Medizinrecht: Wie nachhaltig ist unser Gesundheitswesen?

Wie geht Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen? Dazu forscht Prof. Prütting am Institut für Medizinrecht der Bucerius Law School.

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Prof. Dr. Jens Prütting, LL.M., ist seit Mai 2021 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Medizin- und Gesundheitsrecht an der Bucerius Law School. Wenn Pharmahersteller zum Beispiel Hormonpräparate oder neuroendokrine Substanzen auf den Markt bringen, dann ist das ein Versprechen: Die Medikamente sollen gegen Krankheiten und belastende Symptome wirken.

 

Das Umweltproblem bei Medikamenten

Es gibt aber auch einen Haken: Viele Wirkstoffe sind schädlich für die Umwelt. Deshalb ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung fester Bestandteil des Zulassungsverfahrens. Was aber, wenn ein neues Medikament diese Prüfung nicht besteht – aber gleichzeitig als hochwirksam gilt?

 

Das Dilemma der Gesundheitsbranche

Das Dilemma, vor dem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in diesen Fällen steht, ist nahezu klassisch für die Gesundheitsbranche. Diese ist durch das Aufeinandertreffen und Zusammenspiel verschiedener Disziplinen und Blickwinkel geprägt. Bei einer arzneimittelrechtlichen Zulassungsentscheidung, um bei dem Beispiel zu bleiben, stehen sich bedeutende Werte gegenüber: der Wunsch, Kranken durch die Zulassung eines Medikamentes zu helfen, und die Notwendigkeit, eine weitere schwere Belastung der Umwelt zu vermeiden. Wo kann da der richtige Weg liegen?

 

Forschung für Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen

Unter anderem zu solchen Fragen forscht Prof. Prütting am Institut für Medizinrecht der Bucerius Law School. Er betreut dort ein Forschungsprojekt für mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen, das von der Mercator-Stiftung unterstützt wird. Zusammen mit der „Allianz für Klima und Gesundheit“ forscht er zu der Frage, wie das Gesundheitssystem vor allem ökologisch nachhaltiger werden kann.

 

Rechtliche Ansätze zur Förderung ökologischer Nachhaltigkeit

Im Bereich der „besonderen Versorgung“ beispielsweise verweist das Sozialgesetzbuch V auf das Recht der öffentlichen Ausschreibungen im Vergabeverfahren und fordert, auch auf ökologische Nachhaltigkeit zu achten. „Das könnte ein starkes Vehikel sein, wenn man nachhaltigen Produkten sogar den Vorzug geben würde“, so Prof. Prütting.

„Das hätte bei Pharma- und Medizintechnikherstellern ein sofortiges Umdenken zur Folge und sie müssten auch in der gesamten Lieferkette eine nachhaltige Produktion sicherstellen.“ Durch solche rechtlichen Weichenstellungen in Deutschland, so Prof. Prütting weiter, könnten also sogar weltweite Effekte erreicht werden.

 

Das Institut für Medizinrecht: Eine Basis für interdisziplinäre Forschung

Das Institut für Medizinrecht gibt es seit 2017. Ausgehend von dem Gedanken, dass das Medizinrecht eine Querschnittsmaterie ist, soll das Institut eine Basis schaffen für die gemeinsame Forschung von Rechtswissenschaftler:innen, Mediziner:innen, Ethiker:innen und Ökonom:innen.

 

Prof. Prütting: Forschungsschwerpunkte und Lehrstuhl

Zusätzlich dazu hat Prof. Prütting seit Mai 2021 einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Medizin- und Gesundheitsrecht an der Bucerius Law School. In der Zeit hat er mehrere Forschungsschwerpunkte herausgebildet, von denen die Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen nur einer ist. Angesichts der großen Herausforderungen und Umwälzungen, die sich im Gesundheitssystem vollziehen, gibt es weitere bedeutende Forschungsfragen, zum Beispiel, wer überhaupt Akteur auf dem Gesundheitsmarkt sein darf.

 

Die Rolle der Investoren im Gesundheitsmarkt

Das ist in der Branche ein großes Thema, seit medizinische Versorgungszentren (MVZ) zugelassen wurden und diese zunehmend von Investoren betrieben werden. Sie gehen den Weg, dass sie Krankenhäuser kaufen und über diese dann ein Versorgungszentrum gründen. Das ist sehr umstritten – es gibt den Vorwurf, die Investor*innen würden die medizinischen Einrichtungen nur nach ökonomischen Aspekten betreiben und Geld aus dem System ziehen. Die Forderung wird immer lauter, den Gründerkreis für MVZ zu beschränken – was laut Prof. Prütting verfassungsrechtliche Fragen aufwirft.

 

Versorgung älterer Patient:innen: Ein Herzensthema

Ein Herzensthema und damit Forschungsschwerpunkt ist zudem die Versorgung älterer Patient*innen. Diese ist laut Prof. Prütting gut geregelt für Menschen, die mit Vorsorgevollmachten vorgesorgt oder Angehörige haben, die ihren Willen kennen. Eine große Regelungslücke gibt es aber bei älteren Menschen, die das nicht haben. Wie also kann ihr Wille ermittelt werden, wenn zum Beispiel die Frage einer künstlichen Ernährung und Beatmung im Raum steht?

 

Gesetzentwurf zur Verbesserung der Versorgung älterer Patient:innen

Im SGB V wurde die Möglichkeit verankert, einen Gesprächsbegleiter einzusetzen. Prof. Prütting hat gemeinsam mit Sabine Petri und Prof. Dr. Bernhard Knittel einen Gesetzentwurf erarbeitet, nach dem die besondere Vertreterdokumentation von ärztlicher und Betreuerseite auf Betreiben des Gesprächsbegleiters in einem neuen Absatz 2a des §1827 BGB einer Patientenverfügung gleichgestellt würde. Der Gesetzentwurf liegt den Justizministerien in Nordrhein-Westfalen und Bayern vor und soll in den Bundesrat eingebracht werden. „Mir ist es wichtig, nicht nur wissenschaftlich zu forschen, sondern damit in der Gesundheitsbranche ganz praktisch etwas zu bewegen“, sagt Prof. Prütting.

 

Relevanz und praktische Umsetzung der Forschung

Das Forschungsgebiet ist in der medizinischen Praxis von großer Relevanz. Um selbst auch Weichen zu stellen, schreibt Prof. Prütting Stellungnahmen und Gesetzentwürfe zu aktuellen gesundheitspolitischen Themen. Als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Dezember 2022 beispielsweise verkündete, er werde private Investoren aus den MVZ vertreiben, hatte der Bucerius-Law-School-Professor bereits zuvor einen Aufsatz für die Fachzeitschrift Medizinrecht (MedR) geschrieben. Darin hatte er die späteren Lauterbach-Pläne bereits als verfassungswidrig bezeichnet, freilich ohne dieselben zum Zeitpunkt der Texterstellung gekannt zu haben; er hatte eine solche Entwicklung jedoch befürchtet.

 

Alternative Lösungen und rechtliche Weichenstellungen

Er hat aber – wieder ganz praktisch gedacht – auch alternative Lösungen juristisch durchgespielt. Zurzeit gibt es in der Branche konkrete Pläne, zumindest den Radius rund um ein Krankenhaus zu begrenzen, in dem ein Investor MVZ betreiben darf.

Und das, so Prof. Prütting, wäre verfassungsrechtlich seiner Überzeugung nach erlaubt, sofern es mit einer sachlichen Begründung und verhältnismäßigen Einschätzung zur konkreten Ausgestaltung verbunden wäre. Durch rechtliche Weichenstellungen in Deutschland könnten weltweite Effekte für mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen erreicht werden.

 

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momentum,

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