Prof. Krell und die „Digitalisierte Risikogesellschaft“

Professor Paul Krell über die Digitalisierung und die aktuellen Themen seiner Lehre und Forschung - Forschungsheft 2021/22: Artikel #6

Forschung & Fakultät |

Professor Dr. Paul Krell hat im April 2021 den Lehrstuhl für Strafrecht in der globalisierten und digitalisierten Risikogesellschaft übernommen. Welchen Fragen widmet er sich?  Ein Beitrag aus dem aktuellen Forschungsheft der Bucerius Law School.

Digitalisierung in der strafrechtlichen Praxis und Wissenschaft

„Die Digitalisierung ist ein zentrales Thema, das uns auch künftig beschäftigen wird. Aus Sicht der strafrechtlichen Praxis und Wissenschaft betrifft das etwa: Verschlüsselte Internettelefonie, WhatsApp, E-Mails oder das Darknet. Die Strafverfolgungsbehörden sehen sich bei all diesen Phänomenen mit großen praktischen und rechtlichen Problemen konfrontiert. Damit gehen wissenschaftlich reizvolle Fragen einher.

Viele Themen aus Globalisierung und Digitalisierung verdeutlichen, dass unser Strafgesetzbuch schon recht alt ist, etwa die Regelungen zu Täterschaft und Teilnahme. Diese allgemeinen Zurechnungsnormen sind auf Straftaten einzelner Individuen zugeschnitten. Sie geraten an ihre Grenzen, wenn Straftaten aus Institutionen heraus begangen werden. In Bezug auf die künstliche Intelligenz werden wir diese Probleme in ganz neuen Dimensionen kennenlernen. Etwa, wenn wir an einen Punkt kommen, an dem unsere Gesellschaft so sehr von künstlicher Intelligenz durchzogen ist, dass wir das Bedürfnis haben, Roboter zu bestrafen.

Der allgemeine Teil des Strafgesetzbuches ist bewusst zurückhaltend formuliert. Oftmals ist es möglich, mit dem geltenden Recht so zu arbeiten, dass es auch mit neuen Erscheinungsformen zurechtkommt. Manchmal führt aber an einer Reformdiskussion kein Weg vorbei.

Mit Fragen der Digitalisierung, die sich für das Strafverfahrensrecht ergeben, beschäftige ich mich schwerpunktmäßig in der Lehre, weil wir im strafrechtlichen Schwerpunktstudium eine Vertiefungseinheit Strafverfahrensrecht gegründet haben.

Forschung an Zurechnungsregeln

Auch in meiner Forschung befasse ich mich mit dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, unter anderem mit der Frage, wie wir mit den dort niedergeschriebenen Zurechnungsregeln umgehen können. Eine Volkswahrheit besagt, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. In § 17 StGB steht jedoch das Gegenteil. Der BGH hat diese Regelung immer sehr eng aufgefasst und gesagt, jemand handele nur dann unverschuldet, wenn er sich Rechtsrat eingeholt habe. Was aber passiert, wenn ein solcher Ratgeber falsche Auskünfte erteilt? Diese Frage kam im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften auf. Partner aus einer Großkanzlei wurden in U-Haft genommen, weil geprüft werden musste, ob sie sich durch ihre begutachtende Tätigkeit in die Cum- Ex-Geschäfte verstrickt haben.

Ich setze mich aber auch mit Fragen des „klassischen“ Vermögensstrafrechts auseinander, etwa mit Betrug und Untreue. Auch hier begegnet man neuen Phänomenen, etwa Straftaten im Internet wie zum Beispiel Abo-Fallen. Man kann sich auch kaum ausmalen, welches Missbrauchsrisiko mit den inzwischen verbreiteten Packstationen einhergeht – und wie viele strafrechtliche Probleme sich rund um sie stellen.

Strafrecht und Klimaschutz – ein neues Forschungsgebiet?

Ein neues Forschungsthema, das ich angehen möchte, ist ein möglicher Beitrag der Strafrechtswissenschaft zum Klimaschutz. Bislang schien ein solcher Beitrag erst möglich zu sein, wenn es konkrete Gesetzgebungsvorhaben zum Klimaschutz gibt. Inzwischen zeichnet sich ab, dass gewisse grundlegende Fragestellungen bereits jetzt angegangen werden können.

Von der Forschung treiben lassen – was gute Forschung ausmacht

Gute Forschung setzt meiner Ansicht nach voraus, dass sie konstruktiv ist. Natürlich ist es wichtig zu zeigen, dass etwas so, wie es bisher gehandhabt wurde, nicht funktioniert und warum das so ist. Es gibt jedoch eine rein destruktive Forschung, die einfach nur aufzeigt, dass das, was zum Beispiel der BGH in dem Bereich macht, falsch ist. Das kann eine außerordentlich wichtige Einsicht sein. In der Praxis hilft sie aber nur beschränkt weiter. Natürlich gibt es nicht für jedes Problem auf Anhieb eine Lösung. Doch man sollte zumindest einen Vorschlag parat haben, wie man es anders machen könnte. Im Übrigen lasse ich mich gerne von meiner Forschung treiben. Am Anfang steht manchmal nicht mehr als die Ahnung, dass sich Probleme stellen. Nicht selten komme ich dann zu ganz anderen Fragen und Ergebnissen, als sie mir eingangs vor Augen standen.“

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