepehri keine unpolitischen Urteile. Die Revolutionsgerichte mit Islamgelehrten als Richtern dienten einzig dem Erhalt des Status quo. Von den wenigen Menschenrechtsanwält:innen im Land seien fast alle im Gefängnis. Die Familien der Verhafteten würden oft gezwungen, sich regimetreue Pflichtverteidiger zu nehmen, von denen sie finanziell ausgenutzt würden. Die wenigen unabhängig tätigen Anwälti:nnen erhielten häufig keinen Zugang zu den Akten, geschweige denn zu Mandanten. Deren Aufenthaltsort halte die Justiz teilweise geheim.
Die zentrale Rolle von Frauen
Treibende Kräfte beider Protestbewegungen sind Frauen. Maria Kolesnikowa, Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo stehen ikonisch für den Widerstand in Belarus. Das ist neu, sagt Bacharevič. Er gibt zu bedenken: In seiner Heimat hätten Frauen bereits zu Sowjetzeiten nicht unter einer derart allumfassenden Unterdrückung gelitten, wie im Iran.
Dort sind Frauen schon seit der islamischen Revolution vor 45 Jahren an vorderster Front der Opposition, sagt Sepehri. Eine wesentliche Parallele zieht sie dennoch. Die Menschenrechtslage in einem Land sei generell für alle schlechter, wenn die Frauenrechtslage schlecht ist. Frei nach Audrey Lorde lautet der Befund der Journalistin: „Wir sind alle unfrei, soweit nur eine Frau unfrei ist.“
Solidarität weltweit
Ein Problem aller Menschenrechtlerinnen: Sie stehen ungewollt in Konkurrenz um öffentliche Aufmerksamkeit, die schnell wieder abnimmt. Öffentlichkeitsarbeit ist daher der beste Weg, aus dem Ausland zu unterstützen. Zusammenarbeit der Widerstandsbewegungen sei trotzdem unerlässlich, mahnt Sepehri. Auch die unterdrückerischen Regime arbeiteten ja zusammen, wie der jüngste russisch-iranische Gipfel beweise. Wie wichtig Solidarität für die Betroffenen und ihre Sache ist, macht Tannaz Kolachian klar. Die Menschenrechtsanwältin und Frau von Amirsalar Davoudi wendet sich in einer Videobotschaft an die Teilnehmerinnen des Expert:innengesprächs. Sie dankt dafür, „dass Sie uns zur Seite stehen und nicht gleichgültig gegenüber den Schicksalen der Verteidiger*innen der Menschenrechte sind“.
Im vollbesetzten Moot Court hatte auch das Publikum die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Inhalte zu vertiefen. Diese Diskussion und der Austausch mit den Podiumsgästen wurde im Anschluss bei Brezeln und Wein in der Südlounge der Bucerius Law School rege weitergeführt.