Zeitenwende: Künstliche Intelligenz und das Recht

An der Bucerius Law School beschäftigen sich mehrere Netzwerke mit KI und Recht.

Forschung & Fakultät |

Künstlich intelligente Systeme haben Einzug in den Lebensalltag gefunden. Die technische Entwicklung ist weit, die rechtliche Ausgestaltung und die gesellschaftliche Debatte müssen versuchen, damit Schritt zu halten.

 

Mensch oder Maschine?

Dies ist ein von einem Menschen geschriebener Text. Oder vielleicht doch nicht? Sind Programme wie ChatGPT bereits in der Lage, Texte über Forschungsthemen oder gar wissenschaftliche Texte zu schreiben?

 

Zukunftsperspektiven

In ein paar Jahren dürfte es vermutlich eher für Erstaunen sorgen, wenn solche Fragen noch gestellt werden müssen. Die technische Entwicklung künstlicher Intelligenzen schreitet mit großen Schritten voran und ist der Debatte darüber weit voraus. Künstlich intelligente Systeme können heute bereits weit mehr, als sie rechtlich dürfen. Sie könnten zum Beispiel in standardisierten Gerichtsprozessen Entscheidungen treffen. Sie können Anleger:innen Finanztipps geben, Bewerbungsvideos auf Persönlichkeitsmerkmale scannen und komplexe Verträge auf problematische Formulierungen.

 

Herausforderungen und Regulierung

Ob sie dafür eingesetzt werden dürfen, wo die Grenzen sind und wer für Fehler einer künstlichen Intelligenz haftet – das ist erst in Ansätzen geregelt. An der Bucerius Law School gibt es mehrere Netzwerke, die zum Thema KI und Recht forschen und arbeiten.

 

Network for Artificial Intelligence & Law (NAIL): Das Netzwerk mit Außenwirkung

Wie sehr künstliche Intelligenz bereits Einzug in alle Lebensbereiche gefunden hat, ist schon an den Hochschulen selbst zu sehen. Das Präsidium der Bucerius Law School hat Anfang 2023 zum Thema ChatGPT getagt: Wie können ordentliche Prüfungen in Zukunft aussehen, wenn die Studierenden ihre Hausarbeiten auch mit ChatGPT schreiben lassen könnten?

 

Die rechtliche Debatte über technische Entwicklungen

Gerade ChatGPT zeigt, dass die technische Entwicklung der rechtlichen Debatte weit voraus ist. Und doch ist das Programm nur ein kleiner Baustein unter vielen. Credit-Scoring, Algorithmus-basierte Empfehlungssysteme, digitale Governance – auch da knüpfen viele rechtliche und ethische Fragen an.

 

Gründung des Network for Artificial Intelligence & Law (NAIL)

Um die Einführung neuer Technologien nah zu begleiten, haben Prof. Christoph Kumpan von der Bucerius Law School und Prof. Georg Ringe, Professor an der Universität Hamburg, das „Network for Artificial Intelligence & Law (NAIL)“ gegründet. Es will nach außen wirken, eine Art KI- und Recht-Hub bilden. „In der öffentlichen Debatte wird das Thema KI oft sehr technisch diskutiert“, sagt Prof. Kumpan. „Wir wollen den Blick auch auf die rechtliche, gesellschaftliche und ethische Relevanz lenken.“

 

Monatliche Vorträge und Austausch

Dafür laden Prof. Kumpan und Prof. Ringe während der Vorlesungszeit monatlich renommierte nationale und internationale Wissenschaftler:innen undPraktiker:innen zu Vorträgen ein, die sich mit Themen rund um KI und Recht beschäftigen. Gerade der regelmäßige Austausch mit Praktiker:innen ist für Prof. Kumpan von großer Relevanz. Sie können aufzeigen, wie künstliche Intelligenzen unser Leben verändern. Daran schließt die Frage an die Rechtswissenschaft an: Wie muss das Recht diese Entwicklung begleiten?

 

Erste Veranstaltungen und Themen

Insgesamt hat das NAIL bereits rund 15 Vorträge organisiert. Zur ersten Veranstaltung im Oktober 2021 wurde Irina Orssich eingeladen, Head of Sector AI Policy bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Sie hat zum geplanten EU-AI-Act vorgetragen, einem europäischen Gesetzentwurf zur Regulierung der KI – dem zentralen Rechtsakt, der zurzeit in der Vorbereitung ist. Ergänzt wurde die Veranstaltung um einen Praktikerkommentar von Dr. Wolfgang Hildesheim, Direktor Watson, Data Science & Artificial Intelligence bei IBM, der nur wenige Wochen später auch einen eigenen Vortrag hielt.

 

Herausforderungen der Definition und Haftung

Bei diesem referierte er aus Sicht der Praxis zum Thema „Globaler Megatrend Künstliche Intelligenz – Chancen und Risiken“. Dabei wurde aus Sicht von Prof. Kumpan deutlich, dass schon der Begriff der künstlichen Intelligenz unzureichend gefasst ist – und eine enge Abstimmung mit den Anwender:innen in der Praxis dringend notwendig. Schon bei der genaueren Definition, was künstliche Intelligenz genau meint und welche Techniken von dem Begriff umfasst sein sollten, sieht Prof. Kumpan dringenden Handlungsbedarf.

 

Internationale Perspektiven und rechtliche Fragen

Weitgehend ungeklärt ist auch noch die Haftung für Fehler einer künstlichen Intelligenz. Und dann ist die Transparenz ein Bereich, in dem noch großer Regulierungsbedarf besteht: Inwiefern müssen Verbraucher:innen erkennen können, wer ihnen zum Beispiel bei einer Anlageberatung den Tipp gegeben hat?

Zu diesen Themen hat das NAIL beispielsweise Prof. Katja Langenbucher von der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main eingeladen. Sie ist dabei insbesondere auf die Frage eingegangen, inwieweit KI bei der Vergabe von Krediten unterstützen kann beziehungsweise welche Probleme es dabei gibt, insbesondere in Bezug auf Diskriminierung.

Als Experte für „Künstliche Intelligenz und EU-Verbraucherrecht“ war Prof. Martin Ebers von der Universität Tartu zu Gast. Antonella Zarra, Programmmanagerin für KI-Politik bei Meta, hat sich auf Einladung des NAIL mit „Brückentechnologie und politische Innovation: Ein politisches Experiment zum KI-Gesetz“ befasst.

Und die Professoren Tanel Kerikmäe und Thomas Hoffmann von der TalTech University im estnischen Tallinn waren zu Gast, um über KI-Systeme in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu referieren. In Estland wird künstliche Intelligenz in Verwaltung und Justiz bereits weitgehender eingesetzt als in Deutschland. Es gab auch Referent:innen aus Belgien und Italien, um eine internationale Perspektive in die Debatte mit einzubringen.

 

ChatGPT als aktuelles Thema

Und natürlich war ChatGPT auch schon Thema im NAIL. Im Februar 2023 hat Prof. Philipp Hacker von der European University Viadrina in Frankfurt/Oder über „Regulierung von ChatGPT: Von vertrauenswürdiger zu nachhaltiger KI“ referiert. „Die technische Entwicklung von KI ist rasant schnell und verspricht eine Vielzahl wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Vorteile“, so Prof. Kumpan. „Jetzt ist es an uns, den rechtlichen Rahmen dafür zu stecken.

Im Vortrag von Kai Zenner, Head of Office and Digital Policy Adviser für MEP Axel Voss (European Parliament), mit dem Titel "Regulating AI - Challenges for EU Lawmakers", wurde brandaktuell die Sicht des Europäischen Parlaments vorgestellt. Mehr dazu finden Sie hier.

 

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momentum,

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