Tag der bedrohten Anwält:innen

Seit 2010 wird jedes Jahr am 24. Januar bedrohten und verfolgten Anwält:innen auf der ganzen Welt gedacht.

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Der Tag der bedrohten Anwält:innen geht auf ein Ereignis zurück, das umgangssprachlich auch als „Blutbad von Atocha“ bezeichnet wird. Am 24.01.1977 wurden vier Anwälte und ein Mitarbeiter in ihrem Anwaltsbüro in der Calle Atocha 55 in Madrid ermordet.

Dieses Jahr steht als Land Belarus im Fokus. Im letzten Jahr war es der Iran. Der zugehörige Bericht der Arbeitsgruppe „Coalition of the Day of the Endangered Lawyer“ zeigt ein detailliertes Bild zur kritischen Situation der Anwält:innen im Iran. Drei zentrale Problembereiche stehen dabei im Fokus:

 

1. Einschränkung der Unabhängigkeit der Anwaltschaft und der Rechte iranischer Bürger:innen

In Fällen, in denen besonders schwere Strafen wie die Todesstrafe drohen, dürfen Beschuldigte ihre Anwält:innen nicht frei wählen. Sie sind gezwungen, Anwält:innen aus einer vom Leiter des Justizwesens genehmigten Liste auszuwählen, was de facto bedeutet, dass sie nur regimetreue Verteidiger:innen in Anspruch nehmen können. Diese Regelung betrifft vor allem politisch Verfolgte, die mit besonders harten Strafen rechnen müssen.

Zusätzlich verweigern Richter an den Revolutionsgerichten den Beschuldigten häufig generell den Zugang zu einem Rechtsbeistand während der Ermittlungsphase.

Aber auch wenn Beschuldigte bzw. Angeklagte ihren Rechtsbeistand frei wählen können, stoßen diese Anwält:innen auf erhebliche Hindernisse: Ihnen wird oft der Zugang zu den Akten ihrer Mandant:innen verweigert – unter dem Vorwand, diese seien vertraulich oder die Anwält:innen seien nicht ausreichend „qualifiziert“, um bestimmte Unterlagen einzusehen, obwohl sie die notwendigen Anwaltsprüfungen erfolgreich absolviert haben und als Anwält:innen zugelassen sind.

 

2. Mangelnde Unabhängigkeit der Justiz

Die Ernennung von Richter erfolgt auf Basis ihrer politischen Loyalität gegenüber dem Regime. Richter müssen ihre Unterstützung für die Islamische Republik Iran öffentlich bekennen. Frauen wurden nach der Islamischen Revolution 1979 sogar vollständig aus ihren Ämtern als Richterinnen entfernt. 

Heute können Frauen nur noch unter sehr restriktiven Bedingungen als Richterinnen tätig sein: Sie dürfen Urteile zwar vorbereiten, diese treten aber nur in Kraft, wenn sie von einem männlichen Kollegen unterzeichnet werden.

Zudem gibt die institutionelle Übermacht des „Obersten Führers“ Grund zur Besorgnis. Er steht über allen Staatsgewalten und ernennt und beaufsichtigt den Leiter der Justiz. Der Leiter der Justiz ist gleichzeitig der höchste Richter des Obersten Gerichtshofs und unterliegt somit direkt der Kontrolle des „Obersten Führers“.

 

3. Schikane, Einschüchterung und Inhaftierung von Anwält:innen

Die iranischen Behörden nutzen unspezifische Straftatbestände wie „Propaganda gegen den Staat“, um Anwält:innen einzuschüchtern und zu verfolgen. Teils erfolgen Verhaftungen aber auch völlig willkürlich und Anwält:innen werden für Handlungen strafrechtlich belangt, die im iranischen Strafgesetzbuch nicht definiert sind.

Besonders gefährdet sind Anwält:innen, die Demonstrierende und Menschenrechtsverteidiger:innen vertreten. Zwischen dem 16. September 2022, dem Todestag von Jina Mahsa Amini, und dem 10. Januar 2023 wurden allein 44 Anwält:innen verhaftet, von denen einige später wieder freigelassen wurden. Aufgrund mangelnder Transparenz ist es nicht möglich, die Gesamtzahl der inhaftierten Rechtsanwält:innen im Iran zu ermitteln.

Ein bekannter Fall ist der des Menschenrechtsanwalts Amirsalar Davoudi, der in dem Bericht explizit aufgegriffen wird. Für ihn hat die Bucerius Law School eine politische Patenschaft übernommen. Herr Davoudi vertrat regelmäßig die Rechte von politisch Verfolgten und Angehörigen ethnischer sowie religiöser Minderheiten im Iran und war zudem Mitglied der Menschenrechtskommission der iranischen Anwaltskammer. Im Jahr 2019 wurde er unter anderem wegen „Propaganda gegen den Staat“ zu 15 Jahren Haft und 111 Peitschenhieben verurteilt.

Text

Parissa Rahimian

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